Drohungen von US-Präsident Trump: Nehmt ihn beim Wort
Als US-Präsident setzt Trump einfach nur um, was er angedroht hat. Wenn die neuen Medien sein Spiel mitspielen, sind die alten Gatekeeper gefragt.

A ufstehen fällt schwer, wenn mit dem Griff zum Smartphone der quälende Gedanke einhergeht: „Was ER heute Nacht wohl wieder angestellt hat?!“ Es scheint zunehmend rational, das Schlimmste zu erwarten. Denn die Messlatte der Realität bewegt sich mittlerweile irgendwo zwischen Androhung der Annexion eines Landes als 51. Bundesstaat und blumigen Lobpreisungen der russischen Demokratie. Immerhin bekam ich bisher keine Einladung, im Messenger-Dienst Signal sensible Informationen zu US-Kriegseinsätzen mit Emojis zu kommentieren. Immerhin.
„Doomscrolling“ ist seit dem Wahlsieg von Donald Trump zum Synonym für das Verfolgen von Nachrichten geworden. Doch es wäre falsch, allein Social Media das Bröckeln der US-Demokratie anzulasten. Viele der Hiobsbotschaften werden nicht zufällig von ehemaligen Fox-News-Mitarbeitenden überbracht, die ganz selbstverständlich auf der Regierungsbank Platz genommen haben. Zwischen mehr oder weniger geistreichen Ideen zur Überwindung der Eierpreis-Krise wird die Trump-Administration nicht müde, den Anbruch eines „Goldenen Zeitalters“ zu verkünden.
Wer betreibt hier Cancel Culture?
„In Europa verlieren sie gerade ihr wunderbares Recht auf freie Meinungsäußerung“, klagte Trump kürzlich, angesprochen auf die Rede, die sein Vize J. D. Vance auf der Münchener Sicherheitskonferenz gehalten hatte. Eine mögliche Auslegung dieses „Kampfes für Meinungsfreiheit“ offenbart sich in diesen Tagen auf X, der Social-Media-Plattform von MAGA-Großspender und Quasi-Regierungsmitglied Elon Musk, wo nach der Festnahme des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem İmamoğlu gleich Dutzende regierungskritische Accounts geblockt wurden.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Diejenigen, die sich zuvor lautstark über eine vermeintliche liberale Sprachpolizei echauffierten, stört es nun nicht, wenn das Ignorieren von Trumps neuen Sprachregelungen zum Golf von Mexiko eine Ausladung von Journalisten aus dem Weißen Haus nach sich zieht. Die Frage, wofür Menschen eigentlich wirklich stehen, die zu all dem schweigen und die Redefreiheit ausgerechnet dann anführen, wenn es um die Zulässigkeit von Vergleichen zwischen LGBTQ+ und Geisteskrankheiten geht, ist nicht allzu schwer zu beantworten.
Um die Wissenschaft zu „befreien“, werden Gelder gestrichen und Listen mit ab sofort verdächtigen Wörtern für Förderanträge erstellt. Komisch – das hierzulande beim Thema Cancel Culture sonst überaus laute Netzwerk Wissenschaftsfreiheit hat dazu keine Pressemitteilung veröffentlicht.
Propagandastrategie: Accusation in a Mirror
Landauf, landab veröffentlichen deutsche Zeitungen zugleich Tipps für Reisende, damit diese trotz Trump-Kritik im Familienchat weiterhin unbeschadet ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten einreisen können. Manch eine wünscht sich da doch glatt die gute alte Zeit der vermeintlichen linken Meinungsdiktatur zurück, deren Auswüchse sich lediglich in Form queerer Buchoptionen in Schulbibliotheken manifestierten.
Doch das Rezept des MAGA-Lagers erinnert nicht umsonst an die alte Propagandatechnik „Accusation in a Mirror“, wonach es der politischen Konkurrenz konsequent all das anzudichten gilt, was die eigene Gruppe selbst im Schilde führt. Selbst eine Verfassungskrise lässt sich so mit dem bequemen Einwand beiseite wischen, die anderen hätten es schließlich nicht anders getan – wenn man sie nur gelassen hätte.
Bei der Inauguration von Donald Trump kam das Who is Who des Silicon Valley zusammen. Das ist praktisch, denn die Schlachten des Trump’schen Kulturkampfs werden in nicht unerheblichem Ausmaß in den digitalen privaten Vorgärten dieser Männer ausgetragen. Dort dirigiert einen der Empfehlungsalgorithmus vom MAGA-Content direkt zu 20-jährigen Cryptotradern, die einen tieferen Sinn hinter Trumps Handelspolitik zu erkennen glauben. Es ist ein Ökosystem mit eigenen Codes und vielen Amerika-Emojis. Wo etwa ein kleiner Junge mit großen Augen erklärt, was einen echten konservativen Kerl so ausmache.
Ein paar Wischbewegungen weiter sagt eine aufgewühlt wirkende Lehrerin, sie bereue ihre Wahlentscheidung. Wer hätte schließlich ahnen können, dass der Deep State nun auch mittels Abschaffung des Bildungsministeriums bekämpft werden muss.
Das Phänomen Silencing
Ob alles oder nichts davon Fake ist, lässt sich nicht sagen. Daran wird sich vorerst auch nichts ändern. Die Kooperation zwischen dem Instagram- und Facebook-Mutterkonzern Meta und Factchecking-Organisationen wird in den USA eingestampft. Ich höre erst auf zu scrollen, als ich bei Chemtrails und der flachen Erde angekommen bin.
Die derzeitige Haltung der großen Silicon-Valley-Player spielt vor allem dem MAGA-Team in die Hände. Im Meta-Verwaltungsrat sitzt jetzt auch Dana White, Kampfsport-Veranstalter und langjähriger Trump-Verbündeter. Und über die Rolle von X scheint alles gesagt. Vorbei sind die Zeiten, als Mark Zuckerberg und Elon Musk sich beim Cagefight duellieren wollten. Nun ist man sich einig, dass man die Meinungsfreiheit gegen Eingriffe des Staates verteidigen muss. Jedenfalls dann, wenn es um den Digital Services Act und andere lästige Rechtsvorschriften der EU geht. Gleichzeitig verkaufen rechtsextreme Identitäre auf X Exklusivcontent für 7 Euro im Monat – wie so ganz normale Influencer.
Es gibt eine vielzitierte Studie zum Stand der Meinungsfreiheit. Eine der Fragen lautet: „Haben Sie das Gefühl, dass man heute in Deutschland seine politische Meinung frei sagen kann, oder ist es besser vorsichtig zu sein?“ Abgesehen davon, dass vorsichtiges Nachdenken vor dem Tätigen politischer Aussagen generell nie verkehrt ist, neige ich mittlerweile zu berufsbedingter Vorsicht. Die Unbefangenheit kommt eben abhanden, wenn man schon einmal einen Post veröffentlicht hat, unter dem sich ein paar Stunden später eine wahre Jauchegrube von bösartigen Kommentaren auftut, weil man von einem großen rechtsextremen Account markiert wurde.
Das Phänomen des Silencing ist wissenschaftlich gut untersucht. Wer negative Erfahrungen macht, zieht sich aus Debatten zurück. Digitale Gewalt ist ein beschönigendes Wort dafür, dass da anschließend irgendwo Menschen morgens aus der Haustür gehen und sich fragen, ob diese „Kameraden“ wirklich wissen, wo die Kinder zur Schule gehen.
Eine offene Kampfansage
Bei dieser Art von Meinungsfreiheit machen diejenigen, die am lautesten brüllen, irgendwann alles nur noch unter sich aus. Erst recht, wenn es der Plattformeigner vormacht: Infolge Dutzender X-Posts von Elon Musk, in denen er Richter als „böse“ beschimpft und eine „Tyrannei der Justiz“ beklagt, äußerten mehrere US-Bundesrichter gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, sie hätten Sorge um ihre Sicherheit. Aber dafür spart man Kosten bei der Content-Moderation.
Ein Präsidentschaftskandidat, der es schafft, in Wahlkampfzeiten an einem Tag mehr als vierzig falsche Aussagen zu tätigen, wird auch in Regierungszeiten kein gutes Verhältnis zu Medien entwickeln. Jedenfalls zu Medien, deren Anspruch es ist, mehr als nur Hofberichterstattung zu betreiben. Viele von Trumps Lügen schüren gezielt Hass gegen Gruppen. Diese Art von Desinformation ist das emotionale Schmiermittel der großen Verschwörungserzählung eines angeblichen Deep State. Erst die Bösartigkeit überzeichneter Feindbilder macht den eigenen Gegenentwurf wirklich attraktiv.
Autoritäre Politiker arbeiten sich mit Vorliebe an Justiz, Medien und Wissenschaft ab, weil es ihnen im Kern um Deutungshoheit geht. Deutungshoheit über Instanzen, die die eigene Autorität untergraben könnten. In seiner eigenen Kommunikationsblase bleibt Trump dank Verschwörungserzählungen über seriöse Medien Held unzähliger Geschichten.
Es ist eine Katastrophe mit Ansage, nur leider wollten das viele nicht wahrhaben. Eine offene Kampfansage an die unabhängige Justiz ist nicht wirklich überraschend, wenn sie aus dem Mund eines Präsidenten kommt, der bei seinen Wahlkampfveranstaltungen Capitolstürmer die Nationalhymne singen ließ. Erst vor Kurzem bezeichnete Trump die Berichterstattung über ihn von großen US-Medien wie CNN als „illegal“.
Wenn die neuen Medien sein Spiel mitspielen, wäre es umso wichtiger, dass die alten Gatekeeper laut werden. Doch zwischen unzähligen „umstrittenen Aussagen“ fiel es einigen von ihnen offenbar schwer, eine angemessene Sprache für das große Ganze zu finden. In der Zwischenzeit haben gleich mehrere renommierte Faschismusforscher angekündigt, die USA zu verlassen.
Vielleicht wären wir besser beraten, die Aussagen von autoritären Akteuren dazu, was sie an der Macht vorhaben, nicht länger fantasievoll umzudeuten. Vielleicht ist manchmal einfach genau das gemeint, was gesagt wurde. Auch wenn es schwerfällt, das zu glauben.
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