Doku „The Court“: Schockeffekte und Celebritys
Die Doku „The Court“ zeigt die Arbeit des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag. Es entsteht das Bild, Geschichte werde von großen Männern gemacht.
Es gibt Bilder, die lassen einem nicht viele Möglichkeiten. Zum Beispiel eine verschwommene Totale von einem geplünderten Dorf. Von den zerstörten Hütten steigt Rauch auf, auch Geier sind zu sehen, man braucht ein bisschen, um zu begreifen, dass sich ihre gierigen Schnäbel an Leichen zu schaffen machen.
Oder die Aufnahmen von einem vielleicht sieben Jahre alten, schmächtigen, nackten Jungen, der sich auf der Ladefläche eines Pick-ups windet, während Soldaten ihn mit ihren Stiefeln traktieren. Der Junge schreit und weint, seine Hilflosigkeit zu sehen, nimmt einem den Atem, viel mehr als „the horror, the horror“ geht einem nicht durch den Kopf.
Marcus Vetters und Michele Gentiles Dokumentarfilm „The Court“ kommt mehrmals auf diese Bilder zurück, um die eigene Dringlichkeit zu unterstreichen. „The Court“ handelt von der Arbeit des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag (ICC). Ein Institutionenporträt im klassischen Sinne ist er nicht, dazu hängt er zu sehr an den Lippen von Luis Moreno Ocampo, dem Mann, der von 2003 bis 2012 Chefankläger am ICC war.
Und ein Film, der die komplizierten Abläufe internationaler Rechtssprechung anschaulich machen und analysieren wollte, ist er auch nicht. Dazu verlässt er sich zu sehr auf die Schockeffekte in Bild und Ton – und auf Angelina Jolie, die gleich am Anfang mit dem ganzen Gewicht ihrer Celebrity für die gute Sache bürgt.
Wild hin und her geschnitten
Ärgerlich an „The Court“ ist aber nicht nur, dass er einem Image-Film zum Verwechseln ähnlich sieht. Ärgerlich ist noch vieles mehr: Je mehr sich der Film auf Moreno Ocampo konzentriert, umso mehr arbeitet er der überkommenen These zu, Geschichte werde von großen Männern gemacht. Das Bildmaterial ist disparat und hastig montiert; vom Bürgerkriegsgebiet im Ostkongo ist’s nur ein Katzensprung zu den verregneten Den Haager Straßen, auf denen Moreno Ocampo morgens zur Arbeit fährt. Warum wild hin und her geschnitten wird, bleibt Geheimnis der Regisseure.
Hinzu kommt, dass der Soundtrack einfach keine Ruhe gibt. Als man zum ersten Mal Luftaufnahmen des libyschen Benghasi sieht, klingen die Drones wie eine Stampede von Dinosauriern in „Jurassic Park“.
Die Art und Weise, wie Bild und Ton kombiniert werden, lässt Fragen offen – etwa wenn aus dem Off die Stimme eines ehemaligen Kindersoldaten zu hören ist und man Bilder eines Jungen sieht, der gewaltsam rekrutiert wird. Sind diese Bilder älter, ist der Junge der Mann, den man aus dem Off hört? Ist er es nicht? Vetter und Gentile geben sich mit der suggestiven Kombination zufrieden und scheinen dabei gar nicht zu bemerken, wie schlampig dieses Vorgehen ist. Wenn Gerichte mit größter Sorgfalt arbeiten müssen, warum sollte für Dokumentarfilmer etwas anderes gelten?
Im Jahr 2011 hat die Schweizer Dokumentaristin Heidi Specogna einen Film über die Arbeit des ICC gedreht, sie konzentriert sich darin auf den Fall von Jean-Pierre Bemba, der Kriegsverbrechen in der Zentralafrikanischen Republik begangen haben soll. Auch Specognas „Carte Blanche“ kommt nicht ohne problematische Verknüpfungen von Bild und Voice-Over aus, und sie bringt dem ICC genauso viel Sympathie entgegen wie Vetter und Gentile.
Aber sie ist viel genauer in ihrem Vorgehen, und sie nimmt etwas in den Blick, was ein der Rechtsprechung inhärentes Problem ist, sie fragt nämlich, wie sich die Bedürftigkeit von Opfern und Zeugen, wie sich deren Wunsch nach Gerechtigkeit dazu verhalten, dass die internationale Justiz sehr langsam arbeitet und es viele Rückschläge gibt. Für solche Ambivalenzen der Wirklichkeit haben Vetter und Gentile weder Blicke noch Bilder.
„The Court“. Regie: Marcus Vetter, Michele Gentile. Dokumentarfilm, Deutschland 2013, 86 Min.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Bundestagswahlkampf der Berliner Grünen
Vorwürfe gegen Parlamentarier