Dresden vor dem 3. Oktober: Bauzaun in den Köpfen
In der Stadt gab es zuletzt zwei Sprengstoffanschläge. Nun wird in Dresden der Tag der Einheit gefeiert. Ein Besuch zwischen Brücken und Gittern.
Zwar geht man in Dresden derzeit überall unter aufgestellten Torbögen durch, auf denen man aufgefordert wird, zum Tag der Deutschen Einheit Brücken zu bauen, gleichzeitig ist die Stadt aber voller Polizeifahrzeuge und Zäune. Statt Brücken werden Absperrungen gebaut. Nichts verdeutlich besser die Gräben, die durch Dresden laufen.
Die offiziellen Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit, ausgerechnet in Dresden. Hier entstand Pegida, in der Nähe liegen Orte, die nur noch wie Vorfälle klingen, Heidenau, Clausnitz, Bautzen, Freital.
Ausgerechnet Montag. Montag ist Pegida-Tag, immer noch kommen um die 2.000 Demonstranten wöchentlich. Und am vergangenen Montag wurde ein Sprengstoffanschlag auf die Fatih-Moschee in Dresden-Cotta verübt. Die Polizei geht von fremdenfeindlichen Motiven aus. Silvio Lang, stellvertretender Stadtvorsitzender der Linkspartei sagt: „In Dresden hatten wir schon Buttersäure, Böller und Molotowcocktails. Aber ein Sprengstoffanschlag ist ein neues Eskalationsniveau.“
Und jetzt soll ausgerechnet in Dresden, ausgerechnet am Montag der Tag der Deutschen Einheit gefeiert werden. Mit Gauck und Merkel und Festmeile.
Grünen-Politiker Valentin Lippmann
Dem Grünen-Politiker Valentin Lippmann ist das ein bisschen zu viel Symbolleserei. Dresden habe sich ja nicht darum beworben, den Tag der Deutschen Einheit auszurichten, sondern sei turnusgemäß an der Reihe. Und überhaupt: „Ich habe keine Lust mehr, Imagedebatten zu führen“, sagt Lippmann. „Das Image von Sachsen alleine ist kein Wert an sich. Das, was hier angegriffen wird – Mitmenschlichkeit, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit – das muss verteidigt werden.“
Valentin Lippmann sitzt in seinem Büro im Dresdner Landtag. Hinter ihm blickt man aus dem Fenster auf das Kongresszentrum. Auch hier detonierte ein Sprengsatz. Manche spekulieren, der oder die Täter wollten damit ein Zeichen gegen den Tag der Deutschen Einheit setzen. Soll man hier noch feiern?
Einst verehrt, jetzt verhasst
Natürlich sollte man diesen Tag feiern, sagt Lippmann. Aber man sollte sich darauf besinnen, wofür er steht: „Für Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Durchsetzung der Menschenrechte.“
Valentin Lippmann, geboren 1991, parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen-Fraktion und deren innenpolitischer Sprecher, ist nicht der jüngste Abgeordnete im Sächsischen Landtag, sondern der zweitjüngste. Er schlägt extra im Volkshandbuch des Sächsischen Landtags nach, ja, Kollegin Klotzbücher von der Linkspartei ist noch jünger. Lippmann kommt aus Dresden. Auch für ihn ist es schwer, wenn alle mit dem Finger auf Sachsen zeigen. „Aber man kann die Probleme ja nicht leugnen. Wir haben in Sachsen ein starkes Problem mit Ausländerfeindlichkeit, Rechtsextremismus und Rassismus. Sachsen hat sich seinen Ruf erarbeitet.“
Vor 16 Jahren richtete Sachsen schon einmal den Tag zur Deutschen Einheit aus. Damals gab es Diskussionen und sogar Boykottandrohungen, weil Helmut Kohl, verehrt als Kanzler der Einheit, zwei Jahre nach seiner Amtszeit nicht beim Staatsakt reden durfte – laut Protokoll dürfen das nur Träger eines Staatsamtes. Früher waren die Leute in Dresden stolz, wenn Bundespolitiker kamen. Heute schreien manche Dresdner montags „Volksverräter“. Was ist passiert?
Einer, der es wissen muss, ist Michael Sagurna. Über zehn Jahre lang war er Sprecher des sächsischen CDU-Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf, zusätzlich Vizechef der Staatskanzlei. Mit seinem damaligen Chef Thomas de Maizière organisierte er den Tag der Deutschen Einheit vor 16 Jahren. Jetzt sitzt er in einem Café in der Dresdner Neustadt und erzählt. „Es war total harmonisch.“ Es gab keine Anschläge, kein Pegida. Überall standen Baukräne. Die Leute haben ihr Dresden vorgezeigt. Und am Tag der offenen Tür gingen sie mit den Staatsgästen zum Festessen ins Dresdner Schloss, das noch lange nicht wiederaufgebaut war, die Wände entkernt, die Zimmer gefegt.
