Drogentote in Hamburg: Tödliche Ersatzdroge
Methadon gilt als Hoffnung für Drogenabhängige, doch die aktuellen Zahlen werfen Fragen auf. In Hamburg sterben immer mehr Menschen an dem Ersatzstoff.

Die Statistik unterscheidet zwischen mono- und polyvalenten Vergiftungen, also ob nur eine Substanz oder mehrere zum Tod geführt haben. 28 Personen starben durch den Konsum von nur einer Droge, davon 17 Personen an einer Vergiftung allein durch Methadon. Mit 47 Verstorbenen hat ein Großteil der Verstorbenen verschiedene Substanzen gleichzeitig zu sich genommen, vor allem Kokain und Crack. Aber auch Methadon kommt bei 32 Verstorbenen in der Auflistung von Mischkonsum fast genauso häufig vor wie Crack, das 33 Mal konsumiert wurde. In 17 Fällen wurde neben anderen Drogen auch Heroin konsumiert.
Erst kürzlich forderte die Hamburger Linksfraktion in einer Pressemitteilung dazu auf, Anreize für Arztpraxen zu schaffen, um Substitute zu verschreiben. Seit Jahren sei die Zahl dieser Arztpraxen rückläufig. Die gesundheitspolitische Sprecherin der Linken, Olga Fritzsche, sagte dazu: „Die Wirksamkeit von Substitution ist unbestritten.“ Sie verbessere nicht nur die Lebensqualität von Drogengebraucher*innen, sondern sei für viele der erste Schritt in ein Leben ohne Drogen.
Zu hoch dosiert oder vom Schwarzmarkt
Dass es nun einen Zusammenhang zwischen Substituten und Drogentoten gibt, ist vor diesem Hintergrund überraschend, auch für Annina Carstens, Ärztliche Leitung der Substitutionsambulanz Altona. „Die Substitution ist streng geregelt. Deshalb ist es verwunderlich, dass so viele Menschen an Methadon gestorben sind“, sagt sie.
Sie skizziert mögliche Gründe für die Tode: „Man muss sich von jedem Konsumenten ein individuelles Bild machen. Ursachen für den Tod könnten sein, dass die Dosis zu hoch war, Take-Home-Verschreibungen verordnet wurden und das Methadon missbräuchlich verwendet wurde. War das Methadon vom Schwarzmarkt? Wie ist es dorthin gelangt?“ Man müsse diese Fälle sauber aufarbeiten und vor allem Versorgungsketten transparenter gestalten.
In Deutschland erhalten stabile Patient*innen Methadon zur eigenverantwortlichen Einnahme als sogenanntes „Take home“. In der Regel haben diese eine Reichdauer von bis zu sieben aufeinanderfolgenden Tagen. In begründeten Einzelfällen kann die Verschreibung für bis zu 30 Tage erfolgen.
Angespannte Lage und viel Elend
Die Zahlen spiegeln den bedrückenden Zustand auf Hamburgs Straßen wider: das Elend vor dem Drob Inn, am Hansaplatz, auf St. Pauli. Im vergangenen Jahr stieg auch die Zahl der Drogenabhängigen, die im Drob Inn betreut werden, an. Und auch am Hansaplatz spitzen sich die Probleme zu: Anwohnende, Gastronom*innen und Quartiersmanager*innen wendeten sich im vergangenen Jahr an die Politik: Alkoholismus, Drogenkonsum, Exkremente, Müll – all das hätte zugenommen und die Situation verschärft.
Nun zeigt die neue Statistik in Zahlen auf, wie angespannt die Lage wirklich ist. Demnach gab es im vergangenen Jahr 102 Tote durch Drogen. Das ist der höchste Stand seit 2000. Ein Jahr später lag die Zahl dann unter 100, sank bis zum Jahr 2019 sogar auf 49. In den vergangenen Jahren verschärfte sich das Problem allerdings wieder. 2022 wurden 96 Drogentote in Hamburg gezählt, 2023 waren es 88.
Die meisten Menschen, die in Hamburg durch Drogen gestorben sind, waren Männer mittleren Alters: 80 Männer und 22 Frauen waren es im vergangenen Jahr. Das Durchschnittsalter lag bei 42,3 Jahren, der Großteil war zwischen 30 und 60 Jahre alt. Aber auch junge Menschen sind an den Folgen des Drogenkonsums gestorben: 17 Opfer waren zwischen 21 und 30, drei zwischen 16 und 20. Fünf Menschen haben sich durch eine beabsichtigte Überdosis oder unter Entzugserscheinungen das Leben genommen.
Uneinigkeit im Umgang mit dem Drogenproblem
19 Langzeitkonsument*innen starben laut den Senatsangaben durch Langzeitschädigungen und drei durch Unfälle. Damit sind „konsumbedingte Fehlleistungen“ und „Körperschmuggler*innen“ gemeint. Dabei verschlucken Menschen zum Zwecke des Schmuggelns abgepackte Drogen. Wenn sich die Verpackung im Körper öffnet, kann das für die Schmuggler*innen tödlich enden.
In der Hamburgischen Bürgerschaft herrscht Uneinigkeit, wie das Drogenproblem in Hamburg angegangen werden soll. Bisherige Maßnahmen, sogenannte Sozialrumläufer*innen, die durch die Straßen laufen und zum Beispiel Menschen wecken, oder der Social Hub, ein soziales Zentrum für Unterstützung und Vernetzung von Menschen in schwierigen Lebenslagen, scheinen das Problem höchstens einzudämmen, aber nicht grundlegend zu beheben.
Am Beispiel des Hamburger Hauptbahnhofs bemängelt die Linken-Fraktion Hamburg den „repressiven, diskriminierenden Diskurs gegenüber Menschen“, die sich dort aufhalten. Waffenverbotszonen, vermehrte Videoüberwachungen und Polizeipräsenz seien höchstens „ordnungspolitische Ansätze im sozialpolitischen Gewand“.
Außerdem kritisieren Linke und Grüne, dass Hilfsangebote nicht genügend ausgebaut seien. Auch Carstens bemängelt das: „Die Suchthilfe fährt uns gegen die Wand. Ältere Ärzt*innen gehen in Rente und es gibt kaum junge Ärzt*innen, die Substitution anbieten. Die Menschen, die Hilfe brauchen, bekommen keine Hilfe mehr. Dabei ist es wichtig, dass wir diese Angebote haben. Substitution stellt das Überleben sicher und kann den Gesundheitszustand verbessern oder stabilisieren.“
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