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Distanz und Freiheit

Eine Handvoll Menschen im Berliner Sommer und Herbst. Gespräche über Arbeit, Ehe, Welt. Angela Schanelecs „Mein langsames Leben“ (Forum) ist großes Kino der Klarheit

von KATJA NICODEMUS

Dass ein Film die Wirklichkeit abbilden kann, ist eine Illusion, aber er kann ihr sehr nahe kommen. Im Fall von Angela Schanelec sind Kino und Leben wie zwei Asymptoten, bzw. zwei Linien, die sich immer weiter annähern. Schon Schanelecs vorherige Filme „Das Glück meiner Schwester“ und „Plätze in Städten“ schilderten die großartige Banalität oder auch banale Großartigkeit des Lebens. Einen Zustand, den der Zögling Törleß in Robert Musils Roman auf die Formel bringt: „Alles geschieht“. Zur Zeit gibt es in Deutschland keine RegisseurIn, die dem Geschehen näher wäre als Angela Schanelec.

„Mein langsames Leben“ folgt einer Handvoll Menschen um die Dreißig durch den Berliner Sommer und Herbst. Im Grunde ist „folgen“ schon wieder das falsche Wort, denn meistens steht die Kamera still und bildet den Ausschnitt, in dem das Leben gerade stattfindet. Valerie, Thomas, Marie, Clara und ihre Freunde sitzen im Café, in der Küche oder im Restaurant, am See und im Park. Sie sprechen über die Arbeit und den Urlaub, übers Heiraten und darüber, ob es in Ordnung ist, wenn man nicht die Welt verändern, sondern im Beruf einfach nur Geld verdienen will. Es sind Gespräche, die wie vom Nebentisch abgefilmt wirken, bei denen durcheinander geredet und sich ins Wort gefallen wird, mit angespannten Spitzen und betretenem Schweigen.

In Schanelecs Dialogen geht es auch um die Empfindungen zwischen den Worten, die manchmal quer zum Gesagten stehen. Dabei spürt man immer wieder eine verhaltene Agression. Sie scheint ihre eigene, untergründige Logik zu haben, die hin und wieder ans Tageslicht gelangt. Zum Beispiel wenn die Kamera während einer Hochzeitsfeier mit einigen der Gäste spazieren geht. Es ist eine langsame gleitende Fahrt entlang an Bäumen, und die Sprechenden sind so weit weg, dass man kaum die Gesichter erkennen kann. Das Ende dieser ruhigen Bewegung ist auch das Ende einer Ehe. Schanelec kann ihren Figuren diese Freiheit und Distanz lassen, weil sie weiß, dass die wahren Dramen selten dramatisch sind.

„Mein langsames Leben“ ist ein Kino der Klarheit. Mit einem Licht, das so transparent ist, dass man sich sofort nach dem Sommer sehnt. Mit Einstellungen, die immer den Raum miterzählen, in dem die Figuren leben, weil sie einer Wand, einem Türrahmnen oder der Friedrichstraße ihren Anteil des Bildes überlassen. Und der Zeit ihren Anteil am Geschehen. Man weiß nie genau, wie viele Wochen oder Monate zwischen zwei Szenen vergangen sind. Zwei, die sich im Restaurant kennen gelernt haben, sind plötzlich ein Paar, ohne dass man irgendwelche Zwischenschritte mitbekommt. Ein Mädchen, das am Anfang für ein halbes Jahr nach Rom gehen wollte, ist auf einmal wieder zurück. Aber die Ellipse ist bei Schanelec nicht Stilmittel, sondern sie entspricht der urbanen Wahrnehmung. So wie man in der Großstadt immer wieder alte Bekannte trifft, die auf einmal verheiratet sind oder zwei Jahre in Australien waren, ohne dass man davon etwas mitbekommen hätte.

Einmal verlässt der Film Berlin und fährt aufs Land, denn Valeries Vater liegt im Sterben. Mit ihrem Bruder gibt es nicht viel zu reden, wie das so ist bei Geschwistern, die sich mit den Jahren voneinander entfernt haben und trotzdem noch urvertraut sind. In der Dorfdisco schweigen die beiden einträchtig zum 80er-Jahre Pop und landen irgendwie auf der Tanzfläche. Man hat nicht

das Gefühl, dass Schanelec die Szene symbolisch gemeint hat, aber in diesem Tanz ist alles drin. Die Trauer um den Vater und das schockierende Bewusstsein, nun zu zweit zurückzubleiben, aber auch dass es wunderschön ist, jünger zu sein, weiterzuleben und einfach da zu sein.

„Mein langsames Leben“. Regie: Angela Schanelec, Deutschland, 85 Min.

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