Drohnenkrieg und Völkerrecht: „Lizenz zum Töten“
Die USA schweigen meist zu Drohneneinsätzen. Amnesty International dokumentiert nun willkürliche Tötungen von Zivilisten. Deutschland liefert Handydaten.
BERLIN taz | Wenn Pakistans Premier Nawaz Sharif am Mittwoch von US-Präsident Barack Obama im Weißen Haus empfangen wird, will er auch die umstrittenen US-Drohnenangriffe in seinem Land ansprechen. Diese beenden zu wollen, hat der seit Juni amtierende Sharif schon lange versprochen.
Auf dem Weg nach Washington sagte er jetzt laut der pakistanischen Zeitung The News bei einem Zwischenstopp, dass es in der Frage der US-Drohnenangriffe kein Doppelspiel seiner Regierung gebe. Diese verletzten Pakistans territoriale Integrität und Souveränität.
Auch Sharifs Vorgänger hatten die US-Angriffe kritisiert. Zugleich gab es aber viele Indizien, dass zumindest Pakistans mächtige Militärführung diese unterstützt. Die US-Angriffe auf mutmaßliche Terroristen mit unbemannten ferngelenkten Flugkörpern lösen immer wieder Proteste aus und treiben den Islamisten neue Anhänger zu. Denn die Drohneneinsätze, über die Washington keine Angaben macht, töten immer wieder auch Zivilisten.
Am letzten Freitag hatte der „UN-Sonderberichterstatter für die Förderung und den Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten bei der Bekämpfung des Terrorismus“, Ben Emmerson, Zahlen der pakistanischen Regierung veröffentlicht. Demnach gab es in Pakistans halbautonomen Stammesgebieten an der Grenze zu Afghanistan, dem Rückzugsgebiet von Kämpfern der Taliban und von al-Qaida, von 2004 bis März 2013 mindestens 330 Drohnenangriffe mit 2.200 Toten. 400 bis 600 Tote seien Zivilisten gewesen, schwerverletzt wurden 600 Personen. Laut Emmerson sind die realen Zahlen wohl noch höher.
USA bestätigt keine einzelnen Drohneneinsätze
Der Brite Emmerson legte kürzlich einen Zwischenbericht zu Drohneneinsätzen vor. Darin fordert er die US-Regierung auf, die Drohnenangriffe auf mutmaßliche Terroristen juristisch zu begründen und Angaben etwa über Opferzahlen zu machen. Bisher bestätigen die USA einzelne Drohneneinsätze nicht, nachdem sie sich zu diesen auch generell lange überhaupt nicht geäußert haben.
Bei einem Verdacht auf die Tötung Unschuldiger mittels Drohnen sind die USA laut Emmerson verpflichtet, eine „unabhängige und unparteiische Untersuchung“ einzuleiten. Zugleich räumt er ein, dass es international keine Einigkeit über die rechtlichen Grenzen von Drohnenangriffen gibt.
Laut einem Bericht der Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) zu Drohnenangriffen in Pakistan, der an diesem Dienstag erscheint, sind viele der US-Dohnenangriffe „ungesetzliche Tötungen“, von „denen einige Kriegsverbrechen sein können“.
Auch AI kritisiert die Informationsblockade: „Die Geheimhaltung um das Drohnenprogramm gibt der US-Regierung eine Lizenz zum Töten jenseits der Erreichbarkeit von Gerichten oder Grundsätzen des Völkerrrechts“, sagt AI-Pakistanexperte Mustafa Qadri. „Welche Hoffnungen kann es für Opfer samt Familienangehörigen von Drohnenangriffen geben, wenn die USA nicht einmal für bestimmte Angriffe die Verantwortung übernehmen?“
Weder Begründung noch Entschädigung
AI untersuchte 9 der 45 Angriffe, die es in Nord-Waziristan zwischen Januar 2012 und August 2013 gab. Am 24. Oktober 2012 tötete eine Rakete, die von einer Drohne abgefeuert wurde, die 68-jährige Bäuerin Mamana Bibi bei der Ernte. Die sie begleitenden Enkel wurden verletzt.
Laut AI waren tagelang Drohnen über das Gebiet geflogen, weshalb die Bauern keine Angst mehr gehabt hätten. Umso überraschender sei dann der Angriff gewesen. Als Angehörige die Opfer bergen wollten, habe es einen zweiten gegeben. Seitdem hätten die Überlebenden weder eine Begründung für den Angriff geschweige denn eine Entschuldigung und Entschädigung erhalten.
AI beklagt das Doppelspiel pakistanischer Stellen und fordert Regierungen wie die deutsche auf, den USA nicht mit Geheimdienstinformationen bei solchen Angriffen zu helfen. Die Bundesregierung verlasse sich auf die Selbstauskunft der USA, wonach das Völkerrecht eingehalten werde.
Deutschland soll keine Daten liefern
„Die Bundesregierung muss endlich öffentlich einfordern, dass auch die USA sich an das geltende Recht halten. Deutsche Behörden dürfen die rechtswidrigen Drohnenangriffe der USA nicht auch noch unterstützen“, erklärte die deutsche AI-Sektion. Pensionierte pakistanische Geheimdienstoffiziere hätten der Menschenrechtsorgansiation berichtet, dass Deutschland dem US-Geheimdienst CIA Daten wie „Handy-Nummern von späteren Drohnen Opfern“ geliefert habe.
Obamas Versprechen vom Mai, bei Drohnenangriffen selektiver zu sein und besser zu informieren, begrüßt AI. In der Praxis sei davon jedoch nichts zu merken.Die US-Regierung hat im Vorfeld von Sharifs Washington-Besuch angekündigt, die Militärhilfe für Pakistan wieder aufzunehmen. Ob dies ein Versuch ist, Sharifs Druck auf ein Ende der Drohnenattacken abzumildern, dürfte sich in den nächsten Tagen zeigen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“