Dokumentarfilm über Alltagsrassismus: Die Sicht der Betroffenen
In der betont sachlichen Doku „Inner Circle – Outer Circle“ erzählen Schwarze Menschen von ihren Rassismus-Erfahrungen in der norddeutschen Provinz.
„Sie sprechen aber gut deutsch!“ Diesen Satz hört Minerve Laurielle Amaeze immer wieder. Meist soll er ein Kompliment sein, aber die 17-jährige Gymnasiastin empfindet ihn als eine Kränkung. Sie wurde in Wilhelmshaven geboren. Deutsch ist ihre Muttersprache, aber ihre Hautfarbe ist Schwarz.
Ähnlich geht es Kaline Charnelle Anago. Sie lebt seit über 20 Jahren in Wilhelmshaven, trifft aber immer noch auf Mitmenschen, die unwillkürlich ihre Taschen an sich ziehen, wenn sie ihr begegnen. Einer Schwarzen Frau trauen sie offenbar zu, eine Diebin zu sein.
Suraij Mailitafi, der im Alter von 9 Jahren nach Deutschland kam, ist heute 22 Jahre alt, studiert Chemie an der Universität Oldenburg – und macht Kommunalpolitik: Im Samtgemeinderat von Bersenbrück gehört er der Grünen-Fraktion an. Schon in der Grundschule hatte er die Erfahrung gemacht, dass die nicht-schwarzen Kinder mehr Anerkennung und Ermutigung von den Lehrer*innen bekamen, obwohl seine Leistungen mindestens ebenso gut waren.
Von diesen Mikroaggressionen, die exemplarisch für die Lebensrealitäten von Schwarzen Menschen in Deutschland sind, erzählen diese drei Protagonist*innen im Dokumentarfilm „Inner Circle – Outer Circle“.
Dessen Premiere am 27. November im Oldenburger Kino Cine K ist längst ausverkauft. Aber es wird weitere Vorstellungen in Oldenburg, Wilhelmshaven und Bremen geben, zudem soll er Bildungseinrichtungen zur Verfügung gestellt werden. Seine Ästhetik ist betont sachlich: Von ein paar Familienfotos und kurzen Handyaufnahmen abgesehen besteht der Film ausschließlich aus den Monologen der Protagonist*innen.
Die drei stehen vor der Kamera und erzählen von ihrem Leben – meist frontal als sogenannte talking heads – in kürzeren Einstellungen auch mal im Profil aufgenommen. Dazu kommen eine mit einfachsten Mitteln aufgenommene und sehr sparsam eingesetzte Musik sowie ein paar eingeblendete Textzeilen. Minimalistischer lässt sich ein Film kaum produzieren.
Doch er erfüllt seinen Zweck. Denn „Inner Circle – Outer Circle“ ist als ein sozialpolitischer Lehrfilm angelegt: Durch ihn soll vermittelt werden, wie Schwarze Menschen heute in der norddeutschen Provinz leben. Das ist die Intention der Aktivistin und Künstlerin Wilma Nyari, die seit vielen Jahren ehrenamtlich Schwarze Menschen berät – erst in Frankfurt am Main und Hessen, seit sie vor ein paar Jahren nach Wilhelmshaven gezogen ist eben im westlichen Niedersachsen. Mit dem Film will sie erreichen, dass deren öffentlich kaum bekannte Sicht auf die Dinge Öffentlichkeit erhält.
Sich dabei fürs Medium Film zu entscheiden, hatte rein praktische Gründe. Die Protagonist*innen müssen so nur einmal in Interviews die richtigen Worte finden und der Film kann immer wieder in Schulen, Seminaren und anderen Veranstaltungen gezeigt werden. An den Unterricht angepasst ist auch die Länge von 45 Minuten: In einer Doppelstunde bleibt nach dem Film noch Zeit, über das Gesehene zu reden.
Selfmade ohne Vorerfahrungen
Wilma Niyari hatte die Idee zu dem Film. Sie hat die drei Protagonist*innen überzeugt, an dem Projekt mitzumachen. Aber um einen Film zu machen, hatte sie weder die Kenntnisse noch die Ausrüstung.
Also hat sie Partner gesucht – und gefunden: Ermöglicht haben das Projekt die Bremer Stadtteilinitiative „Kulturladen Huchting“ und der Filmemacher Juan Trujillo, der aus Puerto Rico stammt und sich als Person of Color bei den Dreharbeiten gut ins Befinden und Erleben der Protagonist*innen einfühlen konnte. Die Filmmusik hat Norbert Ellrich vom Kulturladen produziert. Gefördert wurde das Projekt durch die Bundeszentrale für politische Bildung.
Der Titel des Films spiegelt seine Struktur. Denn zuerst erzählen Minerve Laurielle Amaeze, Kaline Charnelle Anago und Suraij Mailitafi aus ihrer Innensicht davon, wie ihre Rassismuserfahrungen sie geprägt haben.
„Inner Circle – Outer Circle“. Regie Juan Trujillo, Deutschland 2024, 45 Min. Filmpremiere am 27. November, Cine K, Oldenburg, 18 Uhr. Gespräch mit dem Team im Anschluss
Im zweiten Teil schildern sie dann, welche Verteidigungsstrategien sie für sich selber entwickelt haben, um sich gegen Diskriminierungen zu wehren. Dabei fällt auf, dass sie alle drei die Sprache als eine sehr wirksame Waffe entdeckt haben. Kaline Charnelle Anago, die erst als Erwachsene lernte, Deutsch zu sprechen, drückt sich in einer sehr emotionalen, energischen Art und Weise aus. Minerve Laurielle Amaeze und Suraij Mailitafi sprechen dagegen beide ein geschliffenes, so gut wie druckreifes Deutsch.
Allerdings hat Mailitafi auch die Erfahrung gemacht, dass Bildung nicht alle Türen öffnet. Als er vor einiger Zeit zum ersten Mal wieder sein Geburtsland Ghana besuchte, entdeckte er dort einen Schrottplatz für Elektromüll, der aus den westlichen Ländern importiert wird. Unter den Menschen, die dort die alten Geräte ausschlachten und sich dabei die Gesundheit ruinieren, weil sie sich ständig ungeschützt Umweltgiften aussetzen, sind viele Ghanaer*innen mit abgeschlossener akademischer Ausbildung. Im maroden und korrupten Gesellschaftssystem ihres Landes bleiben sie jedoch chancenlos.
Durch solche Geschichten bekommt der Film einen erstaunlich weiten Horizont: Hier zeigt sich, wie das Leben von Afrikaner*innen auch in Afrika immer noch durch das koloniale Erbe bestimmt wird; das gleiche, das auch die Erfahrungswelt Schwarzer Menschen in Deutschland prägt.
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