Drama über Geflüchteten: Die Konservative, der Geflüchtete und ihr Gewissen
Die Regisseurin Angelina Maccarone setzt in „Klandestin“ auf Perspektivwechsel. Der Film bleibt dabei im gutgemeinten Gestus stecken.

Als sich Angelina Maccarone zuletzt dem komplexen Feld der Migration filmisch annäherte, traf die deutsche Regisseurin einen Nerv. Ihr Film, „Fremde Haut“, über eine lesbische Iranerin, die nach einer aufgeflogenen Affäre mit einer verheirateten Frau vor Verfolgung nach Deutschland flieht und sich nur durch die Annahme einer männlichen Identität in Sicherheit wiegen kann, war seiner Zeit weit voraus.
Im Jahr 2005, als das Drama in den Kinos erschien, wurden sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität in Deutschland selten als Asylgrund anerkannt und führten oft nur zu einer sogenannten Duldung. Angelina Maccarone richtete damit früh den Blick auf eine mehrfach marginalisierte Gruppe, die bis heute kaum eine Rolle in der öffentlichen Wahrnehmung spielt. Mehr noch, „Fremde Haut“ macht das Systemversagen nachfühlbar und zeigt mit Fariba (Jasmin Tabatabai) eine vielschichtige Hauptfigur, die in ständiger Angst vor Enttarnung lebt – die sich letztlich dennoch nach ihren Möglichkeiten behauptet.
Fast zwei Jahrzehnte später will Angelina Maccarone an diese Mischung aus filmischer Ambition und gesellschaftlichem Engagement anschließen. Und vielleicht hätte „Klandestin“ zumindest noch einen gewissen Neuigkeitswert auf seiner Seite, wäre dieses Drama nicht erst viele Jahre, nachdem die Idee dazu zustande kam, realisiert worden. Das Skript wurde bereits 2017, kurz nach der Hochphase der sogenannten europäischen „Flüchtlingskrise“, mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet, als bestes unverfilmtes Drehbuch.
Die Brisanz ist abgekühlt
Was damals noch frisch und brisant wirken mochte, hat seine Entstehungszeit allerdings nicht überdauert. Statt mit Relevanz oder Reibung kann „Klandestin“ heute nur noch mit guten Absichten und einer klaren Haltung aufwarten und wirkt dabei seltsam aus der Zeit gefallen.
Das Problem beginnt bei einer der zentralen Figuren, die als Antagonistin fungieren soll: Mathilda Marquardt (Barbara Sukowa) ist hessische Europabevollmächtigte und, so wird immer wieder behauptet, eine ausgesprochen konservative Politikerin. Tatsächlich tritt sie jedoch mit Forderungen vor die Presse, die beinahe hinter dem zurückbleiben, auf das sich Union und SPD gerade in ihrem Koalitionsvertrag geeinigt haben.
„Klandestin“. Regie: Angelina Maccarone. Mit Barbara Sukowa, Lambert Wilson u. a. Deutschland 2024, 124 Min.
Hinter dem, was der nächste Bundeskanzler bereits an Unsäglichem in Polit-Talkshows von sich gegeben hat, sowieso. Mehr noch als am Faktor „Zeit“ aber leidet „Klandestin“ daran, dass dem Film die Ambiguitätstoleranz fehlt. Der Hang, alles zu vereindeutigen, führt dazu, dass das moralische Dilemma, das folgen soll, von Beginn an schwächelt.
Vor allem Mathilda Marquardt ist es, die in einen Gewissenskonflikt gerät: Ihr bester Freund Richard (Lambert Wilson), ein Maler aus Großbritannien, bittet sie um ein Visum für den jungen Malik (Habib Adda) aus Marokko. Sie haben sich in Tanger kennengelernt, und ohne Richards Wissen hat sich Malik in seinem Van versteckt, als er sich für eine Vernissage auf den Weg nach Frankfurt machte.
Die Figuren folgen simplen Mustern
Mit dem Visum kann die konservative Politikerin zwar nicht aushelfen, aber sie sagt widerwillig zu, den jungen Mann bei sich aufzunehmen, während Richard für ein paar Tage nach London reist. Ein riskantes Unterfangen für Mathildas öffentliches Ansehen, vor allem aber für Malik: Auf sich allein gestellt, streift er durch ein Frankfurt, in dem gerade ein Bombenangriff auf eine große Bank stattgefunden hat. Unwissentlich gerät er in Kontakt mit den Tätern und damit später auch in den Fokus der Ermittlungsbehörden.
Da die Figuren simplen dramaturgischen Mustern folgen, ist alles Weitere absehbar: Malik ist der gutherzige Geflüchtete, dem beinahe ausschließlich Schlechtes widerfährt. Mathilda ist die erzkonservative Politikerin, die unerbittlich handelt. Amina (Banafshe Hourmazdi), die als vierte Hauptfigur eingeführt wird, eine junge Anwältin mit Migrationsgeschichte, will als Mathildas neue Assistentin den beruflichen Aufstieg schaffen, entscheidet sich letztlich aber immer für Integrität und Empathie.
Empfohlener externer Inhalt
Der Trailer

Es sind Figuren, die weniger durchleben als verkörpern sollen. Sie stehen für das Richtige oder das Falsche, aber kaum je für Ambivalenz oder Entwicklung. Gerade deshalb wirkt „Klandestin“ trotz seines multiperspektivischen Erzählansatzes oft flach. Zwar wird die Geschichte in Fragmenten erzählt, springt zwischen Blickwinkeln hin und her, versucht, innere Motivationen auszuleuchten – aber dieser Kunstgriff führt selten zu überraschenden Einsichten.
Dass Mathilda Marquardt gar kein Monster ist, sondern sich eigentlich nur nach Liebe und Nähe sehnt, soll als überraschender Dreh dienen, wirkt aber eher wie ein Pflichtaspekt in einem Drama, das sich unbedingt menschlich geben will. Genau hier aber versagt „Klandestin“: Der Film wirbt für Verständigung, traut seinen Figuren aber kaum echte Widersprüche oder moralische Grauzonen zu. So bleibt er ein gut gemeinter, aber längst nicht gut gemachter Appell.
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