Dreampunkalbum von No Age: Einsprüche und Ansprüche
Experimentieren, lärmen, unversöhnlich sein: Das Duo No Age aus Los Angeles kommt mit seinem neuen Album für zwei Konzerte nach Deutschland.
„Who do you think you are?!“ Gute Frage! No Age spielen auf ihrem neuen Album mit ihrer Doppeldeutigkeit. Dean Spunt und Randy Randall teilen sich die Arbeit zu gleichen Teilen auf. Also richtet sich diese Frage auf ihrem neuen Album „An Object“ an sich selbst. Und weil es eine grundsätzliche Frage ist, beginnt „An Object“ mit ihr.
Den Hintergrund erklärt Randy Randall im Interview: „Unsere Plattenfirma Sub Pop gilt als Rocklabel, wir treten in Rockclubs auf, werden von den Medien als Rockband bezeichnet, aber mit den sleazy Lebenslügen von Rock machen wir uns nicht gemein. Wir sind Künstler, gehen mit neuen Werken auf Tour, führen diese live auf. ’Was glaubst du, wer du bist?‘ appelliert daher an den Verstand. Es ist ein Weckruf, dazu gedacht, um in der Hölle des Alltags einen kühlen Kopf zu bewahren.“
„No Ground“ heißt der Auftaktsong. Und die Frage wird mit schneidenden Gitarrenriffs und Feedbackschlaufen gekontert. Drums fehlen, ungewöhnlich für No Age. Ungewöhnlich für einen Auftakt. Die Gitarrensounds wirken wie Fliehkräfte, die an dem existenzialistischen Moment des Textes zerren. Der Gesang von Dean Spunt skandiert eher, als dass er den Riffs irgendeine Angriffsfläche bietet. Dem Song fehlt jegliches Pathos einer Fanfare. „No Ground“ klingt wie eine verblasste Erinnerung. Luft rauslassen statt Dampf ablassen. Schwerelos.
Als „Dreampunk“ wurde die Musik von No Age von der amerikanischen Autorin Amanda Petrusich bezeichnet. Träume, ihre Unwägbarkeiten und Punk. Man muss unweigerlich an eine Maxime des kalifornischen Sängers Jack Brewer und seiner Band Saccharine Trust denken. „Punk’s not dead. Not in his head.“
Punk artikuliert Wut und Zorn
Wie Brewer, der auch noch in den Neunzigern Poesie aus Punkideen zog, erklärt auch Randall, Punk helfe seiner Band dabei, Wut und Zorn zu artikulieren. Damit können sie das Entsetzen der Gegenwart in Sound fassen. Das fühlt sich höllisch verzerrt an, wie am Ende des Albums bei „Commerce, Commence, Comment“.
„An Object“ klingt meistenteils angemessen verzweifelt. Ein Versuch, die Köpfe über dem Sumpf zu halten. No Age geben nichts auf ihre Rockstarkarriere. Vergangenen Dezember haben sie ein vom Turnschuhhersteller Converse gesponsertes Konzert unterbrochen und aus Protest gegen den Sponsor ein Video gezeigt, auf dem die schlechten Arbeitsbedingungen bei Converse thematisiert werden.
Auch mit der Schmierlappenrockband Kings of Leon liegen No Age im Clinch, denn die Mainstreamrocker haben ihnen immerhin ein Band-T-Shirt-Motiv geklaut. Da darf man ruhig mal etwas lauter werden.
Der No-Age-Song „I won’t be your generator“ ist eine Absage auf diese Selbstbedienungsmentalität im Indierock. Eine klassische Geschichte der Negation. Dies gelingt auf dem Album größtenteils.
Do it yourself
„Do it yourself, da liegen unsere Wurzeln. Der Begriff ist ausgelutscht. Bis auf das letzte Wort. Selbst. Das ist doch wichtig, es definiert eine Perspektive in der Welt. Aber daran gibt es auch nichts zu feiern. Man macht doch Musik in erster Linie für sich selbst. Komisch, dass Musik so einen Sonderstatus hat. Es ist doch nur eine Verlängerung von anderen Kunstformen. Außerdem, Do-it-yourself sagt null über die Musik aus. In Wahrheit hat diese Ebene gar nichts mit unseren Sound zu tun. Obwohl, ein bisschen stolz bin ich schon, dass ich
Langsam redet sich Randall in Rage, bezeichnet seine Gitarre als Pinsel und seinen Arm als verlängerten Tentakel des Gehirns. Und warum auch nicht. Ein bisschen Schlauheit hat Punk noch nie geschadet.
„Was den Sound angeht, er leitet sich ab von dem Vergnügen, das wir beim Hören von alten kalifornischen Punkbands wie den Dils oder Flipper empfinden. Gleichberechtigt daneben stehen Experimente und Krach. Vor jedem Song steht eine Versuchsanordnung, bestimmte Effektgeräte, oder Sounds betreffend. Wir erschaffen für sie ein Szenario, ohne an das Ergebnis zu denken. Wir arbeiten prozessorientiert.“ Punk im Labor.
Und damit kommt der Titel des Albums, „An Object“, ins Spiel und seine Aufmachung. Das Cover besteht aus einem einzigen, kunstvoll gefalteten Stück violetten Karton, Texte und sonstige Information liegen ihm in Form von losen Blättern bei, ebenfalls dem Karton entnommen. Zusammen mit dem Designer Brian Roettinger und vier Freunden haben Spunt und Randall die Coverart entworfen, alle Kartons per Hand gefaltet und beschnitten und die fertigen Cover ans Presswerk geschickt. Mühevolle Handarbeit.
Der Objektcharakter von Musik
„ ’An Object‘ – der Titel ist eine übertriebene Vereinfachung. Ein Raumschiff ist ein Objekt, genau wie der Stift, den du in den Händen hältst. Ein Objekt hat taktile Eigenschaften. Es existiert wirklich da draußen in der Welt. Der Objektcharakter von Musik war für die Entstehung unseres Albums wichtig. Man übersieht ihn gern. Wenn Musik ein Objekt ist, und in einer physischen Form erscheint, so dass man sie anfassen kann, was bedeutet das 2013? Wir fühlten an jedem Moment der Produktion, dass das Album ein Objekt ist und dass es sich lebendig anfühlt. Das wollten wir weitergeben. Für uns war das wie eine Klarstellung.“
Dass „to object“ im juristischen Sinne „Einspruch“ bedeutet und Opposition ausdrückt, passt da ins Bild. Das fängt ja schon beim Bandnamen No Age an, der durchaus unversöhnlich gemeint ist: No Age statt New Age. Einsprüche und die eigenen Ansprüche, die gestiegen sind, seit vor dreieinhalb Jahre das No-Age-Album „Everything in between“ erschienen ist. „An Object“ ist nicht besser geworden als der Vorgänger, aber die Musik kickt immer noch mehr als der gesamte Mathrock- und Progressive-Schrott da draußen.
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