Dschihadistische Propaganda im Netz: „Abrechnung mit Deutschland“
Mit modernen Mitteln gegen die Moderne: Terrorforscher legen die erste große deutsche Studie über die Propaganda von Dschihadisten im Netz vor.
BERLIN taz | Das Cover zeigt einen vermummten Kämpfer, dahinter die Umrisse von Berlin. Dann folgt die „Abrechnung mit Deutschland“, wie die Dschihadisten ihre Botschaft überschreiben. Es ist ein Aufruf zum Mord an allen, die Karikaturen des Propheten zeigen. Man solle sie köpfen, die Tötung filmen – und die Clips öffentlich machen.
Als dieser Mordaufruf vor Kurzem durchs Netz geisterte, war die Aufregung groß. Von einer „neuen Medienoffensive“ deutscher Islamisten sprach der Verfassungsschutz. Doch so heftig der Aufruf, ganz neu ist das Netzwerk hinter der Drohbotschaft nicht. Globale Islamische Medienfront steht dort als Urheber, eine Propagandatruppe, die seit Jahren immer wieder im Netz ihr Unwesen treibt - aller staatlichen Repression zum Trotz.
Die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin hat nun die erste große deutsche Sammelstudie zum Internetdschihad veröffentlicht. Der taz lag sie vorab vor. Darin schildern der Terrorismusforscher Guido Steinberg und weitere Kollegen aus Deutschland und Österreich, wie sich die dschihadistische Propaganda in den letzten fünfzehn Jahren verändert hat – und wie der Dschihad im Netz schließlich deutsch wurde.
Vom Fax zum Forum
Die Studie schlägt einen großen Bogen, angefangen in den 90er-Jahren. Damals schickte die Terrordachorganisation Al-Qaida ihre Erklärungen noch per Fax an eine palästinenische Zeitung in London, zeitgleich entstanden erste Internetseiten zur Verbreitung von Dschihad-Propaganda. Und während Al-Qaida nach dem 11. September 2001 noch eine Weile per Kurier Videokassetten an den Fernsehsender Al-Dschasira schickte, übernahmen bald arabischsprachige Dschihad-Foren wie „Ansar“ oder „Shumukh“ die Verbreitung des Materials.
Inzwischen sind die Massen an Propaganda im Netz kaum mehr zu überblicken. Längst sind die Dschihadaktivisten auch bei Twitter, Facebook und YouTube präsent. „Ironischerweise nutzen die Dschihadisten das modernste Mittel der Kommunikation, um gegen die Moderne zu kämpfen“, schreibt der Wiener Wissenschaftler Nico Prucha in der SWP-Studie. Und das längst nicht mehr nur auf Arabisch oder Englisch.
Den Zeitpunkt, als der Dschihad im Netz deutsch wurde, datieren die Dschihad-Forscher auf Ende 2005. Damals gründete der Österreicher Mohamed Mahmoud den ersten deutschsprachigen Ableger der Globalen Islamischen Medienfront (GIMF). Anders als die offiziellen Medienstellen von al-Qaida wurde diese Truppe nicht von eng an das Terrornetz angebundenen Kadern betrieben, sondern von Unterstützern und Sympathisanten, die vom Computer den bewaffneten Kampf gegen die „Ungläubigen“ promoten, indem sie Dschihadvideos übersetzen oder untertiteln.
Erfolglose Gegenmaßnahmen
Die deutsche GIMF existierte zunächst bis 2008, bis mehrere Verhaftungen von Aktivisten von Wien bis Bremen das Propagandaprojekt vorerst stoppten. Doch immer wieder tauchten neue deutschsprachige, zum Teil offen Gewalt verherrlichende Internetseiten auf. Manchmal existieren diese nur wenige Monate – manchmal werden sie aber auch wiedereröffnet. So wie vor wenigen Wochen, als in einflussreichen Dschihadforen plötzlich wieder Hassbotschaften der deutschen Sektion der "Globalen Islamischen Medienfront" auftauchten.
Terrorismusforscher Guido Steinberg konstatiert, dass sich seit 2005 eine deutsche Internetdschihadszene gebildet habe, die „trotz aller Gegenmaßnahmen fortbesteht und maßgeblich zur Radikalisierung junger Muslime beiträgt“. Er und seine Kollegen wollen keine Panik verbreiten: „Es gibt in Deutschland nicht mehr als einige Hundert Dschihadisten und wenige Tausend Unterstützer und Sympathisanten“, heißt es in der Studie.
Die Gefahr, die die Forscher aber sehen, ist: Einzelne könnten sich von der Flut an Propaganda zum „individuellen Dschihad“ anstacheln lassen. Durch das Netz vollziehe sich die Radikalisierung junger Männer oft „in nur wenigen Monaten statt wie in früheren Zeiten in Jahren“.
In Deutschland hat diese Gefahr einen Namen: Arid Uka. Der erschoss am 2. März 2011 in Frankfurt zwei US-Soldaten – und hatte sich fast ausschließlich über das Internet radikalisiert. „Ein Warnzeichen“, so die Dschihad-Forscher.
Deutschland sucht den Szene-Aussteiger
In ihrer Studie machen sie sich daher auch Gedanken über Gegenmaßnahmen. Die wichtigste Aufgabe sei es, zu verhindern, „dass die jetzt schon in großer Zahl im Gefängnis einsitzenden Dschihadisten nach ihrer Freilassung als neue Stars der Szene auftreten“, schreibt Guido Steinberg.
Er hofft auf eine Entwicklung, wie sie im Kampf gegen den Rechtsextremismus gelungen ist: Man müsse Szene-Aussteiger dafür gewinnen, junge Dschihad-Sympathisanten „zu überzeugen, dass der bewaffnete Kampf ein Irrweg ist“.
Doch während es in Großbritannien prominente Beispiele ehemaliger Kämpfer gibt, die heute gegen die Dschihad-Ideologie ankämpfen, sucht man diese in Deutschland bisher vergeblich.
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