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Dok-Film „Maidan“ von Sergei LoznitsaAuf dem Platz der Helden

Sergei Loznitsas Dokumentation „Maidan“ kommt doch noch in deutsche Kinos. Der Film erkundet auch die Seitengassen des Protests in Kiew.

„Maidan“ zeigt die Menge als revolutionäres Subjekt. Foto: grand film

Wie sieht das revolutionäre Subjekt aus? Im Herbst 1989 auf dem Alexanderplatz in Berlin trägt es Hornbrille und einen Parka, und es steckt zwei Finger in den Mund, um, in einem trancehaften Nach-vorn-und-zurück-Wippen, pfeifend seinen Unmut zu bekunden. Die Videokamera, mit der Thomas Heise diese Szene gefilmt hat, findet den unzufriedenen Mann in der Menge der Unzufriedenen in der Masse der Demonstranten vom 4. November.

Mit zwanzig Jahren Abstand hat Heise diese Szene in „Material“ montiert, sein Opus magnum, eine Sammlung von Fragmenten zwischen 1987 und 1992, die wohl die präziseste Beschreibung des mittlerweile routinierten Begriffs „Wende“ ergeben.

Sergei Loznitsa, der ukrainische Dokumentarfilmemacher, der zuletzt mit Spielfilmen wie „Mein Glück“ (2010) und „Im Nebel“ (2012) hervortrat, hat sich für „Maidan“ weniger Zeit genommen. Gedreht zwischen November 2013 und Februar 2014, lief der Film bereits beim Festival von Cannes im vergangenen Jahr; dass er nun doch noch zu einem Kinostart kommt, ist dem kleinen Nürnberger Verleih Grandfilm zu verdanken.

Bei Loznitsa ist das revolutionäre Subjekt eine Menge – der Chor, wie er selbst im Interview mit der taz gesagt hat. Das erste Bild von „Maidan“ zeigt eine dicht gestaffelte Menschenansammlung auf dem Platz in Kiew, in der die Männer, wie am Ende sichtbar wird, ihre Kopfbedeckungen abgenommen haben, um die martialisch-poetische ukrainische Nationalhymne zu singen (“Leib und Seele geben wir für unsere Freiheit“). Man kann dieses Bild betrachten wie ein Gemälde, kann es absuchen nach individuellen Handlungen. Durch Statik und Dauer aber verweigert es sich allen subjektiven Regungen – Loznitsa will die Heldengeschichte einer Gesellschaft erzählen (“Ruhm den Helden“ ist ein wiederkehrender Ruf), die sich zur Revolution gegen ihre korrupte Führung entschließt.

Revolution und geschmierte Stullen

Der über zweistündige Film „Maidan“ besteht aus exakt hundert solcher festen Einstellungen (wenn ich mich nicht verzählt habe), die auch die Seitengassen des Protests erkundet, die Logistik von heißem Tee, riesigen Borschtsch-Tonnen und geschmierten Stullen. Erkennbar wird die merkwürdige geordnete Betriebsamkeit, mit der sich die Menschen durch die zunehmende Unordnung von Barrikaden und aufgepultem Straßenpflaster bewegen. Revolution ist, wenn jeder weiß, was zu tun ist.

Beschrieben ist durch die ästhetische Setzung ein prekärer Ort: das Mittendrin des Filmemachers, der sich vor den Verführungen durch Nachrichtenhaftigkeit oder Personalisierungen durch die Unbeweglichkeit seiner Kamera (Serhiy Stetsenko) schützt. Die Breite des Bilds ist der Rahmen, in dem „Maidan“ Geschichte schreibt; wie stark das Filmteam selbst involviert wird, entscheidet sich in jeder Szene neu.

Loznitsas Panoramen registrieren die vielen medialen Bewegungen, die 2013/14 zum Alltag gehören: Menschen mit Handykameras, die sich nur für ihr Motiv außerhalb der Kadrierung interessieren; Pressefotografen, deren Rennen und Ausschauhalten Verdichtung von Ereignissen signalisiert; die riesige Videoleinwand neben der Bühne auf dem Kiewer Platz, in der wie in einem Spiegel Bilder von der Masse zu sehen sind, über die hinweg Loznitsas Film dorthin schaut.

Einmal fragt ein Mann mit Gitarre, ob er die Nationalhymne singen dürfe, daraufhin stellt er sich, offensichtlich angewiesen durch das Filmteam, in die Bildmitte, um für „Maidan“ aufzuspielen, wobei sich rasch eine kleine Gruppe von Menschen um das identitätsstiftende Lied versammelt. Ein andermal stellt sich, wie aus Pietät für das Unerträgliche, ein Rücken vor die Kamera, als ein Mann der staatlichen Berkut-Spezialeinheit auf einem Dach von einem Schuss getroffen zusammensackt.

Die Musik und die Gewalt sind die beiden Pole, zwischen denen sich die Erzählung von „Maidan“ bewegt. Denn durch die Bilder hindurch, die durch Inserts und schlichte Schwarzbilder als Tragödie dramatisiert werden, führt die Tonspur des Films als Agent von Bewegung. Das wiederholte Singen der Hymne in der ersten, friedlichen Hälfte von „Maidan“ wird am Ende, als die vielen Toten betrauert werden, vom Klagelied „Plyve Kacha“ abgelöst. Die Gewalt ist dagegen der Moment, an dem die Kamera den festen Boden unter dem Stativ verliert: Zweimal schwenkt und zoomt Loznitsa, weil die Gewissheit einer friedlichen Auseinandersetzung nicht mehr gewahrt ist, ja, Schüsse den Widerstreit zwischen Bevölkerung und Macht durchkreuzen.

Man sieht Menschen sterben in „Maidan“. Was einen daran erinnert, wenn zudem vom Ende des Films bis heute nichts gelöst ist im Sinne einer abgeschlossenen Geschichte, wie friedlich und geordnet 1989 hierzulande abgelaufen ist.

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