Drei Protokolle zur Lage in Iran: Tage der Wut
Die Tötung von General Qasim Soleimani hat bei vielen IranerInnen Entsetzen ausgelöst. Aber nicht nur das. Wie drei von ihnen auf die Ereignisse der Woche blicken.
„Donald Trump ist ein Terrorist“
Nesrin Nabavi*, 22 Jahre, Studentin aus Schiras:
Ich war zuvor oft nicht einverstanden mit der Regierung meines Landes, zum Beispiel als die Benzinpreise um das Dreifache angehoben wurden, was im ganzen Land großen Protest ausgelöst hat. Aber in der Soleimani-Sache stehe ich hinter der Regierung.
Bevor General Qasim Soleimani getötet wurde, hatte ich zwar noch nie von ihm gehört, aber jetzt bedaure ich seinen Tod sehr. Zuallererst war Soleimani ja ein Landsmann von mir – einer aus dem iranischen Volk. Und er war nicht einer dieser reichen Typen, die nur in ihren Luxushäusern sitzen und Kohle scheffeln. Er war für mein Land im Krieg, hat seine Landsleute vor dem ‚Islamischen Staat‘ geschützt.
Alles, was er getan hat, hatte das Ziel, Krieg in unserem Land zu verhindern. Dafür bin ich dankbar. Und jetzt ist er tot.
Hier sind alle richtig wütend auf die USA, deshalb sind die Menschen auch in Massen bei den Trauerzeremonien für Soleimani auf die Straßen gegangen. Auch ich war auf einer Trauerkundgebung. Denn spätestens jetzt wissen wir, dass Donald Trump ein Terrorist ist und den weltweiten Terrorismus unterstützt. In der Tat hat Trump mit dieser Eskalation der iranischen Regierung geholfen: Jetzt steht das ganze Volk vereint hinter der Regierung, und es fordert Rache an den USA.
Als die Rache dann am Mittwochmorgen kam, war ich überrascht – ich hatte nach all den Worten und Kundgebungen etwas Größeres, einfach etwas ganz anderes erwartet.
Am Freitag, dem 3. Januar, wachen die Menschen im Iran mit der Nachricht auf, dass in der Nacht Qasim Soleimani getötet wurde, der Auslandsstratege der Revolutionsgarden. Die USA hatten von einer Drohne aus Raketen auf den Konvoi des Generals im Irak geschossen. Die iranische Führung kündigt umgehend „Rache“ an. US-Präsident Donald Trump droht im Falle iranischer Vergeltungsangriffe mit weiteren Schritten.
Die Trauerfeierlichkeiten dauern mehrere Tage an, Hunderttausende strömen in Teheran und anderen Städten des Landes auf die Straßen. Dabei sterben bei einer Massenpanik in Kerman mehr als 50 Menschen.
In der Nacht zu Mittwoch feuert der Iran schließlich Raketen auf zwei Stützpunkte im Irak, auf denen auch US-Soldaten stationiert sind. Tote gibt es – anders als iranische Medien behaupten – keine. In einer unmittelbaren Reaktion sieht Donald Trump sieht von einer weiteren militärischen Antwort auf die iranischen Vergeltungsschläge ab. Zusätzlich erklärt der EU-Ratspräsident am Donnerstag, die EU wolle an dem Atomabkommen mit Iran festhalten. Auch aus Iran kommen eher versöhnliche Töne.
Aber wahrscheinlich ist es besser so. Besser als Krieg. Durch den Angriff auf die US-Militärstützpunkte im Irak wurde niemand mehr getötet. Und zumindest haben wir dort materiellen Schaden angerichtet. Ich hoffe, dass dieser Schritt ausreicht, damit die USA so etwas nicht wieder tun.
* Name geändert, Protokoll: Jana Lapper
…
„Die Iraner müssen aufwachen“
Anil Naderpur*, 37, Unternehmer und Betreiber einer Pension im Osten Irans:
Obwohl ich in einem kleinen Dorf mitten in der Wüste wohne – die nächste größere Stadt liegt über zwei Stunden Fahrzeit mit dem Jeep entfernt –, habe ich schnell von der Tötung Soleimanis erfahren. Das Internet funktioniert einwandfrei, anders als während der Proteste im November.
Ich habe nicht um Soleimani getrauert. Wenn, dann habe ich getrauert, weil die Menschen in Iran einfach nicht aufwachen wollen. Diese Menschen, die diese Woche zu Hunderttausenden bei Trauerkundgebungen aufmarschiert sind, die meiner Meinung nach vor allem politische Veranstaltungen waren, und die dort zu Tode getrampelt wurden. Diese Menschen wollen einfach nicht aufwachen. Sie wollen nicht verstehen, dass sie mit ihren Worten und Taten dem System helfen, dass sie damit auch den Krieg heraufbeschwören – das tut nicht nur die USA.
Anfang der Woche hatte ich große Angst vor einem Krieg. Sogar meine Freunde sprachen darüber. Die Möglichkeit eines Kriegs hat sich wie ein Krebsgeschwür ausgebreitet. Ich will aber festhalten, dass nicht alle Iraner um Soleimani trauern, dass nicht alle Iraner einen Krieg mit den USA wollen. Das will nur der geringe Prozentsatz, der hinter dem Regime steht.
