Duoalbum David Grubbs & Jan St. Werner: Die Wörter abklopfen
Die Musiker David Grubbs und Jan St. Werner erinnern mit ihrem ersten Duo-Album „Translation from Unspecified“ daran, wie zugänglich Avantgarde war.
„Die welt ist sirup aus der sprache unsrer väter“. Der österreichische Schriftsteller Oswald Wiener wusste, wo der Hammer hängt. Er zertrümmerte damit Worte, Grammatik und Sinn in „die verbesserung von mitteleuropa, roman“ nach Gusto.
Das Goldene Zeitalter der europäischen Avantgarde war beim Erscheinen von Wieners Werk, 1969, schon am Abklingen, dennoch konnte sie ihre Formensprachen und Gedankenwelten damals auch zur besten Sendezeit einem Mainstreampublikum darbieten, das sich bereitwillig provozieren ließ und dessen Zielgruppen noch nicht auseinanderdividiert waren.
Der New Yorker Musiker David Grubbs erweckt jene versunkene Ära zu neuem Leben – ganz selbstverständlich, als müsse er nur die Snooze-Taste am Wecker betätigen, nimmt er Wieners Hammer aus der Museumsvitrine.
Hammer als Werkzeug
Auf Grubbs’ neuem Album „Translation from Unspecified“, entstanden zusammen mit seinem Berliner Künstlerkollegen Jan St. Werner, ist der Hammer kein mythengetränktes Symbol, sondern schlicht und einfach Werkzeug. Grubbs hämmert damit; nie ehrfürchtig, feinstofflich geht er zu Werke, jedes Wort, jede Silbe abwägend, behutsam und beharrlich nach Klang abklopfend, und so stößt er wieder auf Sinn, an Stellen, wo gar kein Sinn mehr zu existieren schien.
David Grubbs und Jan St. Werner: „Translation from Unspecified“ (Blue Chopsticks/Drag City/Rough Trade)
David Grubbs: „Good night the pleasure was ours“. Duke University Press, Durham/London 2022, 157 Seiten, ca. 20 Euro
„Translation / From Unspecified / Detected / Translate from unspecified / Indistinct / Detect buildings / Buildings undermined / Stones / Trees / Translate from / Unbitten / Indistinct / Detect on / Undermined …“ Worte wie Felsbrocken, die die beiden Musiker bergen und bearbeiten, als wären sie in einem Steinbruch. St. Werner bohrt das Gesprochene von allen Seiten aus an, mal schroff, mal ziseliert unterbricht er den Flow der Worte mit extravaganten Störgeräuschen, mal beschleunigen diese die Worte, mal bringen sie die Worte zum Verglühen.
Während St. Werner beim 18-minütigen Titeltrack oftmals das Echo von Grubbs’ Stimme verfremdet und sie so in andere Sphären bugsiert, kehrt er bei der 19-minütigen Riff-Rêverie „Soixante Ooze“, einem Instrumentalstück, das auf einer meditativen Gitarren-Hookline von Grubbs basiert, alles Störende weg und hält Begleitgeräusche von Verstärker und Gitarre fern. Faszinierend an „Translation from Unspecified“ ist die Reduktion auf das Wesentliche: Musik als formstrenge und funktionale Konzentration zweier Kräfte.
David Grubbs und Jan St. Werner: „Translation from Unspecified“ (Blue Chopsticks/Drag City/Rough Trade)
David Grubbs: „Good night the pleasure was ours“. Duke University Press, Durham/London 2022, 157 Seiten, ca. 20 Euro
Eingeführte Künstler
St. Werner und Grubbs kennen sich bereits seit den 90er Jahren. Jeder für sich ist als Künstler eingeführt. In der elektronischen Klangerzeugung jenseits des Dancefloors reüssierte St. Werner mit dem Duo-Projekt Mouse On Mars (zusammen mit Andi Thoma). Grubbs wurde bekannt in der US-Postrockszene, die er zunächst in den Bandprojekten Bastro und Gastr Del Sol entscheidend mitprägte, dann auch als Solist und in Projekten mit wechselndem Personal.
