Durchgeknallte Montage: Büsten aus Schmalz und Marzipan
Der Komponist Mauricio Kagel nimmt Beethovens Musik auseinander und setzt sie neu zusammen. Die Kagel-Installation "Ludwig van" (1970) ist garantiert keine Beethoven-Filmbiografie.
Der Mann vor dem Fenster, der seltsame Geräusche macht und sich eine Maske vors Gesicht hält: das ist doch Joseph Beuys! Ihm begegnet Ludwig van Beethoven, der eben am Bahnhof in Bonn ankam und dessen Schritten wir, als wären wir Ludwig van selbst, aus der Perspektive einer subjektiven Kamera folgen. Mit ihm sehen wir die Schallplatten seiner Musik im Schaufenster eines Musikalienladens. Auch auf der Tonspur ist seine Musik zu hören, allerdings geht der nonkonformistische Komponist Mauricio Kagel, dessen Geistes Kind dieser Film ist, mitunter rabiat mit ihr um. Er nimmt Beethovens Musik auseinander und setzt sie wieder zusammen, und zwar so, dass sie klingt wie Neue Musik.
Auch mit dem Kino verfährt Kagel, als gehörte es ihm so gut wie denen, die es professionell zu beherrschen gelernt haben. Er ist als Komponist Autodidakt, und als Autodidakt nimmt er her, was ihm unterkommt, und verformt es. Für "Ludwig van" hat er sich Hilfe geholt nicht nur bei Beuys, der ihm ein Kinderzimmer eingerichtet hat in Kagels Beethoven-Haus. In diesem Kinderzimmer gibt es keine gerade Wand, alles ist schief. Kagel hat sich auch beim Schweizer Künstler Dieter Roth, dem Meister ekelerregender Lebensmittelverarbeitung, Hilfe geholt. Der hat ihm ein Badezimmer eingerichtet, über das es im der DVD-Edition beigegebenen Drehbuch heißt: "Circa hundert Büsten von L.v.B. - Höhe: 42,7 cm - in Schmalz bzw. Marzipan mit Schokoladen-Überguss werden in der bis zum Rande mit Wasser gefüllten Badewanne gelagert." Eine nach der anderen nimmt Ludwig van die Büsten aus der Wanne, zusehends ist der Beethoven aus Marzipan bzw. Schmalz defiguriert. Die Beuys-Installation, die Dieter-Roth-Installation fügen sich zur Kagel-Installation, die als Film daherkommt. Dieser Film macht wilde assoziative Sprünge, da kann man nur staunen.
Mitten im Film wird das freie Assoziieren unterbrochen für eine Ausgabe des "Internationalen Frühschoppens" mit Werner Höfer zur Frage: "Wird die Musik Ludwig van Beethovens missbraucht?" Unbedingt ja, vor allem von Herbert von Karajan, meint der gestreng adornitische Musikkritiker Heinz-Klaus Metzger, der zur Rechten von Maurizio Kagel sitzt, der wiederum die meiste Zeit gar nichts sagt. Als er - der Argentinier mit dem nicht ganz perfekten Deutsch - auf Aufforderung Werner Höfers doch noch spricht, werden Sprachfehler, die er macht, aus dem Off herrisch korrigiert. Auch sonst sprechen Fernsehansager zwischendurch Sätze, die aber meist unvollendet bleiben, weil Kagel sie durch den Schnitt unterbricht. Später sitzt ein Mann halbnackt am Klavier. Er ist durch schwingende Schläuche angeschlossen an medizinische Aufzeichnungsapparate, die sein Klavierspiel auf Skalen auftragen. Diese Skalen sind durch Schrifttafeln mit Begriffen wie "Dämonischer Schalleindruck", "Subjektive Überschaubarkeit" oder "Musikhochschule" bezeichnet. Später steht ein Mann neben einem Pferd auf einem Feld und behauptet, er sei der letzte lebende Nachfahre des großen Komponisten. Gegen Ende gehts in den Zoo, und ein Elefant scheißt zur Musik von "Seid umschlungen, Millionen".
"Ludwig van" ist ein Exempel angenehm durchgeknallter Collage- und Montagekunst, das mit einem Musiker-Biopic noch viel weniger zu tun hat als Todd Haynes aktuelle Dylan-Dekonstruktion "Im Not There". Kagel selbst hat zu seinem - übrigens für den WDR produzierten - Film gesagt: "Die immanente Lebendigkeit der Collagetechnik beruht vielleicht in der fließenden Grenze zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen dem Hier und Woanders, zwischen privatem und öffentlichem Bewusstsein." Dem ist so viel nicht hinzuzufügen. Mit den Mitteln der Collage zersetzt Mauricio Kagel virtuos alle Regeln der Kunst. Mit dem Jux, den er sich macht, ist es ihm dabei durchaus ernst. Deshalb darf man, was er aus Kontexten gerissen, was er ruiniert, defiguriert und dann assoziativ remontiert hat, keinesfalls nach Maßgabe allzu deutlichen Sinns wieder zusammenreimen.
Die DVD gibt es für rund 21 Euro zum Beispiel bei www.plattenladen.com
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