Dmitriew-Prozess in Russland: Paranoia des Putin-Regimes
Der russische Historiker Dmitriew wurde zu 15 Jahren Lager verurteilt. Angeblich soll er Minderjährige sexuell missbraucht haben.
Z ynisch und menschenverachtend: Ein russisches Gericht legt in dem absurden Verfahren gegen den Historiker Juri Dmitriew noch einmal nach. Jetzt soll er 15 Jahre lang im Lager verrotten – der Mann, der sich, genauso wie viele seiner Mitstreiter*innen bei der Menschenrechtsorganisation Memorial, um die Aufarbeitung der Stalin’schen Verbrechen verdient gemacht hat.
Genau darum geht es der Justiz: An jedem, der sich weigert, die dunklen Seiten der sowjetischen Geschichte ad acta zu legen, soll ein Exempel statuiert werden. Dafür ist keine Anschuldigung zu abwegig, seien es Steuerhinterziehung, illegaler Drogenbesitz oder sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen wie im Fall Dmitriew. Mit diesen „Netzbeschmutzern“ kurzen Prozess zu machen, folgt der Logik der Machthaber. Die Leichen sollen im Keller ruhen bleiben, da auf der politischen Agenda jetzt ganz oben steht, die Vergangenheit zu Glanz und Gloria umzudichten und zu alter Größe zurückzukehren. Dass durch diese staatlich verordnete Amnesie das historische Gedächtnis ausgelöscht werden soll und die Millionen Opfer ein zweites Mal getötet werden, wen interessiert das schon.
Und überhaupt: Wer ist Dmitriew? Das ganz große Finale kommt erst noch, vielleicht schon in dieser Woche. Da geht der Prozess gegen Memorial in seine nächste und vielleicht letzte Runde. Dem „ausländischen Agenten“ soll komplett der Garaus gemacht werden. Da jeder weiß, wo derartige Urteile verfasst werden, kann ein Verbot dieser Nichtregierungsorganisation als beschlossene Sache gelten. Denn das Regime Putin wähnt sich nicht nur von äußeren Feinden umzingelt, diese lauern angeblich auch im Inneren.
Kaltschnäuzig beschied Kremlsprecher Dmitri Peskow einem Journalisten am Montag auf Nachfrage, die Causa Dmitriew stehe dort nicht auf der Tagesordnung. Das sollte im Westen allen zu denken geben, die immer noch auf einen Dialog mit dem Regime Putin setzen. Denn wo Paranoia, Argwohn und Größenwahn herrschen, dürfte die Hoffnung auf Verständigung ein frommer Wunsch bleiben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP