Dopingvorwürfe beim Eiskunstlauf: Probleme am Herzen
Beim Eiskunstlaufwettbewerb beeindruckt Nathan Chen aus den USA. Omnipräsent ist allerdings die Russin Kamila Walijewa und der Dopingverdacht.
Nathan Chen hat wirklich sein Bestes gegeben. Die Kür des US-Amerikaners war im Vergleich zu denen seiner Konkurrenten auf dem Eis herausragend an diesem Donnerstagnachmittag in Peking. Sie war überhaupt herausragend. Der 22-Jährige ist Olympiasieger, ein würdiger. Chen konnte sein Glück danach nur erst schwer, dann immer besser in Worte fassen. „Ich krieg grade keine Luft, aber klar, ich bin happy“, meinte er direkt nach der provisorischen Siegerehrung. Doch irgendetwas war merkwürdig im Capital Indoor Stadium von Peking. Eine finstere Spekulation überschattete den Wettbewerb der Eiskunstläufer.
Es geht um Doping im Eiskunstlauf und es geht um Russland. Da ist es schwer für einen gerade gekürten Olympiasieger die Nachrichtenhoheit zu behalten. Russische Medien hatten in der Nacht berichtet, dass der Superstar der Russen, die 15-jährige Eiskunstlaufzwergin Kamila Walijewa, im Dezember positiv auf ein verbotenes Herzmittel getestet worden war. Eine Nachricht mit Sprengkraft.
Als Chen gerade seine schmissige Kür zur Musik von Eltons Johns Rocket Man lief, da trainierte in einer anderen Eislaufhalle Walijewa. Damit war eine erste Frage, die sich nach den Dopingmeldungen aufgetan hatte, bereits beantwortet. Nein, das russische Olympische Komitee zieht seinen jungen Star nicht von den Spielen zurück. Es läuft eine juristische Auseinandersetzung um den Fall, und Walijewa soll im Einzelwettbewerb antreten. Noch einmal ihre verrückte Kür zeigen, bei der sie Vierfachsprünge eingebaut hat, wie es die Welt zuvor noch nicht gesehen hatte.
Mit dieser Kür hatte sie zum Sieg der russischen Mannschaft im Teamwettbewerb beigetragen. Doch dann geschah etwas Merkwürdiges. Die Medaillenübergabe, die schon am Dienstagabend vonstatten gehen sollte, wurde abgesagt. Seitdem ist aus der Geschichte vom Wunderkind Walijewa ein Fall Walijewa geworden.
Medikament wie ein Vitamin
Der war das große Thema, während die Männer um Medaillen liefen. Der Georgier, Morisi Kwitelashwili, der nach seinem famosen fünften Platz im Kurzprogramm am Ende auf Platz zehn zurückfiel, hat die gleichte Trainerin wie Walijewa: Eteri Tutberidse. Was hat die eigentlich dazu zu sagen? „Zu Klatsch äußere ich mich nicht.“ Nichts also. Wer den Japaner Shoma Uno gesehen hat, wie er versuchte zur Musik vom Maurice Ravels Bolero ein wenig Zauber auf’s Eis zu bringen, der musste an die Wahnsinnskür von Waliljewa am Dienstag denken, die zur gleichen Musik gelaufen war. Die Anfeuerungsrufe zweier russischer Journalisten für ihren Landsmann Mark Kondratjew waren derart übertrieben, dass der Verdacht naheliegt, sie hätten eigentlich Walijewa gegolten. Walijewa war nicht in der Halle, aber omnipräsent.
Auf dem Newsportal sports.ru wurden derweil die User aufgefordert, Kommentare zur Unterstützung der jungen Sportlerin zu posten. Dazu wurde ein Interview mit einem russischen Sportarzt gestellt, das tief blicken lässt. Da erklärte Valentin Belajevski, der im Profifußball und Basketball gearbeitet hat, dass die Einnahme des Herzmedikaments Preduktal, dass die von den Dopinganalysten entdeckte, verbotene Substanz Trimetazidin nicht zu Zwecken der Leistungssteigerung genommen werde, sondern eher präventiv. Wie ein Vitamin, um den Sportlerinnen die Angst vor einer niedrigen Herzfrequenz, wie sie ja den meisten Athleten eigen ist, zu nehmen.
Ob dies das Internationale Sportgericht Cas, das sich bald mit dem Fall befassen wird, wohl beindrucken wird. Es muss erst einmal geklärt werden, ob bei der 15-jährigen Walijewa gilt, was für erwachsene Sportler selbstverständlich ist – dass sie für alles, was in ihrem Körper gefunden wird, selbst verantwortlich sind. Für Jugendliche gelten in der Tat andere Regeln. So sollte eigentlich aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes gewährleistet werden, dass ihre Namen nicht genannt werden. Außerdem kann es mildere Strafen geben. Manchmal sogar nur eine Verwarnung. Das ist es, was die Sportjuristen nun klären müssen.
So lange es noch kein Urteil gibt, möchte sich auch das Internationale Olympische Komitee nicht äußern. Das muss gerade dabei zusehen, wie der erste Dopingfall der Spiele ausgerechnet bei dem Team festgestellt wird, das wegen staatlich orchestrierter Dopingpraktiken nicht unter der Flagge Russlands starten darf. „Das könnte die Glaubwürdigkeit der ganzen Olympischen Bewegung beschädigen“, meinte Susanne Lyons, die Aufsichtsratschefin des US-Olympiakomitees, zu dem möglichen Dopingfall. Wo sie das gesagt hat? Klar, am Rande der Entscheidung im Eiskunstlauf der Männer.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen