Doku über Rapper Lil Nas X: Striptease für Satan
Die Doku „Long Live Montero“ begleitet den queeren Rapper Lil Nas X auf seiner ersten Tour. US-Christen sehen in ihm einen Freund des Teufels.
Montero Lamar Hill ist 25 Jahre alt und sieht sogar noch jünger aus, als er zwischen weißen Bettlaken in die Kamera lächelt und versucht, seine Karriere in Worte zu fassen. Unter dem Künstlernamen Lil Nas X veröffentlichte er vor sechs Jahren sein völlig überraschendes Country-Cross-over-Debüt „Old Town Road“.
Den Verdacht, nur ein One-Hit-Wonder zu sein, konnte er mit weiteren Welterfolgen wie „Montero (Call Me by Your Name)“ und „That’s What I Want“ entgegenwirken. Er ist gekommen, um zu bleiben: „I told you long ago, I got what they’re waiting for“, singt er im Refrain von „Industry Baby“ und hat damit recht behalten. Die Dokumentation „Long Live Montero“ lässt nun erahnen, wie sehnsüchtig er als Schwarzer queerer Künstler wirklich erwartet wurde.
Am Anfang seiner Karriere habe er ein Sänger sein wollen, der sich zwar zu seiner Homosexualität bekenne, sie aber niemandem „aufdränge“. Nicht provozieren, nicht kokettieren, sondern „ansonsten perfekt sein, um diesen einen Fehler auszugleichen“. Der Cowboy aus „Old Town Road“ eben – lustig, einfach mitzusingen, ein Partyhit für die breite Masse.
Flucht nach vorne
Welch großes Glück, dass es dabei nicht geblieben ist. Mit seinen expliziten Lines in „Montero (Call Me by Your Name)“ über queeren Sex und seinem Musikvideo, in dem er vor dem Teufel strippt, löste er eine regelrechte Hysterie des christlich-republikanischen Spektrums aus, das ihn als satanisches Gift für Amerikas Kinder bezeichnete. Er entblößte damit einmal mehr zutiefst homophobe Denkstrukturen, eingekleidet in den Mantel des Religiösen.
Montero entschied sich für die selbstironische Flucht nach vorn: In einem Aneignungsprozess der Zuschreibung des Satanischen veröffentlichte er eine längere Version des Songs namens „Satan’s Extended Version“, um wenig später im Video von „Industry Baby“ nackt im Männergefängnis zu tanzen. Spätestens seitdem befindet er sich im offenen Kampf gegen die, die seine Musik für gefährliches Teufelswerk halten – stellvertretend für die, denen er endlich eine Stimme und Sichtbarkeit geben konnte.
Er stehe auf den Schultern anderer Schwarzer queerer KünstlerInnen, die oft vergessen worden seien, erzählt Montero in der Dokumentation: „Schwarzen Künstlern passiert das häufig, queeren Schwarzen Künstlern ganz besonders.“ Auch in seinem familiären Umfeld erlebe er Unverständnis für seine sexuelle Orientierung. Die Tourerfahrung beschreibt er als ersten Safe Space seines Lebens: Unter den Tänzern könne er zum ersten Mal bedingungslos er selbst sein.
Kollektiver Safe Space
Szenen der Konzerte aus „Long Live Montero“ zeigen, wie seine Auftritte ebenso sehr einen kollektiven Safe Space für das gesamte Publikum erschaffen: einen Raum, in dem niemand nur geduldet, sondern im Gegenteil in seiner ganzen Queerness zelebriert wird. So werden die Eingangsworte des „Montero“-Musikvideos zum Motto seiner Tour, zur Einladung an die Anwesenden, alles sein zu dürfen: „In life we hide the parts of ourselves we don’t want the world to see. We lock them away. But here we don’t: Welcome to Montero“.
„Long Live Montero“ ist u. a. auf Amazon, Apple TV, und Magenta TV abrufbar
Montero, der in der Vergangenheit in Interviews äußerte, er habe als Jugendlicher verzweifelt versucht, seine Homosexualität wegzubeten, kann anders in die Zukunft blicken: „Mein neues Album soll Eskapismus sein. Aber nicht die Art, in die man sich flüchtet, wenn man sterben will. Sondern die Art, durch die man noch mehr zum Leben steht.“ In seinem kürzlich veröffentlichten Musikvideo zu „J Christ“ inszeniert sich der Sänger als Jesus und endet mit der Bibelstelle 2. Korinther 5,17: „Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur. Das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.“ Ein Ende seiner religiösen Provokationen ist also nicht in Sicht. Gott sei Dank.
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