Drohende Neuwahlen in Israel: Von den Toten erwecken

Die Koalition mit Netanjahu ist dysfunktional, sie weiterzuführen, kann man von Gantz nicht erwarten. Jetzt muss sich das linke Lager neu sortieren.

Benjamin Netanjahu und sein Koalitionspartner Benny Gantz auf einem riesigen Werbebanner in Ramat Gan, Israel

Wahlwerbung vom Februar: Netanjahu und sein Koalitionspartner Benny Gantz (l.) Foto: imago

Israel steuert auf Neuwahlen zu. Schon wieder. Auf dem Höhepunkt der Coronakrise hat nun auch der Koalitionspartner Benny Gantz dafür gestimmt. Er hatte keine andere Wahl. Denn eine Fortsetzung der Regierung würde das Elend nur verlängern. Auch wenn einige sagen, dass die Regierungsbeteiligung von Gantz' Partei Blau Weiß zumindest dafür gesorgt hat, dass Netanjahu wichtige Posten nicht mit seinen Verbündeten vom rechten Rand besetzen konnte: Gantz, der ehemalige Kopf der israelischen Armee, unerfahren in politischem Taktieren, war hilflos gegenüber den schmutzigen Bandagen, mit denen der Weltklasse-Stratege und Zauberer Netanjahu spielte.

Man darf nicht vergessen: Neuwahlen wird es ohnehin geben. Kein Israeli hat jemals geglaubt, dass Netanjahu Gantz seinen Posten nach zwei Jahren – wie vereinbart – übergeben würde. Unter diesen Bedingungen eine derartig dysfunktionale Regierung, wie es die jetzige ist, weiterzuführen, kann man von Gantz nicht erwarten. Die Händelung der Coronakrise ist ein Desaster, wichtige Ämter des öffentlichen Dienstes wie das des Generalstaatsanwalts, des Generaldirektors des Justizministeriums und die Leitung der Haushaltsabteilung im Finanzministerium sind wegen Rangeleien zwischen den Regierungsparteien seit Monaten unbesetzt. Und noch immer gibt es keinen Haushalt für 2021.

Trotz sinkender Umfragewerte für Netanjahu gilt bei Neuwahlen eine Regierung unter jemand Anderem als Netanjahu als ausgesprochen unwahrscheinlich. Der Schaden, den die Regierungskoalition für das Mitte-Links-Lager angerichtet hat, ist indes riesig. Gantz Glaubwürdigkeit ist bei den Wähler*innen seines blau-weißen Bündnisses sturzflugartig gesunken, die Arbeitspartei Avoda in Folge ihres Regierungsbeitritts in der Bedeutungslosigkeit verschwunden.

Doch für das darniederliegende Mitte-Links-Lager könnte nun die Zeit sein, wieder zu sich zu kommen, die Arbeitspartei Avoda von den Toten zu erwecken und eine vernünftige Kooperation mit den arabischen Parteien aufzubauen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Jahrgang 1979, Dr. phil., lebt in Tel Aviv, seit 2019 Korrespondentin für Israel und die palästinensischen Gebiete.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.