Doping: Ende eines Baseball-Märchens
Immer mehr US-Profisportler werden als Kunden von obskuren Arzneimittelhändlern enttarnt. Die Aufregung darüber hält sich jedoch in Grenzen.
Die Päckchen kamen aus Florida. Absender: eine Apotheke in Orlando. Empfänger: einige der bekanntesten Sportler der USA, Baseball-Spieler und Football-Profis. Inhalt: Anabolika, Wachstumshormone, verbotene Fitmacher, zum Teil verschrieben von obskuren Kliniken. Die Folgen bislang: 22 Anklagen, neun Verurteilungen, zwei Sperren, ein entlassener Arzt und eine Handvoll zerstörter Karrieren.
Signature Pharmacy nennt sich der Drugstore, dessen Geschäfte momentan von der US-Staatsanwaltschaft untersucht werden. Nahezu täglich tauchen in der Presse neue Namen von der Kundenliste auf, auch prominente: Troy Glaus von den Toronto Blue Jays stand viermal in der All-Star-Auswahl und wurde zum besten Spieler der World Series 2002 gewählt. Er soll zwischen September 2003 und Mai 2004 gleich mehrere Lieferungen von Signature Pharmacy mit verschiedenen Anabolika erhalten haben, zugestellt an eine Deckadresse. Auch sein Kollege Jay Gibbons ließ sich Illegales schicken: Der Baltimore Oriole vertraute auf Wachstumshormone und Anabolika.
Besonders tragisch ist die Geschichte von Rick Ankiel: Der war einmal ein großes Pitching-Talent der St. Louis Cardinals, bevor er den Ball nicht mehr geradeaus werfen konnte. Ein Comeback scheiterte dramatisch, die Ursache der plötzlichen Zielschwäche schien mental, wurde aber nie geklärt und seine Karriere schien 2005 beendet. Doch Ankiel wechselte vom Werferhügel ins Outfield, arbeitete sich tapfer zurück ins Team und lehrt nun seit einigen Monaten den ehemaligen Pitcher-Kollegen das Fürchten. Das ist in etwas so, als würde Tim Wiese endlich einsehen, dass er ein Fliegenfänger ist, nach zweijähriger Pause als Stürmer zurückkehren und es bis in die Nationalmannschaft schaffen. Ankiels Sommermärchen fand jedoch ein jähes Ende, als eine Tageszeitung enthüllte, dass er sich im Jahr 2004 achtmal Wachstumshormone liefern ließ - genug für eine ganzjährige Kur. Ob Ankiel gesperrt wird, ist dennoch ungewiss: Die Hormone waren Ankiel verschrieben worden, als sie von der Major League Baseball (MLB) noch nicht auf der Verbots-Liste geführt wurden.
Noch ist das Ausmaß des neuesten Dopingskandals des amerikanischen Profisports nicht endgültig abzusehen, aber es drängen sich Vergleiche auf zur Balco-Affäre. Wieder einmal erwiesen sich die Selbstreinigungskräfte des Sports als zu schwach. Staatliche Ermittlungsbehörden und die Presse mussten sich einschalten, um ein Dopingnetzwerk aufzudecken. Und immer noch hat die MLB nicht reagiert: Bislang wurde kein Spieler gesperrt. Die Liga hat nun beantragt, über die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft auf dem Laufenden gehalten zu werden. Man strebe eine ähnliche Zusammenarbeit an wie im Football. Die NFL hatte Anfang September Rodney Harrison, einen Verteidigungsspezialisten der New England Patriots, für vier Spiele und den Quarterback-Coach der Dallas Cowboys, Wade Wilson, für fünf Spiele gesperrt. Außerdem feuerten die Pittsburgh Steelers ihren Mannschaftsarzt. Alle drei hatten sich von Signature Pharmacy Wachstumshormone liefern lassen.
Die Aufregung über die neuen Enthüllungen allerdings hält sich in Grenzen. Schließlich sind die späten Neunzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts und die ersten Jahre des neuen Jahrtausends, in denen uralte Rekorde von aufgeblasenen Muskelbergen pulverisiert wurden, längst als "die Anabolika-Ära" in die Baseball-Geschichte eingegangen. Auch dass die neuen Enthüllungen nur die Spitze des Eisbergs darstellen, scheint klar: In den Major Leagues werden erst seit vier Jahren Dopingtests durchgeführt, und bis heute wird dabei nicht nach Wachstumshormonen gefahndet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!