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Dokudrama über Strafgefangene in RomBefreiung für einen Moment

In „Cäsar muss sterben“, dem jüngsten Film der Brüder Taviani, werden Verbrecher zu Schauspielern. Die Gefangenen inszenieren Shakespeare.

Kino im Knast: Die Schauspieler sitzen alle wegen organisiertem Verbrechen für Jahrzehnte im Gefängnis. Bild: Camino Filmverleih

„Cäsar muss sterben“ ist ein Mafiafilm der besonderen Art. Die Mitglieder der Mafia, Camorra, Ndrangheta sind echt, aber sie sitzen im Knast. Schwere Jungs sind sie alle, zu lebenslänglich verurteilt wegen Mord, zu zwanzig, dreißig Jahren wegen organisiertem Verbrechen, zu langjährigen Strafen wegen „diverser Taten“.

Sie kommen aus Rom, Neapel, Apulien, Kalabrien und sitzen nun ein im Hochsicherheitsgefängnis im römischen Vorort Rebibbia, in dem auch der Papst-Attentäter Ali Agca einst untergebracht war. Aber nicht von ihren Taten erzählt „Cäsar muss sterben“, man erfährt kaum etwas über die Männer persönlich. Man lernt die Verbrecher vielmehr als Schauspieler kennen.

„Cäsar muss sterben“ ist ein Theaterfilm der besonderen Art. Er zeigt, wie eine Inszenierung von Shakespeares „Julius Cäsar“ entsteht, und zwar in Rebibbia. Vom Theater im römischen Knast hatten die Tavianis von einer Freundin gehört, die ebendort eine Aufführung einzelner Szenen aus Dantes „Inferno“ besuchte. Sie sahen sich das an, sie unterhielten sich mit dem für die Inszenierungen verantwortlichen Theaterregisseur Fabio Cavalli, und dann hatten sie die Idee, einen Film im Knast zu drehen, der zeigt, wie eine Aufführung von Shakespeares „Julius Cäsar“ mit diesem Schwerverbrecher-Ensemble entsteht.

Der Film

„Cäsar muss sterben“. Regie: Paolo Taviani, Vittorio Taviani. Mitwirkende: Salvatore Striano, Cosimo Rega, u.a. Italien 2012, 76 Minuten.

„Cäsar muss sterben“ ist alles andere als ein Dokumentarfilm. Er beobachtet nicht einfach Proben zum Stück. „Julius Cäsar“ war die Wahl der Tavianis, nicht von Fabio Cavalli. Es gibt eine Inszenierung, aber die Vorführung selbst im Gefängnistheater bildet nur in kurzen Ausschnitten den rondoförmigen Rahmen, und nur dieser Rahmen ist in Farbe, der Rest ist schwarz-weiß – mit Ausnahme eines ganz kurzen Sehnsuchtsmoments beim Blick auf eine Fototapete. Der Film ist nach Drehbuch entstanden, die Tavianis haben das Shakespeare-Stück für ihre Zwecke stark zurechtgekürzt.

Sie inszenieren nicht, sondern verfilmen das Drama. Sie zeigen auch nicht die Hintergründe einer Inszenierung. Sie haben vielmehr einen Film gedreht, der zwar auf die besondere Situation seiner Entstehung durchlässig ist, diese aber nicht dokumentiert, sondern den ganzen Zusammenhang mit starker Hand in ein eigenes, bewusst stilisiertes Werk überträgt.

Das Gefängnis als Bühne

Soll heißen: „Cäsar muss sterben“ ist in einem sehr emphatischen Sinne ein Spielfilm. Es geht ihm gerade nicht um die Grenze zwischen Dokumentarischem und Inszenierung. Anders als in Theaterfilmen gibt es streng genommen keinen Backstage-Moment, alles, auch die Szenen, in denen die Insassen/Schauspieler Stücktexte proben, in denen sie sich an ihre eigenen Untaten erinnern, ist bereits Teil der Filmerzählung. Schauplatz der einzelnen Szenen sind Orte im gesamten Gefängnis, unter dem Vorwand, dass die Bühne gerade umgebaut wird.

Marc Antonius hält seine berühmte Rede über Brutus als ehrenwerten Mann in einem kahlen weißen Gefängnisinnenhof; der Brutus-Darsteller kehrt einen Zellengang und spricht dabei Shakespeare-Text; auch die Wärter werden in einer Sequenz zu Darstellern nicht des Stücks, aber des Films; eine Mauerschauszene, bei der, wie im Theater üblich, einer vom Rand der Bühne schildert, was „draußen“ passiert, bekommt an diesem Ort natürlich noch einmal einen ganz anderen Sinn.

Theater ist nur da möglich, wo zur Darstellung einer anderen Wirklichkeit die Wirklichkeit ausgesperrt wird. „Cäsar muss sterben“ probt hier eine Inversion: Die Insassen vergessen die realen Mauern, indem sie sich in den anderen Raum des Theaters begeben. Die vierte Wand befreit sie, für den Moment. Aber auch die Umkehrung gilt: Seit ich die Kunst kenne, fühle ich mich in meiner Zelle gefangen – formuliert der Cassius-Darsteller.

All das könnte schrecklich gut gemeint sein, aber trotzdem gar misslingen, wenn nicht geradezu in filmische Ausbeutung der Gefängnisszenerie und der Schicksale seiner Insassen kippen. Dass es das nicht tut, ist das große Verdienst der Tavianis, beide schon über achtzig, die nach langen Jahren noch einmal zur großen Inszenierungskunst von frühen Meisterwerken wie „Padre Padrone“ oder „Die Wiese“ finden. Sie bleiben Shakespeare treu und gewähren den Darstellern und ihrer Situation eine geradezu erhabene Würde dabei. Darum hat „Cäsar muss sterben“ den Goldenen Bären, den er erhielt, durchaus verdient.

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