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Dokumentarfilm über Jörg ImmendorffDie Karten auf den Tisch

Der Maler Jörg Immendorff war ein Held, weil er sich dem Ausnahmezustand verweigerte. Filmemacherin Nicola Graef begleitete ihn mit der Kamera bis zu seinem Tod.

Jörg Immendorff 2006. Bild: dpa

Plötzlich begegnet man ihnen wieder im Kino, den wahren Heldengeschichten. Sie entstehen weitab von Hollywood, dem eigentlich für Heldensagen zuständigen Ort. Und immer spielen dabei bildende Künstler eine maßgebliche Rolle. Der amerikanische Malerstar Julian Schnabel inszenierte mit französischem Geld "Schmetterling und Taucherglocke", die Geschichte von Jean-Dominique Bauby, dessen Körper, aber nicht dessen Geist ein Hirnschlag lahmlegt. Dem erfolgreichen Journalisten gelang Unmögliches: Ohne zu verzweifeln, findet er sich mit der verzweifelten Situation zurecht. Der deutsche Malerstar Jörg Immendorff wiederum hatte den Mut, sich zwei Jahre lang, bis zu seinem Tod im Mai 2007, von der Filmemacherin Nicola Graef begleiten zu lassen. Neun Jahre lebte und arbeitete Immendorff im Bewusstsein, unheilbar an ALS erkrankt zu sein, einer mehr oder weniger schnell zum Tod führenden Degeneration des Nervensystems.

Die Leinwand ist noch schwarz, da hört man Immendorff über seine Krankheit sprechen. Allein durch die Wortwahl, den Klang der Stimme und den Tonfall entsteht das erste Bild, das man sich vom Protagonisten des Films macht. Mit diesem Bild fasst man Vertrauen in "Ich. Immendorff", eine Dokumentation, die im Fortgang die Konventionen des Fernsehfeatures nicht mehr verletzt. Ohne jede Bestürzung räsoniert der Künstler ruhig und sachlich über Fakten und Unbill der Krankheit und all die pragmatischen Vorkehrungen, die es ihm - seiner Behinderung zum Trotz - erlauben, an seinem Werk weiterzuarbeiten.

"Der Maler ist ja nie allein", sagt Immendorff, und dieser Satz bleibt hängen. Schon früher sei ständig jemand um ihn herum gewesen. Assistenten zu haben, ist für ihn nicht neu. Und ebenso wenig ein Leben ohne großen, privaten Alltag. Immendorff sieht also keinen Grund, den Ausnahmezustand auszurufen. Und das macht ihn zum Helden. Wo doch der Ausnahmezustand die Conditio sine qua non des Heldentums ist. Immendorff, der Maler, das zeigt der Film, ist wirklich nie allein. Umgeben von Assistenten, Bürokräften und Studenten managt er ein Atelier und seine Lehre. Er lebt sein Leben weiter. Nicht so, als sei nichts geschehen, sondern bewusst so, als sei fast nichts geschehen.

Wenig erstaunlich steht die Kunst und das eigene Werk weiterhin im Zentrum seines Alltags. Er habe, sagt Immendorff, "für die Malerei Neuland erobert". Mit Comicelementen und der Kombination von Bild und Text, aber auch mit der Forderung einer gesellschaftsbezogenen Kunst von größtmöglicher Verständlichkeit statt den Verrätselungen der bürgerlichen Kunst. Tatsächlich erfand Immendorff plakative, visuell treffende Bilder für die Ideen, Utopien und Ideologien, die Motor seines Werks waren. "Er legte", wie Jonathan Meese mit größter Hochachtung betont, "die Karten immer auf den Tisch." Und das, fügt der junge Kollege und Kollaborateur bei einer Werkserie im Interview hinzu, "machen nur wenige". Naiv zu erscheinen, fürchtete Immendorff nie. Dazu war er zu intelligent. Und immer wieder brach er aus dem elitären Kunstbetrieb aus, etwa 2000 mit einem Bild für Bild.

Neben Jonathan Meese, der Mutter und der jungen Ehefrau Oda Jaune geben Freunde und Kollegen wie Franz Erhard Walther, Tilman Spengler oder Markus Lüpertz Nicola Graef Auskunft über Immendorff. (A. R. Penck, Immendorffs Sparringspartner bei den "Café Deutschland"-Bildern, allerdings vermisst man.) Sie sprechen von der Leidenschaft des Lehrers, über den Beuys-Schüler, den bei aller Eigenwilligkeit höflichen jungen Mann. Auf alten Fotos und in Filmen ist ein Junge von scheuem Liebreiz zu entdecken, den das Bild des erfolgsverwöhnten Künstlerstars als schwer beringter St. Pauli-Kneipier in Nietenleder nicht vermuten ließ. Militanz ist Immendorffs Naturell, und letztlich auch seinem Werk, fremd. Natürlich setzt sich auch der gelähmte, schwer gezeichnete Künstler, der Bedeutung seines Werks bewusst, noch immer als grandioses Ego in Szene. Es herrscht, wie gesagt, nicht der Ausnahmezustand. Das macht "Ich. Immendorff" zum Erlebnis. Ja, Immendorff hat auch zuletzt die Karten auf den Tisch gelegt.

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