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Friedrich Merz und die ViertagewocheKompetenz des Kanzlers? Lokomotive!

Auch wenn Merz es nicht glauben will: Viertagewoche und Work-Life-Balance steigern die Effizienz. Das weiß auch die ARD-Sendung „Wirtschaft von acht“.

Der deutsche Wirtschaftsmotor, wie der Bundeskanzler ihn sieht: Hier die Mecklenburgische Bäderbahn Molli Kühlungsborn and Bad Doberan Foto: Andy Buenning/imago

M itunter machen die „Wirtschaft vor acht“-Moderator*innen politisch interessanteres TV als die Late-Night-Talks. Die ARD-Sendung kurz vor 20 Uhr hat zwar nur wenige Minuten zur Verfügung; aber so wie mir manchmal die Nachrichten in leichter Sprache reichen, reicht mir manchmal an Kommentar, was die Sendung von der Frankfurter Börse liefert. Wie elegant sie beispielsweise am Mittwochabend den Kanzler Friedrich Merz piekste, war groß.

Breitbeinig hatte der zuvor gedroht: „Mit Viertagewoche und Work-Life-Balance werden wir den Wohlstand dieses Landes nicht erhalten können.“ Moderator Markus Grüne präsentierte in seiner Minisendung daraufhin einerseits eine Umfrage unter Unternehmern, die – Überraschung! – der Aussage von Merz entsprach: 82 Prozent der Unternehmen hätten die Viertagewoche noch nie getestet, trotzdem glaubten 69 Prozent, dass mit dieser Maßnahme die Arbeit liegen bliebe, und 60 Prozent hielten sie für eine Gefährdung des deutschen Wohlstands.

Andererseits erläuterte Markus Grüne, dass Betriebe durch die Komprimierung von Arbeit positive Effekte auf ihre Effizienz feststellten, wenn sie auch nicht in allen Branchen machbar sei. Außerdem verwies er darauf, dass es „Normalzustand“ sei, dass die Nach­fol­ger*in­nen der Boomergeneration flexible Arbeit wollten und, wenn sie sie hier nicht kriegten, dahin gingen, wo sie sie fänden: Von Portugal bis Belgien sei die Viertagewoche längst gesetzlich verankert. „Europa bietet den unschätzbaren Vorteil, dass man schauen kann, wie machen es eigentlich die anderen und ob das klappt.“ Ein hübscher Seitenhieb gegen den Kanzler, der sich nur Stunden zuvor als Kanzler der Außenpolitik präsentierte.

Eine populistische Ansage

Der Schlussblick auf die trotz Regierungs­erklärung immer noch trübe DAX-Anzeige war der krönende Abschluss eines impliziten Kommentars zur Kompetenz des selbst ernannten Wirtschaftskanzlers. Der wurde in der Sendung übrigens nicht einmal beim Namen genannt. Auch aus diesem Grund waren diese wenigen Minuten TV mein politjournalistisches Highlight der Woche. Ohne aufgeregte Rechthaberei wurde dem Regierenden zwischen den Zeilen sein altbackenes Arbeitsethos um die Ohren gehauen, mit dem er die derzeit ziemlich alt aussehende deutsche Wirtschaft zu einer „Wachstumslokomotive“ machen will.

Dass Merz ausgerechnet die Lokomotive bemühte, dieses abgedroschenste aller abgedroschenen Bilder für Fortschritt, könnte schon ein Warnzeichen sein für das, was wir unter ihm so von Wirtschaftspolitik zu erwarten haben: „Wir müssen wieder mehr und vor allem effizienter arbeiten.“

Eine populistische Ansage, die suggeriert, die deutsche Wirtschaft kranke an frühem Feier­abend und nicht an Investitionsstau, Kriegsfolgen, der Ideenlosigkeit der deutschen Automobilbranche oder der Idiotie konservativer deutscher Wirtschaftspolitik, die nichts dagegen unternahm, dass China Deutschland als Weltmarktführer von Solartechnologie ablöste. Erst war kräftig in die Entwicklung von Solartechnologie investiert worden, doch als China den deutschen Markt mit Billigsolaranlagen flutete, wurde nichts für die dadurch pleitegehenden deutschen Unternehmen getan, die dann samt des vom deutschen Steuerzahler finanzierten Know-hows von China aufgekauft wurden.

Merz’ Unterstellung, die deutsche Wirtschaft sei krank, weil hier zu früh „Feierabend!“ gesagt werde, ist so absurd wie der Glaube, wenn wir uns nur genug fürs Fliegen schämten und weniger duschten, mache das Klima Hurrasprünge. „Wirtschaft vor acht“ sollte sowieso „Klima vor acht“ heißen. Im Jahr der mutmaßlichen Jahrhundertdürre wäre es weise, das Wirtschaftsklima mit der Stimmung der Erdatmosphäre abzugleichen. Ansonsten bin ich der Meinung: Früher Feierabend ist Lokomotive.

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Doris Akrap
Redakteurin
Ressortleiterin | taz zwei + medien Seit 2008 Redakteurin, Autorin und Kolumnistin der taz. Publizistin, Jurorin, Moderatorin, Boardmitglied im Pen Berlin.
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3 Kommentare

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  • Die Aussagen von Merz zeigen wieder einmal überdeutlich sein Verhaftetsein im Vorgestern. Die moderne Arbeitswelt stellt nun mal andere Anforderungen als vierzig Stunden pro Woche stupide Tätigkeiten am Band zu verrichten.



    Viele meiner Kolleg:innen, ich selbst eingeschlossen, sind auf flexible Arbeitsmodelle angewiesen, um das Versagen des Staats bei Kinderbetreuung, Pflege oder Gesundheitswesen auszugleichen.



    Die von ihm spöttisch genannte Work-Life-Balance ist auch keine Erfindung "linker Spinner" zur Beglückung der Arbeitnehmer:innen, sondern hat vor allem die Erhaltung der Leistungsfähigkeit und die Verringerung von Fehlstunden durch Krankheit zum Ziel.

    • @Flix:

      "um das Versagen des Staats bei Kinderbetreuung, Pflege oder Gesundheitswesen auszugleichen"

      Womit Sie ironischerweise genau solche Bereiche benennen, in denen eine Vier-Tage-Woche nur sehr, sehr begrenzt durch Arbeitsverdichtung oder Arbeitsorganisation kompensiert werden kann; schließlich kommt es da auch auf Anwesenheitszeiten an... Und da schlägt eine Arbeitszeitreduzierung unmittelbar auf die Kapazität durch. Die sinkt um knapp 20%, während ein voller Lohnausgleich die Kosten pro Arbeitsstunde um 25% erhöht. Und zu diesem Preis müsste man dann auch noch die Ersatzkapazitäten einstellen, wenn es denn welche gibt...

    • @Flix:

      Da kann ich nur zustimmen. Und: Friedrich Merz würde es sicher nicht gerne hören, aber seine Haltung dazu ist auch vor allem eins: ideologisch.