Sagurna fühlt sich wohl in Dresden und es ist ihm wichtig, davon zu erzählen. Er ist „Aufbaubeamter“, wie er selbst sagt. Stammt aus Westfalen, studierte in Bonn, arbeitete als Journalist in Berlin und Hamburg. 1991 kam er nach Dresden. Und sagt heute: „Es ist die schönste Stadt Deutschlands. Sie hat alles, was man als Bürgerlicher braucht.“ Zum Beispiel Anspruchsdenken: Wenn man hier sein Kind zum Klavierunterricht schickt und der Lehrer fragt, warum soll das Kind Klavier spielen, sagt man im Westen: Na ja, Musik ist wichtig und vielleicht machen wir mal Hausmusik. In Dresden sagen die Lehrer: Ne, Freunde. Wenn ich Unterricht gebe, dann nicht wegen ein bisschen Hausmusik, sondern ordentlich. So erzählt er es.
„Immun“ gegen Rechtsextremismus
Auf Dresden wird im Osten am meisten geguckt, sagt Sagurna. Und die Maßstäbe sind strenger. Hauptstadt, Kulturstadt, das älteste durchgehend spielende Symphonieorchester der Welt. Neulich war Tante Marie da, die sich sonst nicht sonderlich für Kultur interessiert, und wollte natürlich in die Oper, richtig hinein. Es gibt einen hohen Anspruch an Dresden. Und dann so was wie Pegida. „Das Gefälle ist stark“, sagt Sagurna.
Der sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf sagte einmal, dass die Sachsen „immun“ gegen Rechtsextremismus seien. Sagurna, über zehn Jahre lang Biedenkopfs Sprecher, meint: „Das war gut gemeint, aber unglücklich.“
Was ist schiefgelaufen in den letzten 16 Jahren? „Wir, die wir damals aus dem Westen nach Sachsen gekommen sind, haben uns nicht genügend gekümmert, das westliche System zu erklären. Nicht nur, wie es ist, sondern warum es so ist. Das war ein Kardinalfehler. Wir haben zum Beispiel nicht widersprochen, wenn einer gesagt hat, Föderalismus ist Kleinstaaterei. Aber der Föderalismus ist ein Grund, warum wir in Dresden so ein Weltklassesymphonieorchester haben.“
Trotzdem ist Sagurna optimistisch, was Sachsen, Pegida und die AfD angeht. Das wird vorbeigehen, sagt er. In den 60er Jahren erzählten ihm die Erwachsenen in Westfalen auch, mit den Italienern darfst du nicht spielen. Das Gleiche passiert jetzt in Sachsen: „Was in den 60er Jahren im Ruhrgebiet möglich war, mit der Gewöhnung an Menschen aus anderen Ländern, das wird auch hier passieren. Sachsen muss da alleine durch. Aber das wird Sachsen schaffen.“
Wir schaffen das. Und das sagt ein CDU-Mann.
Draußen am Elbufer glänzen Residenzschloss und Semperoper in der Sonne. Dresden sieht an diesem Tag aus wie Italien mit Bauzäunen. Eine alte Dampflok fährt vorbei und vom Nordufer weht klassische Musik herüber. Eine Gruppe von Wachleuten leitet Autos um.
Immer ist jemand schuld
Einer von ihnen erzählt. Er ist ein überaus freundlicher Mensch, zahlreiche Anfeindungen von genervten Dresdner Autofahrern haben ihn milde gestimmt. „Jeder Vierte hat Verständnis“, sagt er. Er sagt nicht etwa: „Drei von vier haben kein Verständnis.“ Es liegt eine große Beleidigtheit und Sturheit über der Stadt, sagt er. Immer ist irgendjemand schuld. Merkel. Oder die Amerikaner. „Die Amis, die sind hier sogar am Wetter schuld“, sagt er.
Und dann erzählt er von den Gräben in der Stadt, davon, was die Bauzäune der Staatsfeier mit Pegida zu tun haben. Neulich habe er einen Parkplatz bewacht, der für Anwohner abgesperrt werden musste. Eine Frau kam vorbei und er sagte, sie könne hier nicht parken. Die Frau regte sich furchtbar auf.
Er sagte: „Dafür kann ich nichts. Rufen Sie doch den Innenminister an und beschweren sich.“ Und die Frau sagte: „Wissen Sie, bisher bin ich Montag bei Pegida nie mitgelaufen. Nächste Woche werde ich es machen.“ Wegen eines Parkplatzes.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Ärzteschaft in Deutschland
Die Götter in Weiß und ihre Lobby
Verkehrsvorbild in den USA
Ein Tempolimit ist möglich, zeigt New York City
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis