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Doku-Theater zu polnischen PflegekräftenDer Dienst am Deutschen

Die Werkgruppe 2 bringt unter dem Titel "Polnische Perlen" die Geschichten osteuropäischer Pflegerinnen auf die Bühne des Staatstheaters Braunschweig.

Erkunden Biografien akribisch und emotional: Julia Roesler, Insa Rudolph und Silke Merzhäuser alias Werkgruppe 2. Bild: Isabel Winarsch

BRAUNSCHWEIG taz | Nach dem Einsatz in Afghanistan haben Soldaten ihnen erzählt vom Leben und Sterben dort, vom Erleben und Erleiden des Krieges außerhalb und innerhalb des Menschen. Vom Alltag am Markt der bezahlten Liebesdienste berichteten Sex-Arbeiterinnen, vom harten Leben unterwegs Mitglieder aus Zirkus-Familien. Und im Zentrum der ersten größeren Arbeit der Werkgruppe 2 aus Göttingen stand das Grenzdurchgangslager Friedland.

Am Deutschen Theater in Göttingen, Partner der freien Gruppe in den vergangenen Jahren, wechselt im Sommer der Intendant – Mark Zurmühle geht, Erich Sidler kommt. Und die Werkgruppe 2 nimmt Abschied auf Zeit – und wechselt für zwei Jahre ans Staatstheater Braunschweig, das für die Kooperation zwei Jahre Mittel aus dem „Doppelpass“-Programm der Bundeskulturstiftung erhält.

Wie bei vielen innovativen Theater-Projekten steht am Beginn die Ausbildung an der Universität Hildesheim. Hier wie im ähnlich orientierten Gießener Studiengang entsteht regelmäßig strukturell neues Verständnis von Stück und Spiel als Material im Theater.

Julia Roesler, Regisseurin der Werkgruppe 2, hat mit dem Hildesheimer Rüstzeug den Weg der Recherche beschritten – sie und die Dramaturgin Silke Merzhäuser erkunden akribisch und sehr emotional die Biografien der Menschen, deren Schicksal sie interessiert: Derzeit in Braunschweig zum Beispiel die Geschichten osteuropäischer Pflegekräfte, die unverzichtbar geworden sind in der Betreuung alter und hilfloser Menschen in deutschen Haushalten. „Polnische Perlen“ ist das Ergebnis.

Nach aktuellem Stand wird zum Beispiel Polen die europäische Gemeinschaftswährung, den Euro, erst in den 20er-Jahren dieses Jahrhunderts einführen wollen und können; ganz zu schweigen von den Neu-Europäern in Bulgarien und Rumänen. Noch also lohnt die Arbeitsreise ins wohlhabende Deutschland, legal oder nicht – wo sich die Kosten für die Pflege hilfsbedürftiger Familienmitglieder längst nicht mehr alle Haushalte leisten können.

Arbeit unter erschwerten Bedingungen

„Polnische Perlen“ sind also willkommen – die Frauen aus Europas Nachbarschaft, vermittelt direkt und per Anzeige, oft aber auch von nicht immer legal agierenden Agenturen, arbeiten preiswert auch unter erschwerten Bedingungen. Rund um die Uhr sind sie im Einsatz, die freie Zeit ist knapp. Oft arbeiten sie sozusagen im Akkord, um danach in die Heimatländer zurückzukehren. Wer fragt, wie die „Perlen“ bezahlt und sozial abgesichert werden, gelangt schnell in undurchsichtige Grauzonen. Selbst in feineren und feinsten Kreisen riskieren die Arbeitgeber Grenzgänge in die Illegalität.

Auch darum bleiben die Frauen in dieser Recherche namenlos. Das kommt der Arbeitsweise der Werkgruppe 2 sogar eher entgegen: Roesler und Merzhäuser weisen immer wieder darauf hin, dass die Form der Dokumentation bei ihnen nie direkt und „eins zu eins“ erfolgen soll. Darum hat auch noch kein Auskunftgeber persönlich auf der Bühne gestanden.

Das Team befragt beharrlich und lange, bevor die eigentliche Arbeit an der Inszenierung beginnt. Die Recherche markiert dabei immer einen klar umrissenen Ausschnitt des Themas. Zusätzliche Distanz gewinnt die Werkgruppe 2 durch das Beharren auf professioneller Darstellung – Schauspielerinnen und Schauspieler sind immer im Einsatz als Interpreten des dokumentarischen Materials. Die Dokumentation ist so eher ein Versuchslabor; und das Publikum schaut den Laboranten beim Erforschen zu.

Spezielle Spielstätten

Insa Rudolph, als Musikerin die dritte feste Größe im Team der freien Gruppe, verstärkt noch die Distanz schaffenden Maßnahmen: Sie komponiert und musiziert, und sie kommentiert damit meist das Thema der Recherche und die Arbeit insgesamt. Für „Polnische Perlen“ etwa hat sie jetzt Klang-Collagen entworfen, die die Lieblingslieder der pflegebedürftigen Alten zitieren. Mancher im Publikum wird eigene Erinnerungen wieder- oder neu entdecken.

Überhaupt war auch das Zuschauen selbst ein Ereignis der besonderen Art bei der Werkgruppe 2, schon weil die Gruppe in Göttingen – jenseits vom Deutschen Theater selbst – über eine sehr spezielle Spielstätte verfügte: eine alte Wagenhalle gleich neben der Salz-Produktion in der Göttinger Saline Luisenhall.

Die ist als älteste noch Salz produzierende Pfannen-Saline in Europa ihrerseits ein Kulturgut. Premierenbesuche dort wurden oft durch eine Besichtigung der Salzproduktion in der Saline bereichert. Auch die Friedland-Produktion war site specific, machte also den Ort der Recherche zu deren Thema – und so wird es auch im Juni sein, wenn die Werkgruppe 2 in Oldenburg zu Gast ist.

Dort nämlich wird das örtliche Kloster Blankenburg zum Spielort – die Werkgruppe 2 recherchiert mit dem Zeitzeugen-Blick von heute die Geschichte dieses Ortes, der seit dem 13. Jahrhundert das Zwangsexil der Ausgestoßenen, der Gefährlichen, Kranken und Verrückten war. In Blankenburg führte später dann die SA „Euthanasie“-Morde durch; die Klosteranlage war Lazarett, Psychiatrie, Alten- und Flüchtlingsheim: ein Ort ganz aus Geschichte.

Dagegen ist das Staatstheater in Braunschweig ein wirklich beschützter Ort.

Die Premiere „Polnische Perlen“ eröffnet die „Themenwoche Interkultur“: 20. März, weitere Vorstellungen am 25. und 27. März, Staatstheater, Braunschweig

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