Doppelanschlag in Istanbul: 38 Tote und viele Verletzte
Zwei schwere Anschläge haben in der Nacht zu Sonntag Istanbul erschüttert. Ziel war wohl die Polizei. Am Abend bekennen sich radikale Kurden zu den Anschlägen.
Am Sonntagabend bekannte sich eine Splittergruppe der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK zu dem Doppelanschlag. Die beiden Anschläge in der Nähe des Fußballstadions von Besiktas seien zur gleichen Zeit ausgeführt worden, teilte die Splittergruppe TAK (Freiheitsfalken Kurdistans) am Sonntag auf ihrer Website mit. Dabei seien zwei ihrer Anhänger getötet worden. Mit den Anschlägen hat die TAK nach eigenen Angaben auf die Gefangenschaft des PKK-Anführers Abdullah Öcalan und die türkischen Militäroperationen vor allem im Südosten des Landes aufmerksam machen wollen. Solange diese anhielten, solle „niemand erwarten, ein geruhsames Leben in der Türkei führen zu können“.
Die erste Bombe wurde nach Angaben Soylus am Samstagabend in der Nähe des Stadions des Fußballclubs Besiktas im gleichnamigen Viertel gezündet. Es habe sich um eine Autobombe gehandelt, die nach ersten Erkenntnissen gegen die Sondereinsatzpolizei gerichtet war. Auf Bildern vom Tatort waren die Leichen von Polizisten und Leichensäcke zu sehen.
Nur 45 Sekunden nach dem ersten Anschlag sprengte sich nach Angaben Soylus ein Selbstmordattentäter im Macka Park neben dem Stadion in die Luft. Auch dieses Attentat sei gegen Polizisten gerichtet gewesen, die die Gegend wegen eines Spiels der Erstligisten Besiktas und Bursaspor abgesichert hatten.
Anschlag am Rande eines Hochrisikospiels
Das Spiel war etwa eineinhalb Stunden vor der ersten Explosion zu Ende gegangen. Die Zuschauer hatten sich zu dem Zeitpunkt schon zerstreut, es waren jedoch noch viele Polizisten vor Ort.
Das Match zwischen den verfeindeten Mannschaften galt als Hochrisikospiel, bei dem die Polizei Auseinandersetzungen zwischen Fangruppen verhindern sollte. Ein Reporter sagte dem Sender CNN Türk, an diesem Samstagabend seien besonders viele Polizisten zur Absicherung des Spiels im Einsatz gewesen, weil die Fans von Bursaspor wegen einer Strafe überhaupt das erste Mal seit Jahren wieder zu einem Besiktas-Spiel zugelassen worden waren.
Die Behörden sprengten in der Nacht zum Sonntag außerdem ein verdächtiges Fahrzeug in der Nähe des Fußballstadions von Besiktas.
Vize-Ministerpräsident Kurtulmus sagte, es seien zwischen 300 und 400 Kilogramm Sprengstoff verwendet worden. „Wo das Auto in die Luft gesprengt wurde, ist ein Graben entstanden und das Auto gibt es nicht mehr“, sagte Kurtulmus. „Es ist völlig zerstört worden. Es ist ein riesiger Krater entstanden.“
Präsident Erdogan erklärte, sein Land werde weiter gegen den Terror kämpfen. „Wann immer die Türkei einen positiven Schritt in Richtung Zukunft macht, ist die Antwort sofort Blut, Leben, Brutalität, Chaos mit den blutigen Händen von Terrororganisationen“, hieß es in der auf der Webseite des Präsidenten verbreiteten Erklärung.
Der Nationale Sicherheitsrat der USA verurteilte die Anschläge auf das Schärfste. „Wir stehen der Türkei zur Seite, unserem Nato- Verbündeten, gegen alle Terroristen, die die Türkei, die USA und den Weltfrieden und die Stabilität bedrohen“, sagte Sicherheitsrats- Sprecher Ned Price in Washington. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen kondolierte in einem Schreiben an ihren türkischen Kollegen. „Mein Gedanken sind mit Ihnen und allen, die unter diesem unmenschlichen Terror leiden.“
Auf Fernsehbildern waren in der Nacht Rettungswagen zu sehen, die zur Unfallstelle rasten. Mehrere zerstörte Autos wurden gezeigt, darunter ein Minibus und ein von der Explosion getroffener Wasserwerfer. Die Explosionen waren mehrere Kilometer weit zu hören. Besiktas ist ein beliebtes Ausgehviertel und am Wochenende sehr belebt. Zunächst wurde von den Behörden eine Nachrichtensperre verhängt, die sich aber nicht auf öffentliche Verlautbarungen bezieht.
Die Hintergründe der Tat waren zunächst unklar gewesen. Allerdings verüben die PKK oder deren Splittergruppe TAK immer wieder Anschläge auf Sicherheitskräfte. Die türkische Armee geht seit Juli vergangenen Jahres in einer Militäroffensive gegen die PKK vor allem im Südosten des Landes vor. Damals war ein Waffenstillstand nach mehr als zwei Jahren gescheitert. Die PKK verübte seitdem wieder zahlreiche Anschläge im Land.
Türkische Armee in IS-Bastion vorgedrungen
Die türkische Regierung macht aber auch die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) für Attentate verantwortlich. Die türkische Armee und syrische Rebellen waren am Vortag nach heftigen Kämpfen in die syrische IS-Bastion Al-Bab vorgedrungen. Die Stadt unweit der Grenze zur Türkei ist die letzte IS-Hochburg in der nordsyrischen Provinz Aleppo. Türkische Jets hätten den Angriff aus der Luft unterstützt, meldete die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte.
Die Türkei hatte im August eine Bodenoffensive in Syrien begonnen, mit der sie Rebellen unterstützt. Seitdem haben die Verbündeten im Zuge der Operation „Schutzschild Euphrat“ den IS bereits von der türkisch-syrischen Grenze verdrängt. Die Türkei bekämpft in Nordsyrien zugleich die Kurdenmiliz YPG, die eng mit der PKK verbunden ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Scholz fordert mehr Kompetenzen für Behörden
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau