Dystopie aus dem Jahr 2054: Botschaft killt Filmkunst
Mit „Everything Will Change“ verfolgt Marten Persiel ein Anliegen, das ihm allzu wichtig ist: So bleibt der Film frei von Tempo und Witz.
Ben, Finni und Cherry sind angezogen und frisiert wie junge woke Rebellen von heute, und so sprechen sie auch. Dazu gehört, dass sie Retro cool finden. Aber das Retro von 2054 ist nicht etwa das Heute von heute, sondern es sind die guten alten analogen Zeiten.
Die drei fahren in einem Mercedes-Benz aus den 1970er-Jahren und kramen in einem Antiquitätenladen in einer Kiste mit Vinylschallplatten herum. Ben findet dort die LP „Pet Sounds“ von den Beach Boys und aus der Plattenhülle fällt das Foto von einer Giraffe – ein Tier und ein Wort, das keiner von ihnen kennt.
Dieser erste Akt des zum Teil in Kiel gedrehten Films macht neugierig, und so stört es in seinen ersten Minuten auch nicht, dass Persiel sich kaum Mühe dabei gegeben hat, eine auch nur halbwegs glaubwürdige Dystopie zu kreieren. Ihm reicht es, dass im Jahr 2054 alles steril, zubetoniert und ungemütlich ist. Und auch die meisten Farben scheinen ausgestorben zu sein. Denn Persiels Kameramann Felix Leiberg arbeitet mit extremen Filtern, die alles in Rot- und Blautönen erscheinen lassen – oder er filmt in Infrarot.
Im „verborgenen Schloss“
Ben, Finni und Cherry machen sich auf die Suche nach Informationen über die Giraffe und andere ausgestorbene Tiere. Sie bekommen dafür von einem weisen, alten Schallplattenverkäufer eine Schatzkarte, die sie in knapp zwei Minuten zu dem „verborgenen Schloss“ führt, in dem alte Wissenschaftler*innen und Denker*innen das analoge Gedächtnis der Menschheit archiviert haben.
Das Abenteuer einer Schatzsuche interessiert Persiel dabei genauso wenig wie der Mythos einer verschworenen Gemeinde von Philosoph*innen und Akademiker*innen. All diese Motive werden in seinem Film nur angerissen.
Ihm geht es ausschließlich darum, dass die ahnungslosen Jugendlichen über das riesige Artensterben im frühen 21.Jahrhundert aufgeklärt werden. Dafür schauen sie sich Ausschnitte aus Tierfilmen an – und viele Interviewsequenzen mit Wissenschaftler*innen, Philosoph*innen und Künstler*innen, die im Jahr 2019 vor der düsteren Zukunft warnen.
Diesen Teil seines Films, der immerhin etwa die Hälfte ausmacht, hat Persiel als enttäuschend konventionellen Dokumentarfilm inszeniert. Da gibt es viele schöne Tieraufnahmen: meistens idyllisch – aber auchmal verstörend wie etwa die Bilder von einer gerade von einem Schuss getroffenen Giraffe. Und dann sind da die Spezialist*innen, die wichtige und kluge Sachen sagen, aber durchgehend in der immer gleichen Kameraeinstellung aufgenommen wurden.
Hier war ihm seine Botschaft so wichtig, dass er sich um die Präsentation wenig Gedanken gemacht hat. Und so erscheint das Dutzend Expert*innen, zu denen der Biologe Thomas E. Lovejoy, die Agraringenieurin Cary Fowler, der Meeresbiologe Daniel Pauly und der Filmemacher Wim Wenders zählen, zunehmend wie eine Schar von Prediger*innen. Ihre mahnenden Worte wirken eher belehrend als erhellend.
Dass ausgerechnet diese Filmaufnahmen unsere Zukunft und die Natur retten sollen, ist Persiels kühnster Einfall. Aber genauso passiert es: Die drei Ökoheld*innen finden im Kofferraum ihres Autos eine Zeitmaschine, die so aussieht wie ein Küchengerät aus den 1980ern und an der man, schön analog, die Jahreszahl einstellen kann.
Damit schicken sie ihren Film ins Jahr 2020, und fahren dann mit Karacho mit ihrem Mercedes durchs Bild. Dies ist natürlich ein Zitat aus der Science-Fiction Komödie „Zurück in die Zukunft“, aber auch hier wird ein populäres Genre wieder nur für die Oberflächenreize genutzt.
Konstruiert und bemüht
Wie die Schatzsuche ohne Schatzsuche ist dies eine Zeitreise ohne Zeitreise, die dann ebenfalls in ein bis zwei Filmminuten abgehandelt ist. So droht hier auch kein Zeitparadoxon, das in diesem Genre so essenziell ist wie die Schießerei beim Western. Persiel lässt Ben, Finni und Cherry stattdessen aus ihrem Auto in ein plötzlich in natürlichen Farben leuchtendes Licht steigen.
Marten Persiel hat vor zehn Jahren mit seinem Debütfilm „This Ain’t California“ bewiesen, dass er es besser kann. Dieser Hybridfilm über die Skaterscene von Ostberlin in den 1980er-Jahren war zwar umstritten, weil Persiel inszenierte Szenen als dokumentarisches Material ausgab, aber er hatte Tempo, Witz und der Regisseur liebte offensichtlich seine Figuren und ihr Milieu. Nichts davon ist in „Everything Will Change“ zu spüren. Statt dessen wirkt hier alles konstruiert und bemüht.
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