Ich weiß, dass das in den Bildern, die durch die Medien gehen, anders aussieht. Es ist so: Die einen denken wie Soleimani und hassen Trump. Die anderen denken wie Trump und hassen Soleimani. Und wieder andere hassen beide, weil beide über Krieg reden.
Ich hasse Krieg, aber noch mehr Angst habe ich davor, dass das System einfach so bleibt, wie es ist. Wir brauchen einen Wandel, in der gesamten Region.
* Name geändert, Protokoll: Jana Lapper
…
„Demütigung eines ganzen Volkes“
Bahman Nirumand, 83, lebt seit 1965 im Exil in Berlin und ist Autor der taz:
Es war ein Schock. Ich konnte zunächst das Geschehen nicht begreifen, weil die Tat und deren Folgen mir so gravierend schienen, dass es mir nicht möglich war, sie zu überblicken. General Qasim Soleimani war auf Befehl des amerikanischen Präsidenten getötet worden. Für viele Iraner war Soleimani ein Held, ein lebender Märtyrer, ein Patriot. Jugendliche liebten ihn wie einen Filmstar. Ich habe ihn nie gemocht, weil er für die verheerende Außenpolitik der Islamischen Republik im Nahen und Mittleren Osten entscheidend mitverantwortlich war.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Aber wie kommt der Präsident eines Landes, das sich zur Demokratie und Freiheit bekennt, dazu, einen Menschen aus einem fernen Land zum Tode zu verurteilen und das Urteil vollstrecken zu lassen?, fragte ich mich. Wie soll man eine solche Tat nennen, Terroranschlag, Mordanschlag? Ist die Arroganz der Großmacht so weit gediehen, dass der Präsident glaubt, das nationale und internationale Recht ignorieren zu können?
Damit nicht genug. Donald Trump drohte, sollte Iran auf den Anschlag reagieren, 52 Objekte in Iran zu bombardieren, darunter auch kulturelle Objekte! Nicht nur das Militär und die Infrastruktur des Landes sollten ins Visier genommen werden, auch die Seele einer ganzen Nation sollte zerstört und deren Wurzeln verbrannt werden. Stellen Persepolis, die Freitagsmoschee in Isfahan oder das Grabmal von Hafis in Schiras so eine Gefahr für die Vereinigten Staaten dar, dass sie vernichtet werden müssen? Weiß der amerikanische Präsident nicht, dass Zerstörung von Kulturdenkmälern selbst im Krieg als Verbrechen gelten?
So verheerend die Tötung Soleimanis und die Drohungen Trumps waren, so verheerend schienen mir auch die politischen Folgen. Die Machthaber in Iran, die seit vierzig Jahren das eigene Volk knechten, ihre Gegner foltern und hinrichten und zuletzt im November gezielt Hunderte unschuldige Demonstranten töteten, stellten sich als Opfer dar und baten das Volk um Beistand. Dem Ruf folgten Millionen, die entsetzt waren über die Arroganz des US-Präsidenten und Angst hatten vor einem alles vernichtenden Krieg. Lieber das ungewollte Regime schützen als sich dem Diktat einer fremden Macht zu unterwerfen, werden viele gedacht haben.
Plötzlich schien der korrupte, mafiöse Staat mit dem Volk, dessen Mehrheit ihm längst den Rücken gekehrt hatte, wieder vereint. Die Turban tragenden Gottesmänner schürten Hass und Rachegelüste, kündigten Vergeltung an. Einer der Generäle erklärte, die USA sollten ihre Truppen aus der gesamten Region abziehen oder für ihre Soldaten Särge bestellen.
Mir wurde bange, auch ich hatte Angst vor einem Krieg. Steht meiner Heimat das Schicksal Syriens, Afghanistans, Iraks und Libyens bevor?, fragte ich mich. Ich war wütend, fühlte mich machtlos und allein. Warum steht nicht die ganze Welt auf und gebietet diesem Wahnsinn Einhalt? Was wird geschehen, wenn die Machthaber in Iran auch nur einen Teil dessen wahrmachen, was sie androhen?
Zum Glück taten sie es nicht. Sie feuerten ein paar Raketen gegen zwei Stützpunkte im Irak, warnten aber zuvor die Iraker, also auch indirekt die Amerikaner. Auch sie hatten offenbar Angst vor einem folgenschweren Gegenschlag. Zu Hause hieß es aber, bei dem Angriff seien 80 Amerikaner getötet worden.
Triumphierend trat der amerikanische Präsident ans Rednerpult vor dem Weißen Haus, zeigte sich großzügig und sagte, er werde vorerst auf weitere militärische Maßnahmen verzichten. Aber damit die Iraner nicht ganz ungeschoren davonkommen, werde er weitere Sanktionen gegen das Land verhängen. Eine unglaubliche Demütigung nicht nur eines Regimes, sondern eines ganzen Volkes.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles