Doku „Afro.Deutschland“: Sichere Räume sind kaum vorhanden
Jana Pareigis zeigt, was der alltägliche Rassismus mit einem macht. Ein persönlicher Film, der auch generationsübergreifend relevant ist.
„Denn viele Leute könn’n es sich nicht vorstellen / und wissen nicht, wie es is’ / wenn man als brauner Junge in einem weißen Land aufwächst und irgendwas vermisst, was du hier nicht kriechst / Weil du oft hier der Einzige bist / und ab und zu wirst du gedisst.“ 2008 schrieb Samy Deluxe den Song „Superheld“ für seinen Sohn. Die Erklärung liefert er darin gleich mit: „Denn viele Leute […] wissen nicht, was es heißt, wenn dein Sohn neben dir im Bett liegt und dir sagt, er wär’ gerne weiß.“ Die Journalistin und Moderatorin Jana Pareigis hat Samy Deluxe für ihren Dokumentarfilm „Afro.Deutschland“ interviewt. Beide sind afrodeutsch und in den 1980er Jahren in Hamburg aufgewachsen. Das Gefühl, weiß sein zu wollen, kennen sie aus ihrer eigenen Kindheit.
„Sobald ich wach werde und rausgehe, prasseln rassistische Ansichten, Vorstellungen, Bilder auf mich ein“, sagt Pareigis in der Doku, die von der Deutschen Welle produziert wurde. Das Gespräch zwischen Jana Pareigis und Samy Deluxe setzt den Ton für den gesamten Film: Es bleibt persönlich, die Themen sind generationsübergreifend relevant. Pareigis geht der Frage nach, was es heißt, als Schwarze Person in Deutschland zu leben. Wie fühlt es sich an, in seiner Existenz ständig infrage gestellt zu werden?
In ihrem Film kommen ausschließlich Schwarze Menschen zu Wort. Damit reagiert sie auf den anhaltenden Mangel an Schwarzen Perspektiven in der deutschen Medienlandschaft. Beispielsweise im Juni 2016: Anne Will widmete ihre Sendung der Frage, wie rassistisch Deutschland sei. Zur Diskussionsrunde lud sie vier weiße Männer und eine Migrationsforscherin ein. Die Schwarze Perspektive fehlte.
Noch drastischer die Sendung „Verstehen Sie Spaß?“ im letzten Herbst: Der weiße Moderator Guido Cantz mimte einen Mann aus Südafrika – schwarz geschminkt, mit grotesk überzeichneten Lippen und übertriebenem Akzent. Proteste gegen diese Fortführung der rassistischen Tradition des Blackfacing im Vorfeld der Sendung wurden von den Programmverantwortlichen des Südwestrundfunks ignoriert, der Sketch trotzdem ausgestrahlt.
Der alltägliche Rassismus
Etwa eine Million Schwarze Menschen leben heute in Deutschland – in einer weiß dominierten Gesellschaft; „Schwarz“ groß geschrieben, um zu betonen, dass es sich nicht um ein beschreibendes Adjektiv, sondern eine politische Selbstbezeichnung handelt. Wie die Filmemacherin erleben auch viele von ihnen täglich Rassismus. „Wie das ist, wenn man uns einfach in die Haare greift. Wie das ist, wenn man immer fragt, wo man herkommt. Wie das ist, wenn man ständig Beleidigungen ausgesetzt wird oder bedroht und angegriffen. Was das mit einem macht“, will Pareigis aufzeigen.
Die Doku ist dynamisch angelegt. Pareigis reist quer durch Deutschland. In 52 Minuten spricht sie mit zehn Schwarzen Menschen. Ihre Gesprächspartner*innen sind Personen mit und ohne deutschen Pass. Dadurch stellt der Film Vielfalt von Perspektiven und Orten dar. Die Kürze der einzelnen Sequenzen lässt jedoch streckenweise wenig Zeit, um in die Tiefe zu gehen. So trifft Pareigis auch Tahir Della, der der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) vorsteht, ein gemeinnütziger Verein, der sich seit über 30 Jahren für die Interessen Schwarzer Menschen in Deutschland einsetzt. Della verweist im Gespräch auf zwei Umstände, die zur Gründung der Initiative geführt haben.
Zum einen, so Della, trug die afroamerikanische Schriftstellerin und Aktivistin Audre Lorde entscheidend zur Entstehung des Vereins bei. In den 1980er Jahren kam sie als Gastprofessorin nach Berlin, lernte auf ihren Lesungen afrodeutsche Frauen kennen, bestärkte sie in ihrer Identität und vernetzte sie untereinander. Schnitt, nächste Frage. Zum zweiten Aspekt kommt Della nicht. Die Unterhaltungen bleiben in dieser, aber auch in anderen Szenen fragmentarisch. Dadurch wirkt die Reise, die Pareigis unternimmt, bisweilen hektisch. Momente des Innehaltens sind in ihrem straffen Zeitplan kaum vorgesehen.
Gleichwohl aber öffnet der Film für wenige Augenblicke die Pforten zum Bundestreffen des Vereins. So bekommen weiße Zuschauer*innen Einblick in einen Raum, der ausschließlich für Schwarze Menschen geschaffen wurde. Della erklärt, warum solche geschützten Orte notwendig sind: „Wir brauchen immer wieder Rahmen oder Strukturen, in denen wir uns relativ frei bewegen können und unsere Erfahrungen und Perspektiven weißen Menschen gegenüber nicht rechtfertigen oder erklären müssen.“ Im Alltag Schwarzer Menschen sind diese sicheren Räume kaum vorhanden.
Mehr als nur rechte Gewalt
„Afro.Deutschland“ zeigt auch, dass Rassismus nicht auf rechte Gewalt reduziert werden kann. Es geht um subtilere Ausprägungen, die zur Normalität in Deutschland geworden sind: diskriminierende Begriffe, die immer wieder verwendet werden, oder grenzüberschreitendes Verhalten gegenüber Schwarzen Personen. „Vor allem sind die Normalisierungsprozesse im Alltag das Problem“, sagt Wilhelm Heitmeyer, einer der führenden Konflikt- und Gewaltforscher der Universität Bielefeld, „das Gefährliche daran ist ja, alles, was als normal gilt, kann man zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr problematisieren.“
Rückblende zur Fußballweltmeisterschaft 2006: Die deutsche Mannschaft erreicht den dritten Platz. Eine halbe Million Fußballfans feiern den Erfolg ihrer Nationalelf am Brandenburger Tor. Einen Monat später wird der damalige Nationalspieler Gerald Asamoah auf dem Spielfeld ausgebuht und als „Affe“ beschimpft. „Du kannst was für dein Land tun, aber trotzdem bist du immer der Schwarze“, sagt Asamoah. Trotzdem betrachte er seine Zeit im deutschen WM-Kader als „nicht einfach, aber sehr schön“. Seine Worte lassen sich auf das Bild übertragen, das der Film vom Leben Schwarzer Menschen in Deutschland zeichnet. Er zeigt Menschen, die es trotz rassistischer Erfahrungen geschafft haben, ihr Schwarzsein zu akzeptieren und sich ein erfülltes Leben aufzubauen.
Der Film: „Afro.Deutschland“ ist ab dem 27. März unter dw.com in der Mediathek abrufbar. Außerdem zu sehen: Phoenix, 2. April, 23.15 Uhr; 5. April, 2.15 Uhr; 8. April, 3.30 Uhr. ZDFinfo, 5. April, 12 Uhr
Gestaltet wurde der Film von einem Schwarz-weißen Team. Neben Jana Pareigis führten Susanne Lenz-Gleißner und Adama Ulrich Regie. „Wir wollten einen schönen Film machen, der schön aussieht, weil es ein schönes Thema ist, aber wir wollten auch weitergehen und die Gewalt zeigen“, beschreibt Lenz-Gleißner ihre Motivation.
Vielleicht ist das gerade der Widerspruch, dem der Film verhaftet bleibt. So wirken die Macher*innen der Doku sehr bemüht, mit empowernden Gedanken auf den aufgezeigten Rassismus zu reagieren. Nicht thematisiert wird aber, dass strukturelle Veränderungen nur dann möglich sind, wenn sich auch die weiße Mehrheitsgesellschaft aktiv an der Bekämpfung von Rassismus beteiligt.
Erst im Februar wurde die Lebenssituation von Schwarzen Menschen in Deutschland von einer Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen als besorgniserregend beurteilt. Der UN-Bericht fordert von Deutschland, Schwarze Menschen als benachteiligte Minderheit anzuerkennen und einen nationalen Aktionsplan zur Verbesserung ihrer Lebensumstände zu entwickeln.
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