Durch die Welt der Viren: Abwarten und Teetrinken
Statt sich impfen zu lassen, liest unser Kolumnist viele Bücher über Viren. Dabei lernt er viel über diese – und über sich selbst wohl auch.
S tatt mich impfen zu lassen, lese ich Bücher über Viren. Nicht dass ich meine, das hilft. Zwar haben ein Freund und ich 2001 angefangen, Biologie zu studieren, aber die Viren außen vor gelassen, weil sie nicht zu den Lebewesen zählen. Es ging uns zunächst darum, dem um sich greifenden Genwahn die ins Abseits gedrängte organismische Lebensforschung entgegenzuhalten. Damals wurde täglich ein neues Gen „isoliert“: Eifersuchtsgene, Neidgene, Schönheitsgene und so weiter.
Der Kreuzberger Buchladen Schwarze Risse hat inzwischen ein ganzes Coronaregal. Zunächst das Buch der Virologin Karin Mölling „Supermacht des Lebens. Reisen in die erstaunliche Welt der Viren“. Ich verstand darin nur, dass die Viren schon fast zu den Lebewesen zählen und dass sie wahrscheinlich am Anfang allen Lebens stehen. Karin Mölling hat den Viren ihr Leben gewidmet. Die kriegerischen Begriffe bei der „Bekämpfung gefährlicher Viren“ hält sie für wenig hilfreich.
Den nächsten Virenanlauf nahm ich mit dem Jugendbuch des organismischen Biologen Karsten Brensing „Die spannende Welt der Viren und Bakterien“. Schön, aber darin vermisste ich vollends das Wie der Virenforschung: Mit welchen Geräten sieht und bearbeitet man Viren, was tun diese Geräte, mit welchen Programmen?
Auf höchstem technischen Niveau
Ich habe ja keine Ahnung. Anders der Mitarbeiter im Forschungsnetz Zoonotische Infektionskrankheiten, Philipp Kohlhöfer. In seinem Buch „Pandemien – Wie Viren die Welt verändern“ schreibt er, nachdem er die tödlichen Erreger in der Geschichte der Seuchen behandelt hat und die Bemühungen, weitere gefährliche Viren und ihre Zwischenwirte zu identifizieren: „Man muss neue Viren aber nicht finden. Man kann sie auch bauen.“ Oh! Ist die Gentechnik eine Bastelei auf höchstem technischen Niveau?
Das Vorwort zu Kohlhöfers Buch schrieb der Chefvirologe Christian Drosten. Er spricht von „Popliteratur“, womit er jedoch nichts gegen Kohlhöfers Virologen-Recherchen sagen will.
Ich fand diese alle gut überlegt, sie gingen aber an meinen Wissenswünschen vorbei.
Das nächste Buch, „Blinde Passagiere. Die Coronakrise und die Folgen“, war vom Arzt und Sozialhistoriker Karl Heinz Roth. Er befasst sich darin ebenfalls mit den Gesundheitssektoren, den internationalen Forschungseinrichtungen, Stiftungen und Gremien – dazu noch nach Kontinenten und Ländern sortiert. Er stellt zwar die „Maßnahmen“ der Regierungen und Institutionen gegen die „Covid-19-Pandemie“ nicht grundsätzlich infrage, kritisiert jedoch im Einzelnen ihre Unzulänglichkeit, die hierzulande unter anderem aus der Übernahme von Katastrophenschutzplänen gegen Atomwaffen resultiert: „Von FALLEX zu LÜKEX“.
Das Gespür der Ludditen
Karl Heinz Roth interessiert die Viren vor allem in ihrer Verbreitung als Seuche und deren Bekämpfung. Anders der US-Sozialhistoriker Mike Davis, der sich in seiner Studie „Vogelgrippe. Zur gesellschaftlichen Produktion von Epidemien“ auf das Virus H1N1 und seine Mutationen sowie auf seine Zwischenwirte konzentrierte, und natürlich auch auf die Eindämmungsmaßnahmen (fast alle Corona-Autoren kritisieren das Unsoziale daran).
So langsam weiß ich dennoch mehr über Viren. Macht es Sinn, die Hightech-Hochburgen der Virologen zu stürmen – zu ludden? „Wie steht es um das Gespür der Ludditen?“ Fragte sich zu Beginn des Neoliberalismus 1984 der US-Schriftsteller Thomas Pynchon in der „New York Times Book Review“: „Werden Computer-Zentraleinheiten dieselbe feindliche Aufmerksamkeit auf sich ziehen wie einst die Webmaschinen?“
Ich bezweifle es sehr. Aber wenn die Kurven der Erforschung und Entwicklung von künstlicher Intelligenz und Molekularbiologie konvergieren … Junge Junge! Es wird unglaublich und nicht vorherzusagen sein, und selbst den höchsten Tieren wird es, so wollen wir demütig hoffen, die Beine wegschlagen. Es ist bestimmt etwas, worauf sich alle guten Ludditen freuen dürfen, wenn Gott will, dass wir so lange leben sollten.“ Pynchon plädiert also für Abwarten und Teetrinken.
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