piwik no script img

Diskussion um Nahostkonflikt in TunesienZusammen für Gaza

Obwohl Tunesien eine größere jüdische Minderheit hat, ist der Begriff „Israel“ tabu. Die Solidarität gilt den Palästinenser*innen.

Pro-Palästina-Proteste am 15. Mai in Tunis Foto: Hassene Dridi/ap

Tunis taz | Auch am Mittwoch sind in Tunesien wieder mehrere hundert Menschen auf die Straße gegangen, um ihre Solidarität mit den Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen zu bekunden. Bereits in den vergangenen Tagen waren Tausende zur palästinensischen Botschaft und vor das tunesische Parlament in Tunis marschiert. Auf Plakaten wurde das Eingreifen der internationalen Staatengemeinschaft und ein Ende der Besatzung Palästinas durch das „zionistische Gebilde“ gefordert.

Der Begriff Israel ist in Tunesien ein Tabu und wird weder von Bür­ger­recht­le­r*in­nen oder Medien noch von Präsident Kais Saied benutzt. Vertreter der Zivilgesellschaft und verschiedener politischer Parteien riefen die Par­la­men­ta­rie­r*in­nen in Sprechchören sogar auf, jegliche Beziehung mit Israel unter Strafe zu stellen.

Wie sehr die aktuelle Eskalation zwischen Israel und der Hamas das von einer schweren politischen und wirtschaftlichen Krise gebeutelte Tunesien eint, hatte sich schon am Samstag in Tunis gezeigt: Unter einer rund hundert Meter langen palästinensischen Flagge protestierten Familien, progressive Ak­ti­vis­t*in­nen und mit ihnen verfeindete religiöse Konservative gemeinsam in der Innenstadt. Der für eine Woche verhängte Lockdown war am Vortrag tagsüber aufgehoben worden.

„Das Schicksal der Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen ist wohl das einzige Thema, bei dem Tu­ne­sie­r*in­nen aus allen Gesellschaftsschichten einer Meinung sind“, sagt Mohamed Hamed aus Tunis, ein junger Aktivist der linken Szene. „Wieso interveniert die Staatengemeinschaft nicht, um Palästina zu retten“, fragt der 34-Jährige, der ansonsten als DJ in einem Nachtclub arbeitet.

Innenpolitischer Nutzen

Tunesien hat derzeit einen Sitz im UN-Sicherheitsrat inne, aber der tunesische Vorschlag, die „Aktivität der Siedler*innen, die Zerstörung der Häuser in Ostjerusalem und die Vertreibung der Be­woh­ne­r*in­nen durch die israelische Regierung“ zu verurteilen, wurde von der Vetomacht USA am Sonntag abgelehnt.

Die jüdischen Gemeinden in Tunis und auf Djerba gelten als die aktivsten in der arabischen Welt

Die unter Druck stehende politische Elite Tunesiens will die seltene Eintracht auf den Straßen nun innenpolitisch für sich nutzen. In den nach dem Ramadan und dem Lockdown seit Montag wieder geöffneten Schulen ist Palästina jetzt eine Woche lang Schwerpunktthema. Der Generalsekretär der Gewerkschaft UGTT, Noureddine Taboubi, forderte bei einem Besuch einer Schule in der Kleinstadt Hammam Chott auch von den Schü­le­r*in­nen lauten Beifall, als er eine deutliche Reaktion der tunesischen Regierung auf die zionistische Aggression forderte.

Seit der Bombardierung des Hauptquartiers der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) durch die israelische Luftwaffe im Jahr 1985 hat sich Palästina tief in die Erinnerungskultur eingefressen. Acht in Israel gestartete Kampfflugzeuge warfen damals Bomben über dem von Jassir Arafat zeitweise nach Tunis verlegten Büro der damals einflussreichsten palästinensischen Bewegung ab.

In vielen Medien wird der aktuelle Raketenbeschuss Israels durch die Hamas nun als Selbstverteidigung dargestellt. In Debatten in sozialen Netzwerken wird zwischen Israelis, Juden und Jüdinnen und Zio­nis­t*in­nen oft nicht unterschieden, obwohl bis zu 150.000 jüdische Tu­ne­sie­r*in­nen im Land leben. Die Mehrheit der jüdischen Tu­ne­sie­r*in­nen wanderte unter massiven Anfeindungen nach dem Sechstagekrieg 1967 nach Israel aus. Die verbliebenen Gemeinden in Tunis und auf Djerba gelten als die aktivsten in der arabischen Welt.

Übergriffe hat es seit Beginn der aktuellen Eskalation in Nahost nicht gegeben; jüdische Schulen und Synagogen werden aber seit Jahren von einer massiven Polizeipräsenz geschützt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.