EM-Qualifikation im Männerfußball: Auswärtserfolg für Löws Team
Die deutsche Mannschaft gewinnt in den Niederlanden mit 3:2. Der Start mit neuer Aufstellung ist gelungen, wie lange das gutgeht, ist offen.
Mehrfach wurde ihm von den Medienvertretern, die ihn zuletzt massiv angegangen waren, der Ball zugespielt für den Gegenangriff. Er wurde gefragt, was ihm dieser 3:2-Auswärtserfolg über die Niederlande im ersten EM-Qualifikationsspiel denn bedeute. Und als man seiner Zurückhaltung überdrüssig war, wurde die Vorlage präzisiert. Empfinde er keine Genugtuung?
„Ich empfinde manches gar nicht so als Kritik“, sagte Löw und erwähnte dabei auch die Äußerung von DFB-Präsident Reinhard Grindel, der die Kommunikationsstrategie bei der Ausbootung von Mats Hummels, Jerome Boateng und Thomas Müller beanstandet hatte und das dann vor allem als Selbstkritik verstanden wissen wollte. Diese gering ausgeprägte Empfindsamkeit in Bezug auf Kritik und Genugtuung ist gewiss eine der Schlüsselerklärungen, warum dieser so hochemotionale Laden dem Bundestrainer noch nicht um die Ohren geflogen ist.
Am gleichen Ort schien es vor wenigen Monaten fast soweit zu sein, als Löw den Neuanfang nach der verpatzten WM ausgerufen hatte, und mit einem nahezu unveränderten Team eine vernichtende 0:3-Niederlage hinnehmen musste. Dieses Mal standen nur noch vier Spieler von damals in der Anfangself, während die Niederländer bis auf eine Ausnahme mit der gleichen Besetzung antrat.
Viel Lob
Und auch die Bewertungen von Löw unterschieden sich erheblich. „Die erste Halbzeit war, was das Fußballerisch betrifft, überragend“, bilanzierte der Bundestrainer. Für die zweite Hälfte, in der sein Team beinahe die 2:0-Führung verspielte, hatte er ebenfalls viel Lob übrig. Die Mannschaft habe nicht mehr so brilliert, aber „Kampf, Bereitschaft und auch Leidenschaft“ gezeigt.
Beeindruckend war gewiss einerseits, wie beherzt sich Anton Rüdiger, Leon Goretzka und sogar Toni Kroos in die Schüsse der aufkommenden Niederländer warfen und andererseits, wie man selbst in letzten Minute wieder größte Spielkultur aufblitzen ließ, und Nico Schulz nach einer Kombination über die eingewechselten Ilkay Gündogan und Marco Reus, den Siegtreffer erzielte.
Diese Partie gab viel Stoff für Elogen her, allerdings wäre an diesem Abend auch ein Szenario des großen Lamento denkbar gewesen. Serge Gnabry beschrieb die Bedrohungslage so: „Holland war brutal am Drücker.“ Hätte womöglich ein deutscher Abwehrpatzer den Gastgebern den Weg zum Erfolg geebnet, hätte das Geschrei nach Boateng und Hummels wieder alles andere übertönt.
Jederzeit bereit zum Klagen
Dieses neue deutsche Team wird vermutlich auch künftig einen großen Interpretationsspielraum lassen. So wie Serge Gnabry und Leroy Sané in der Offensive mit ihrer Schnelligkeit, Ballsicherheit und Dribbelstärke verzückten, werden einige womöglich zu dem Schluss kommen, dass die DFB-Elf auch wieder Anwärter auf den nächsten EM-Titel ist. Der niederländische Coach Ronald Koeman sagte in seiner Rolle als Niederlagenerklärer: „Die haben natürlich ein paar hervorragende Stürmer.“ Ebenso hob Löw die beiden auffälligsten Akteure auf dem Rasen hervor. „Serge und Leroy haben ein Superspiel gemacht.“
Umgekehrt können die Klagen über die Krise des deutschen Fußballs jederzeit wieder angestimmt werden, wenn die neu formierte deutsche Defensive vielleicht noch etwas größere Unsicherheiten aufweist als in den Niederlanden. Denn mit seinem verspäteten Umbruch hat Löw auch noch seinen letzten Kredit verspielt. Die gelungene Revanche von Amsterdam beschert ihm nun wieder ein wenig Kapital, mit dem sich ruhiger wirtschaften lässt.
Wer jedoch Joachim Löw in den Katakomben der Johan-Cruyff-Arena genau zuhörte, der konnte doch ganz sachte Anklänge der Genugtuung vernehmen. „Den Glauben an die Mannschaft hatte ich schon letztes Jahr“, sagte er. Zudem habe man in dieser Partie das Spielglück gehabt, das bei den guten Auftritten in Frankreich (1:2) und bei der Heimpartie gegen die Niederlande (2:2) gefehlt habe.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Bundestagswahlkampf der Berliner Grünen
Vorwürfe gegen Parlamentarier