Dokumentation über die radikale Linke: Held der Anklage
„München 1970 – Als der Terror zu uns kam“ widmet sich der Rolle der radikalen Linken im Nahostkonflikt. Die Jugend-Idole des Regisseurs werden schonungslos demontiert.
JERUSALEM taz | Der Regisseur Georg Hafner klagt an. Die radikale palästinensische Befreiungsorganisation PLO, weil sie Terroristen ausbildete, die auch seinen Onkel auf dem Gewissen haben. Deutschlands extreme Linke, die mit der al-Fatah, einer ehemals militanten Fraktion innerhalb der PLO, zusammenarbeitete. Die Bundesrepublik, weil sie Terroristen aus dem Gefängnis entließ und abschob. Und letztlich sich selbst, weil er viel zu spät merkt, welche Fragen er viel früher hätte stellen müssen. „München 1970 – Als der Terror zu uns kam“ verschärft jedenfalls die These, dass es nicht allein Deutschlands Neonazis waren, die mit palästinensischen Terrorgruppen zusammenarbeiteten, sondern die radikale Linke.
Der Film ist Hafners letzte große Dokumentation und vermutlich seine persönlichste. Dabei wirkt die Verwebung von Privatem und Historischem à la „Forest Gump“ nie erzwungen. Hafner erzählt seine Geschichte, den Prozess seines politische Erwachens und seiner Berufswahl Fernsehjournalist, die er unter dem Einfluss des ZDF-Reporters Rudolf Crisolli – seines Onkels – trifft. Im Februar 1970 starb Crisolli auf dem Flug der Swissair 330 von Zürich nach Tel Aviv bei einem Bombenanschlag. Hafner war da 23 Jahre alt und lebte, wie viele Studenten damals, im Münchner Olympiadorf.
Wenige Tage vor Crisollis Tod griffen palästinensische Terroristen auf dem Flughafen München-Riem Passagiere eines El-Al-Flugs nach Tel Aviv an. Ein Israeli starb, mehrere Menschen, auch der Pilot Uri Cohen, wurden verletzt. „Vielleicht kann aus dieser Katastrophe, aus der Qual der Menschen, die gestorben sind, etwas Gutes entstehen“, sagt Cohen später in einem Interview. Die Europäer sollten begreifen, dass der Terror „eure Sache ist genauso wie unsere“.
Sie begriffen es nicht. Für Hafner, der wie alle im Strom der Vorfreude auf die Olympischen Spiele schwamm, heute unfassbar. Immer wieder war man geschockt, immer wieder vergaß man schnell, und immer wieder wurden die Täter nach kurzer Zeit aus dem Gefängnis entlassen und abgeschoben. Am Nahostkonflikt wollte man sich in Europa nicht die Finger verbrennen.
Wenig Interesse
Sowenig Deutschland damit zu tun haben wollte, so wenig interessierten sich umgekehrt die Israelis für den Terror in Deutschland. Nach jahrelanger aufwendiger Recherche spinnt Hafner die Fäden zwischen Anschlägen, Tätern und Opfern. Das Ergebnis ist ernüchternd – zuallererst für den Filmautor selbst, denn es geht um die „Helden meiner Jugend“, um die Kommune 1 und Dieter Kunzelmann, der „den Bruder des Mannes kennt, der meinen Onkel auf dem Gewissen hat“.
Kunzelmann traf Farouk Kaddoumi, den Bruder von Sufian Kaddoumi, der für den Swissair-Absturz mitverantwortlich war und heute Al-Fatah-Generalsekretär ist, in einem PLO-Trainingslager in Jordanien. „Wir werden unseren simplen Philosemitismus ersetzen durch eindeutige Solidarität mit der al-Fatach“, zitiert Hafner Kunzelmann aus anschließenden Tagebucheintragungen und Kampfschriften. „Wann endlich beginnt bei Euch der Kampf gegen die heilige Kuh Israel.“
Die Solidarität mit den Palästinensern ist eine Sache, Antisemitismus eine andere. Gnadenlos und erneut fassungslos entlarvt Hafner den „Helden seiner Jugend“ als einen Mann, den der Hass gegen die Juden treibt. Zeugen im Film sagen, er habe hinter dem Brandanschlag auf das Jüdische Gemeindehaus am 9. November 1969 in Berlin gestanden. Ob auch der Brandanschlag auf ein jüdisches Altenheim vier Monate später – sieben Menschen, allesamt Holocaust-Überlebende, kommen dabei ums Leben – auf sein Konto gehen, beantwortet weder die Polizei noch Hafner.
„München 1970 – Als der Terror zu uns kam“ (Dienstag, 17.07.2012, 22.45 Uhr, ARD)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Schwarz-Grün als Option nach der Wahl
Söder, sei still!
Abschiebungen syrischer Geflüchteter
Autokorsos und Abschiebefantasien
Sturz des Syrien-Regimes
Dank an Netanjahu?
NGO über den Machtwechsel in Syrien
„Wir wissen nicht, was nach dem Diktator kommt“
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Unterstützerin von Gisèle Pelicot
„Für mich sind diese Männer keine Menschen mehr“