Docupy-Doku „Heimatland“: Ausgeprägtes Heimatfieber
Die WDR-Doku „Heimatland“ läuft unter der Dachmarke „Was Deutschland bewegt“. Sie ist ambitioniert und gesellschaftspolitisch.
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„Ich stehe nicht morgens auf und sage: ‚Ich bin ein Migrant.‘ Ich werde migrantisch erzählt“, sagt die Berliner Kabarettistin İdil Baydar. Das bezieht sich unter darauf, dass Journalist*innen sie immer an Orten interviewen wollen, die sie für typisch migrantisch halten, zum Beispiel Neukölln. Das gilt auch für die Autor*innen der ARD-Dokumentation „Heimatland“, die diesen Wunsch bemerkenswerterweise aber zumindest kurz selbstkritisch thematisieren.
Baydars Äußerung zum Erzähltwerden gehört zu den zahlreichen punktgenauen Formulierungen in „Heimatland“. „Das Heimatfieber boomt immer in Zeiten der Neuordnung“, sagen die Autor*innen zum Beispiel. Und: „In Zeiten der Stabilität dümpelt das Wort über Jahrzehnte vor sich hin.“ Einer eingeblendeten Grafik ist nämlich zu entnehmen, dass das Wörtchen Heimat im hiesigen Sprachgebrauch rund ein halbes Jahrhundert keine Rolle spielte. Das änderte sich erst ab dem Jahr 2000.
Die acht Autor*innen berufen sich dabei auf das Wortauskunftssystem zur deutschen Sprache, das Aufschluss gibt über die Verwendung eines Begriffs in Zeitungen und Büchern. Der Umgang mit Statistiken und Studien („Freizeit-Monitor 2018“, „Leipziger Autoritarismus-Studie“ der Heinrich Böll Stiftung) gehört zu den großen Stärken von „Heimatland“. Die Informationsmenge, die die Autor*innen verarbeiten, ist enorm, aber der Zuschauer wird nicht überfordert, weil das Team dafür präzise Darstellungsformen gefunden hat.
Stark ausgeprägt ist das vom Autor*innenteam angesprochene „Heimatfieber“ gerade in der vorpommerschen Kleinstadt Anklam. Unter anderem dank einer umfangreichen Modernisierung des Stadtkerns wächst die Bevölkerung seit fünf Jahren, nachdem die Stadt lange unter Abwanderung gelitten hatte. Die Anklamer Verhältnisse schildern die Autor*innen mithilfe mehrerer Twists: Zum Alltag dort gehört auch, dass Rechtsextreme eine neue Strategie erproben, sie versuchen, durch die forcierte Gründung von Unternehmen Einfluss zu erlangen.
Für den Grimme-Preis nominiert
Den Abschnitt über das rechtsextreme Firmennetzwerk hat ein Teil des Autor*innenteams gemeinsam mit Kolleg*innen aus dem Investigativressort der Zeit recherchiert. Am Donnerstag ist dazu ein Artikel im Zeit-Magazin erschienen. Koautor Christian Fuchs sieht sich seitdem bei Twitter einer orchestrierten Kampagne ausgesetzt.
„Heimatland“ läuft unter der Dachmarke „Was Deutschland bewegt“, die sich die ARD für die mikroskopische Dosierung von Dokumentationen auf dem 20.15-Uhr-Sendeplatz ausgedacht hat. 2018 liefen unter dem Label sechs Filme en bloc. 2019 werden die 20.15-Uhr-Dokus übers Jahr verteilt. „Mindestens drei bei vier“ sollen nach „Heimatland“ noch folgen, heißt es aus der ARD-Programmdirektion in München.
„Heimatland“, Montag 25. Februar 2019, 20:15 Uhr im ARD.
Hinter „Heimatland“ steht das Online- und TV-Projekt Docupy, das die Produktionsfirma Bildundtonfabrik („Neo Magazin Royale“, „Kroymann“) und der WDR entwickelt haben. Derzeit ist das Team von Docupy für den Grimme-Preis nominiert – für den im WDR Fernsehen ausgestrahlten Dreiteiler „Ungleichland“ und das dazugehörige Onlinekonzept. Wie bei „Ungleichland“ hat das Team auch bei „Heimatland“ bereits Monate vorher ausgewählte Teile vorab im Netz veröffentlicht. Mit kurzen Clips weckte man peu à peu die Neugier aufs „klassische“ TV-Produkt.
Das hat sich 2018 bewährt. Die ARD-Fassung von „Ungleichland“ war mit einer Quote von 10 Prozent die am meisten eingeschaltete Doku unter den „Was Deutschland bewegt“-Filmen – und lag auch über dem Jahresdurchschnitt für den 20.15-Uhr-Sendeplatz am Montagabend (9,4 Prozent). Sollte die Quote bei „Heimatland“ ähnlich hoch sein, könnte das die Strategen der ARD vielleicht dazu animieren, ambitionierte gesellschaftspolitische Dokus öfter am Montag um 20.15 Uhr auszustrahlen als bloß ein halbes Dutzend Mal pro Jahr.
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