EM-Spiel Spanien gegen Kroatien: Suche nach der Welle
Spaniens Team schart sich um Stürmer Álvaro Morata. Und nicht nur bei Achtelfinalgegner Kroatien wirft der Positivtest von Ivan Perišić Fragen auf.
Álvaro Morata hat Flugangst, er macht dieser Tage im Teamquartier dagegen sogar eine Onlinetherapie. Dennoch wird es Spaniens Mittelstürmer nichts ausgemacht haben, zum EM-Achtelfinale ein bisschen weiter zu reisen. In Kopenhagen geht es am Montag gegen Kroatien. Zum ersten Mal spielt Spanien nicht im heimischen Sevilla. Eine Erlösung für Morata: denn dort wurde er ausgepfiffen.
Alle Unzufriedenheit der Nation über einen stotternden EM-Start entlud sich gegen den 28-jährigen Angreifer von Juventus Turin, der bisher nur einmal das Tor traf und in seinen Interviews etwas ungeschickt, weil pampig auf Kritik reagierte. In fachlicher Hinsicht war es tatsächlich so, wie die Sportzeitung Marca schrieb: „Álvaro sucht den Champagner aus, kauft ihn, stellt ihn in den Kühlschrank, holt ihn raus, macht den Draht ab, doch als er ihn öffnet, bricht der Korken.“
Anderswo aber beließ man es nicht bei harmlosen Metaphern. Im so brachialen wie populären Fußballstammtisch „Chiringuito“ sagte der Moderator: „Dieser Junge darf nie wieder eine Minute für Spanien spielen.“ Und in den sozialen Netzwerken wurden erst recht alle Grenzen überschritten. Sein Telefon lege er am liebsten immer beiseite, so Morata. „Ich bekam Drohungen, Beleidigungen an meine Familie, sie wünschten mir den Tod meiner Kinder.“
In der Mannschaft hat das zu einer Trotzreaktion geführt, alle scharen sich um ihn. Trainer Luis Enrique gab als Aufstellungsmotto aus: „Morata und zehn andere.“ Und weil zuletzt ein 5:0 gegen die Slowakei zwar nicht mehr zum anvisierten Gruppensieg reichte, aber nach den Remis zuvor gegen Schweden und Polen immerhin zum Stimmungsumschwung, ging es erleichtert nach Dänemark. Morata steht insofern stellvertretend für eine neue, mit wenigen Ausnahmen wie Kapitän Sergio Busquets kaum turniererfahrene Mannschaft. Wo die Pflicht erledigt ist und die Heimat weit weg, will man jetzt endlich so unbeschwert die Welle von Euphorie und Gruppengefühl reiten, wie das eigentlich von Beginn an geplant war.
Ungleiches Duell
Es wird insofern ein ungleiches Duell mit Vizeweltmeister Kroatien, der nicht zuletzt über seine geballte Routine kommt – versinnbildlicht in Luka Modrić, dem 35-jährigen Mittelfeldgenie. „Wenn wir so spielen, sind wir für jeden gefährlich“, sagte der Kapitän nach dem 3:1 zuletzt gegen Schottland, mit dem analog zu Spanien gerade noch rechtzeitig die erste EM-Kurve gemeistert wurde. Stürmer Ante Budimir, in Spanien bei Osasuna angestellt, verspricht seiner Wahlheimat einen heißen Kampf: „Gestern im Training haben wir uns auf die Socken gegeben. Ich glaube, das ist ein gutes Zeichen.“
Kroatiens Wettkampfhärte ist ein Mythos des Weltfußballs, spätestens seit man 2018 zwei Elfmeterschießen und eine Verlängerung überstand. Allerdings sind inzwischen mit Torwart Danijel Subašić, Ivan Rakitić und Mario Mandžukić drei Säulen von damals abgetreten. Und heute fehlen auch der gesperrte Abwehrchef Dejan Lovren sowie Ivan Perišić, seit voriger Woche zusammen mit Davor Šuker bester Turniergoalgetter der kroatischen Länderspielgeschichte und Siegtorschütze gegen Spanien beim letzten EM-Duell 2016 (2:1). Der 32-Jährige wurde am Wochenende positiv auf Covid getestet.
Die Sache ist nicht ohne Pikanterie. Vor dem jüngsten Spiel in Glasgow nämlich war eine Infektion des Schotten Billy Gilmour bekanntgegeben worden. Daraufhin wurden die englischen Profis Mason Mount und Ben Chilwell vorsorglich zehn Tage in Quarantäne gesteckt, weil sie nach dem vorangegangenen britischen Derby länger mit Gilmour getratscht hatten. Sie fehlen daher auch im Achtelfinale gegen Deutschland.
Die Schotten selbst jedoch zogen keine Konsequenzen, was Kroatiens Trainer Zlatko Dalić schon vor der Partie irritierte. „Wir sind besorgt, aber leider müssen wir spielen.“ Jetzt steckte sich Perišić womöglich bei den Schotten an und fällt mindestens zehn Tage aus. Die unkalkulierbaren Kettenreaktionen der Pandemie-EM.
So lange noch gespielt werden kann, darf sich der Zuschauer heute aber auf ein attraktives Duell freuen. Entschieden werden dürfte es im Mittelfeld. „Wir müssen Busquets stoppen, bei ihm beginnen alle Spielzüge“, warnt Mateo Kovačić vor Spaniens zurückgekehrtem Strategen, der wegen einer Covid-Erkrankung seinerseits die ersten zwei Partien verpasste. Doch die Kroaten haben in Marcelo Brozović einen ähnlichen Spielertypen, dazu den kampfstarken Kovačić selbst und eben Modrić. Den langjährigen Profi von Real Madrid kennen die Spanier besonders gut. Und er sie.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Pressefreiheit unter Netanjahu
Israels Regierung boykottiert Zeitung „Haaretz“