Diskussion um Prostitution: „Mein Beruf gehört mir!“
Alice Schwarzer hat eine Art Sexkrieg entfacht. Ist Prostitution eine Menschenrechtsverletzung oder ein Spezialberuf? Huren protestieren.
BERLIN taz | Die junge Hure stürmt das Podium, auf dem Alice Schwarzer ihre Anti-Prostitutionsthesen schwingt. Sie zieht die Hose herunter, präsentiert ihr Geschlecht von vorne und von hinten und schreit: „Mein Beruf gehört mir! Mein Beruf gehört mir!“ Das Publikum johlt. Sie wird heruntergebeten. Und Alice Schwarzer sagt: „So. Will noch jemand den Po zeigen?“
Erst kommt die rhetorische Aufrüstung, dann der Krieg. Alice Schwarzer stellt ihr Buch „Prostitution – ein deutscher Skandal“ in Berlin unter Polizeischutz vor.
Vor dem Veranstaltungsort „Urania“, in der sie mit ihren Gästen sitzt, stehen Polizisten vor etwa 20 Sex- und Sozialarbeiterinnen. Sie signalisieren mit roten Regenschirmen internationale Hurensolidarität und tragen Plakate mit der Aufschrift: „Mein Beruf gehört mir“. Ein Schild wird etwas expliziter: „Halt die Klappe, Alice“.
Union und SPD verhandeln über Mindestlohn und Rente. Aber wovon hängt es ab, ob sich jemand arm fühlt? Nur vom Geld? Vier Begegnungen an den Grenzen der Armut lesen Sie in der taz.am wochenende vom 16./17. November 2013 . Darin außerdem: Der deutsche Kunstmarkt muss jetzt endlich Verantwortung für die Raubzüge des „Dritten Reiches“ übernehmen, sagt der Historiker Hanns C. Löhr. Und der sonntaz-Streit: Der neue iranische Präsident Rohani gilt als verhandlungsbereit. Kann man dem Iran trauen? Nein, sagt Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Es ist eine Art Prostitutionskrieg im Gange. Auf der einen Seite Alice Schwarzer, mit ihr verbundene Sozialarbeiterinnen und Ex-Huren, die Prostitution für ein Verbrechen halten, das die Würde von Männern und Frauen zerstört. Sie propagieren die Prohibition. Auf der anderen Seite die Huren, die ihre Arbeit als Dienstleistung begreifen und sich durch die Verbotsforderungen persönlich stigmatisiert und in ihrer Berufsausübung gehindert sehen. An diesem Donnerstag prallen sie aufeinander.
Alice Schwarzer moderiert sich selbstverständlich selbst. Das heißt, sie kann jedem ins Wort fallen, wie es ihr gefällt. Weil sie aber auch eine Rampensau ist, ist das natürlich auch vergnüglich. „So, Kinder, nun seid mal kurz ruhig mit euren süßen rosa Schirmchen. Jetzt reden wir erstmal und dann könnt ihr weiter schreien“, verniedlicht sie die Demonstrantinnen, die sich im Saal verteilt haben und immer wieder buhen und dazwischenrufen: „Weiblicher Machismo.“
Unternehmerinnen oder Opfer?
Beide Seiten nehmen jeweils für sich in Anspruch, für die vielen namenlosen Prostituierten zu sprechen, die sich nicht outen können, weil illegal, oder wollen, weil schwarzarbeitend und/oder stigmatisiert. Sind diese Massen erschöpfte Rumäninnen, die 40 Freier am Tag bedienen müssen, das Geld dem Zuhälter geben und den permanenten Angriff auf ihre Würde nur mit Drogen und Alkohol ertragen?
Oder sind sie Unternehmerinnen, die mangels Ausbildung und/oder Arbeit ein Chance im deutschen Sexbusiness sehen. Eine Chance, Geld für ihre Familien und Kinder zu verdienen, die Alice Schwarzer ihnen nun nehmen will? Bräuchten sie lediglich bessere Arbeitsbedingungen und den Schutz vor Ausbeutung?
Der Krieg ist im Gang. Schwarzer hat einen Appell veröffentlicht, nach dem Freier „wenn nötig“ bestraft werden sollen, zumindest aber „geächtet“ – unterstützt von einigen Promis. Auch einzelne CDU-Frauen stützen den Appell. Auf der anderen Seite formieren sich die Sexarbeiterinnen und Beratungsstellen, von Hydra über Kassandra bis Dona Carmen. Sie gründen einen „Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen“, veröffentlichen einen Gegenappell, in dem sie mehr statt weniger Rechte für Prostituierte fordern. Sie haben die Opposition auf ihrer Seite, Grüne, Linke und Piraten stehen hinter ihnen.
Vergleichszahlen aus Schweden fehlen
Ein Kriegsschauplatz sind die Zahlen. Der Menschenhandel habe zugenommen, seitdem die Prostitution legalisiert wurde, behauptet die Schwarzer-Fraktion. Sie beruft sich auf ein Diskussionspapier von der Uni Göttigen für die EU. Darin wird geschätzt, dass es in Deutschland 62-mal so viele Menschenhandelsopfer gibt wie in Schweden, obwohl die Bevölkerung weniger als 10-mal so groß sei. Könnte das auf das Sexkaufverbot in Schweden und die Legalisierung in Deutschland zurückzuführen sein?
Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht, wendet Dona Carmen in einer Stellungnahme ein. Denn es gibt aus Schweden keine Vergleichszahlen aus der Zeit vor dem Sexkaufverbot. Zudem, so heißt es auch in der Studie, gebe es immer viele Ursachen für Menschenhandel, man kann nicht eine allein verantwortlich machen. Die offiziellen Zahlen des BKA, das vermutete Menschenhandelsopfer in Deutschland zählt, die polizeibekannt wurden, sprechen ebenfalls gegen die These: Nach der Legalisierung im Jahr 2002 ist diese Zahl um 17 Prozent gesunken.
Hurenorganisationen sehen sich entmündigt
Um diese große Grauzone wird gerungen. Und ganz unten drunter rumort die Frage: Kann man Prostituierte sein ohne sich selbst zu schädigen? Alice Schwarzer ist gut darin, Kronzeuginnen zu sammeln, die sagen: Wir haben auch behauptet wir seien selbstbestimmt. Aber heute wissen wir es besser.
Die Hurenorganisationen Dona Carmen und der Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen sehen sich dadurch entmündigt und protestieren: „Nicht nur deutsche Frauen, sondern auch Migrant_innen sind überwiegend freiwillig und selbstbestimmt in der Sexarbeit tätig. Prostituierte, egal welcher Herkunft, pauschal zu Opfern zu erklären, ist ein Akt der Diskriminierung“, postulieren sie in ihrem „Appell für Prostitution“. Schwarzer diffamiert nun die Organisationen in ihrem Buch, die klagen jetzt vor Gericht wegen Rufmord.
In seltsamem Kontrast zu diesem Krieg stehen übrigens die Vorhaben der Großen Koalition. Verbote? Ächtung? Keineswegs. Die Politik versucht vielmehr, Bordelle etwas stärker zu reglementieren und Menschenhandelsopfer besserzustellen. In der Politik ist der Prostitutionskrieg bisher nicht angekommen. Noch nicht.
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