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Drogenkonsum steigt in Berlin rasantViele Angebote sind akut vom Aus bedroht

In der Drogen- und Suchtpolitik setzt der Senat auf Repression. Es fehle an nachhaltigen Strategien und stabiler Finanzierung, sagen Ex­per­t:in­nen.

Auf einer Party im Görlitzer Park gegen den Zaun und eine restriktive Drogenpolitik Foto: dts/imago
Nicolai Kary

Aus Berlin

Nicolai Kary

Der Drogenkonsum steigt in Berlin rasant an. In der Partyszene liegen neben Kokain auch MDMA, Ketamin und Speed weiter im Trend, der Konsum von Crack nimmt zu. Hinzu kommt, dass die Zahl der drogenbedingten Todesfälle in der Hauptstadt seit Jahren stetig steigt. 2022 starben 230 Menschen infolge des Konsums von Rauschgift, im Jahr darauf waren es schon 271. Im vergangenen Jahr erreichte Berlin mit 294 gezählten Todesfällen einen traurigen Höchststand. 40 der Verstorbenen waren unter 26 Jahren, 5 sogar noch minderjährig. Häufig waren die Verstorbenen sozial verelendet, wohnungslos und führten ihr Leben unter enormen prekären Bedingungen.

Damit folgt Berlin dem bundesweiten Trend. 2.137 Menschen starben im vergangenen Jahr landesweit an den Folgen des Drogenkonsums. Ein Schwarzmarkt für synthetische Opioide, etwa Fentanyl, ist in Berlin bisher allerdings nicht bekannt. In Frankfurt am Main wurden in diesem Jahr hingegen schon Beimischungen von Fentanyl in Heroinpäckchen festgestellt.

Die Probleme drängen also. Doch ist Berlin in Sachen Drogen- und Suchtpolitik ausreichend aufgestellt? Was hat sich unter der schwarz-roten Landesregierung in Sachen Drogen- und Suchtpolitik getan? Und wie kommt das Land zu einer wirksamen und nachhaltigen Drogen- und Suchtpolitik? Diese und weitere Fragen wurden kürzlich unter dem Titel „Crack, Krise, Konzeptlosigkeit? Für eine moderne und menschenwürdige Suchtpolitik in Berlin“ bei einer Veranstaltung des Vereins Helle Panke in Prenzlauer Berg diskutiert.

Auf dem Podium nahmen an diesem Abend Astrid Leicht (Geschäftsführerin des Suchthilfeträgers Fixpunkt), Heike Drees (Fachreferentin für Suchthilfe beim Paritätischen Wohlfahrtsverband Berlin), Heide Mutter (Landessuchtbeauftragte in der Senatsverwaltung) und Nina Pritszens (Geschäftsführerin des Verbunds für integrative soziale und therapeutische Arbeit in Berlin, vista) Platz. Das Publikum bestand vor allem aus jüngeren Menschen bis Anfang dreißig.

Wunsch nach „ideologiefreier“ Auseinandersetzung

Einig waren sich die Gäste darin, dass Berlin in Sachen Hilfsangeboten eigentlich ganz gut aufgestellt sei. Das Hilfssystem sei „differenziert“, so Drees. Die Menschen könnten sich aussuchen, „welches Angebot für sie das richtige ist“. Was jedoch „stark im Argen“ liege, sei die „Auseinandersetzung mit politischen Entscheidungsträgern“, so Drees weiter. Drogen- und Suchtpolitik müsse Armuts- und Sozialpolitik mit einschließen. Eine „ideologiefreie“ Auseinandersetzung wünscht man sich an diesem Abend von der Politik.

Berlins Sucht- und Drogenpolitik fußt auf den vier Säulen der nationalen Drogen- und Suchtstrategie: Prävention, Beratung und Behandlung, Maßnahmen zur Schadensreduzierung, Angebotsreduzierung und Repression.

Doch verhandelt wird das Thema immer auch als eines der inneren Sicherheit

Doch verhandelt wird das Thema immer auch als eines der inneren Sicherheit. So wurden auf dem Sicherheitsgipfel 2023, einberufen vom Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU) als Reaktion auf eine mutmaßliche Gruppenvergewaltigung im Görlitzer Park, neben sozialen auch zahlreiche sicherheitspolitische Maßnahmen beschlossen. Um die Sicherheitslage an Kriminalitäts- und Drogenhotspots wie dem Leopoldplatz oder dem Görlitzer Park zu verbessern, setzte man auf Videoüberwachung, verstärkte Polizeipräsenz und einen Zaun um den Görlitzer Park.

Beschlossen wurden auf dem Sicherheitsgipfel auch Fördergelder für niedrigschwellige Angebote, wie etwa das „Peer-Projekt“ des Vereins Fixpunkt. Für die Umsetzung standen knapp 30 Millionen Euro für zwei Jahre bereit. Seit rund 30 Jahren leistet Fixpunkt Suchthilfearbeit. Im Rahmen des „Peer-Projekts“ sammeln Drogenkranke an Hotspots Spritzen ein und erhalten darüber auch niedrigschwellige Beschäftigung, Tagesstruktur und eine Ehrenamtspauschale.

Viele Angebote vom Aus bedroht

Nun aber sind viele der Angebote akut vom Aus bedroht. Die beim Sicherheitsgipfel beschlossenen Förderungen laufen aus. Neue Gelder sind bisher nicht vorgesehen. Bei Fixpunkt fallen deshalb ab dem 1. Januar etwa Angebote wie Straßensozialarbeit und erweiterte Öffnungszeiten des Mobilen Drogenkonsumraums weg.

Auch das „Peer-Projekt“ gibt es dann vorerst nicht mehr. Hinzu kommt, dass einige Angebote Gefahr laufen, unter die Räder der Berliner Kürzungspolitik zu geraten. Und weil der Haushalt für das kommende Jahr noch nicht beschlossen ist, ist die Weiterfinanzierung vieler Suchthilfeprojekte bisher unklar.

Dass die Finanzierung von Hilfsprojekten langfristig stabiler werden muss, darüber sind sich die Dis­ku­tan­t:in­nen einig. Auch darüber, dass es in Berlin bisher an langfristigen und nachhaltigen Strategien in Sachen Drogen- und Suchtpolitik mangelt. Da sei noch „viel Luft nach oben“, weiß auch die Landessuchtbeauftragte Heide Mutter.

Es sei dringend geboten, dass Berlins zivilgesellschaftliche Strukturen „stabil gefördert werden“, forderte Drees vom Paritätischen Wohlfahrtsverband. „Die halten den Laden am Laufen“, sagte sie. Beim Paritätische Wohlfahrtsverband gibt es bereits ein Strategiepapier für Berlins Suchtpolitik. Berlin müsse die Gesundheit und Sicherheit der gesamten Bevölkerung in den Blick nehmen, heißt es darin unter anderem. Das Land benötige eine „abgestimmte, koordinierte, ausgewogene und nachhaltige Suchtpolitik“. Verbindliche Zusagen von der Politik seien dafür unumgänglich.

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1 Kommentar

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  • Man fragt sich wieviel Drogenkonsum wir gesellschaftlich akzeptieren wollen. Ich würde das Zeug nicht nehmen, und dass der Staat Hilfe zum Ausstieg anbietet und vor dem Konsum warnt: völlig in Ordnung. Aber der Staat soll anderen gegen ihren Willen nicht meine Vorstellung vom Glück aufzwingen. Wenn der Herr Partylöwe gerne kokst: nicht mein Problem.