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Dokumentation „Score“ über FilmmusikMusik ist was anderes als Schokolade

Die Doku „Score“ ist eine narzisstische Werkschau einiger KünstlerInnen. Gern würde man mehr über die Geschichte der Filmmusik wissen.

Quincy Jones in „Score – Eine Geschichte der Filmmusik“ Foto: Epicleff media/NFP

In der Kulturgeschichte dominiert der Sehsinn. Wir glauben vor allem das, was wir sehen, während das, was wir hören, oft unbewusst geschieht oder kaum Beachtung findet.

Die Vorherrschaft des Sehens zeigt sich bis heute in Filmen, in denen die Bildebene die akustische oft überlagert. Dabei kann Filmmusik sehr viel, wenn sie darf. Dann wühlt sie auf und verwirrt und ergänzt das Narrativ um Aspekte, die mit Worten oder Bildern nicht auszudrücken sind – wie zuletzt Mica Levis Soundtrack zu „Under the Skin“. Meistens aber sediert sie heute nur, wird zum emotionalen Aufputschmittel wie in vielen Vorabendserien oder Hollywoodfilmen.

Zu Beginn des Tonfilms in den 1930er Jahren bestand Filmmusik ausschließlich aus Auftragskompositionen, also „Scores“. Seit den späten 1960ern kommt sie immer öfter auch aus dem Archiv: Stock Music heißt das im Fachjargon. Im Dokumentarfilm „Score“ vom jungen US-Regisseur Matt Schrader geht es ausschließlich um erstere Variante, also jene Orchestermusik, die in vielen zeitgenössischen Mainstream-Produktionen zu hören ist.

Dass Schrader viele berühmte KomponistInnen in die Kamera sprechen lässt, mag löblich sein, eskaliert aber schnell in ein redundantes Statement-Stakkato der Selbstbezogenheit. Die Armee renommierter Regisseure wie James Cameron oder Steven Spielberg und KomponistInnen wie Rachel Portman, Hans Zimmer oder John Williams, die hier aufgefahren wird, bietet weder eine historische noch eine kulturelle Einordnung – und stellt keine Fragen nach dem Wie oder Warum, sondern nur nach dem Was.

Nur „schwebende Luftmoleküle“

Stattdessen werden jede Menge Talking Heads aneinandermontiert, die vor großen Mischpulten sitzen oder mit Dirigentenstab vor Orchestern herumfuchteln. Ständig finden sie einen stets kommentarlos eingeblendeten Soundtrack „amazing“ oder verlieren sich in Banalitäten. Den eigenen Soundtrack zum ersten Mal zu hören sei, wie zum ersten Mal das eigene Kind zu sehen. Oder: Filmkomponisten seien wie Therapeuten, sagt Blockbuster-Regisseur James Cameron. Historisches bleibt arg Hollywood-zentristisch, etwa wenn Alex North’ Soundtrack von „Endstation Sehnsucht“ (1951) von allen einvernehmlich stilprägend genannt wird. Alain Resnais’ Nouvelle-Vague-Klassiker „Hiroshima, mon amour“ von 1959, den Eric Rohmer zu Recht als „ersten Film mit modernem Sound“ bezeichnete, bleibt unerwähnt.

Selbst die Psychologin Siu-Lan Tan referiert nur Alltagswissen. Musik spreche so wie Schokolade das Belohnungszentrum an. Der erkenntnistheoretische Tiefpunkt ist erreicht, als der aus dem Nichts auftauchende Musiker Moby davon schwadroniert, dass Musik nichts anderes sei als „schwebende Luftmoleküle“.

Der Film

„Score – Eine Geschichte der Filmmusik“. Regie: Matt Schrader. USA 2016, 93 Min. Ab 4. Januar im Kino

Weniger Luft und mehr Substanz hätte „Score“ davor bewahrt, eine narzisstische Werkschau einiger erfolgreicher KünstlerInnen zu sein. Gern hätte man mehr erfahren über die verschiedenen Formen von Filmmusik, über die Viszeralität von Klängen und alles, was über vulgärpsychologische Abhandlungen hinausgeht.

„Wir haben eine große Verantwortung“, sagt der auf einem roten Sessel sitzende Hans Zimmer zum Schluss. Er und seine Kollegen seien die letzten Menschen, die Orchestermusik in Auftrag geben könnten. Ohne sie würde sie aussterben. Ist es jene Vermessenheit, die den großen Blockbustern die meistens spätromantisch geprägte Orchestermusik aufzwingt und damit nur standardisierte Reiz-Reaktions-Schemata abruft?

Dass Bernard Hermanns Terror-Geigen-Soundtrack von Hitchcocks „Psycho“ in „Score“ als radikalstes Beispiel wiedergekäut wird, entlarvt nicht nur die Sinneskonditionierung, sondern, wenn man es genau nimmt, auch die akustische Mutlosigkeit des Mainstream-Kinos.

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