„Translation from Unspecified“ ist ihr erstes gemeinsames Album. Die geometrisch abgezirkelte Arbeitsteilung schiebt den Prozesscharakter an: Grubbs spricht, spielt Gitarre und Keyboard, Werner bricht das Gespielte und Gesprochene am Laptop auf. Elegant und zugleich abrupt gewährt ihre Musik ein Stück Sicherheit in unsicheren Zeiten. Wie ein Nachen, der auf düsterem Gewässer in See sticht und trotz Sturm die Fahrrinne hält.
Alte Kommunikationslinien werden wieder aufgenommen, neue Artikulationsnischen gebildet. „Translation from unspecified / to Unspecified / from / Translation to unspecified / from Unspecified / Translation to Unspecified / from Unspecified …“ Grubbs markiert die Methodik des Gesprochenen im lakonischen Ton. Ruhig, scheinbar emotionslos zählt er auf, und während des Aufzählens wandelt er das Gesagte ab. Die empirische Wirklichkeit ficht ihn erst mal nicht an.
Klang der Worte
Der taz schreibt er: „Ich gestehe, dass ich schon den reinen Klang jener Worte mag. Ihre Bedeutungen interessieren mich an sich weniger. Es wird allerdings behauptet, Wortwiederholungen und repetitive Textzeilen in Musik eliminieren deren Bedeutungen, weil Worte zu reinem Klang zerfließen. Als ich an den Worten für die Musik gearbeitet habe, habe ich mich genau in die entgegengesetzte Richtung bewegt: Durch die stupende Repetition bekam ich überhaupt wieder eine Chance, über die mannigfaltigen Wortbedeutungen nachzudenken.“
Worte bleiben stehen, und Bedeutungen können sacken. Wie sich die beiden Musiker Zeit nehmen, ist beeindruckend: Selbst Pausen und Momente der Stille, in denen überraschenderweise auch St. Werner verstummt, wirken dadurch aufputschend. Um sich zu inspirieren, hat der New Yorker Künstler an einer Übersetzung eines Textes von Gerhard Rühm experimentiert.
Weil die freie Übersetzung in verschiedene Sprachen zu keinen greifbaren Ergebnissen geführt hat, kam er auf die Idee, in einem Songtext das Thema Übersetzung aufzugreifen: „Translation from Unspecified“ beginnt zwar mit Worten, die isoliert von ihren Bedeutungen erklingen. Allmählich entpuppt sich aus der unspezifizierten Übersetzung eine Geschichte, in der Gebäude zu Bäumen werden.
Konzertkarriere als Langgedicht
Mit Formen, Bedeutungen und Übersetzungen spielt Grubbs auch in seinem neuen Buch „Good night the pleasure was ours“. Er lässt darin seine rund 30-jährige Konzert- und Tournee-Karriere als Musiker in einem Langgedicht Revue passieren. Keine Sorge, man muss hier keinem Bekenntniszwang in Tourtagebuchform folgen.
Stattdessen durchkreuzen sich Form, Fiktion und wahre Begebenheiten immer wieder auf äußerst kreative Weise. Umso mehr, weil die Anordnung von Worten, Silbentrennungen regelmäßig den Plot unterbricht, so dass selbst Anekdoten, wie die vom Spreißel, den sich der Drummer bei einem Konzert im Hamburger Grünspan in die Ferse gerammt hat, anmuten wie ein dreifüßiger Jambus in Ovids „Metamorphosen“.
Wie bei Grubbs Zeitgeschehen als Realitätsblitze in die Strophe einschlagen, das hat was: Sei es die Konfusion im Berlin zur Wendezeit, Bargespräche, während im Fernseher über dem Tresen Panzer am Platz des Himmlischen Friedens in Peking auffahren. Aus dem romantischen Künstlerdasein wird Luft gelassen, und gerade im sinnlosen Warten vor dem Soundcheck, der monotonen Landschaften, die sich bei der Fahrt von Auftritt zu Auftritt neben Highways und Autobahnen auftun, Poesie geschürft. David Grubbs, Fänger im Rocken.
Fänger im Rocken
„It’s easy to learn the thing that makes the audience howl: the pulling up
Quick, potent milliseconds of silence, tinnitus pre-echo, tremor
Graduating to temblor, ominous absence
of impact …“
Hier durchschaut jemand das Spiel, wird aber deswegen – zum Glück – nicht ignorant. David Grubbs bleibt neugierig, reflektiert munter weiter und ist dadurch weiterhin relevant.
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