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taz FUTURZWEI

Diskussion um Leistungsbereitschaft Der deutsche Hamster (m/w/d)

Die Idee, dass mehr Arbeit zu mehr wirtschaftlichem Erfolg führt, ist intellektuell faul und ökonomisch aus der Zeit gefallen. Deutschland braucht etwas Anderes und es nicht mehr Fleiß, wie Autor Wolf Lotter erklärt.

Arbeitssam, populär und kurzlebig: Der Hamster als Symbol der deutschen Wirtschaft Bild: Anna Haifisch

„Beobachtet man die Deutschen, wie sie geschäftig durch die Ruinen ihrer tausendjährigen Geschichte stolpern, dann begreift man, dass die Geschäftigkeit zu ihrer Hauptwaffe bei der Abwehr der Wirklichkeit geworden ist.

Hannah Arendt, 1950

1. CRICETUS GERMANICUS

taz FUTURZWEI | Jeder weiß, was ein Hamster (lateinisch: Cricetus) ist. Ein kleines, putziges Tier, das mit den Wühlmäusen verwandt ist und in vielen Haushalten in Käfigen gehalten wird.

In Deutschland war der Hamster viele Jahre lang unter den Top Drei der Haustiere, gleich nach Katze und Hund. Der Hamster hat aber abgebaut.

Er läuft heute nur mehr auf den hinteren Rängen, das liegt daran, dass es den Leuten doch relativ gut geht und ein Golden Retriever drin ist, eine schicke Katze oder wenigstens was anderes, womit man angeben kann. Mit einem Hamster kann niemand angeben. Das Tier ist klein und lebt höchstens zwei Jahre. Immer, wenn man ihn in seinem traurigen Verschlag sieht, muss man dran denken: Bald ist er weg.

Bild: Katharina Lotter
Wolf Lotter

Wolf Lotter ist Autor und Journalist mit den Schwerpunkten Transformation und Innovation.

In der taz FUTURZWEI schreibt er regelmäßig die Kolumne Lotters Transformator.

Wer will das schon in einer Welt, die ungern ans Abschiednehmen denkt? Jede Veränderung ist ja auch ein kleiner Tod.

In den Haushalten, in denen aus Platz- und Kostengründen noch Hamster gehalten werden, rotieren die Tierchen in ihrem kurzen Leben gerne in dem, was man ein Hamsterrad nennt, eine Vorrichtung, die in der Wikipedia als „enrichment“ für die Hamsterexistenz bezeichnet wird, also eine Bereicherung oder Anreicherung eines an sich doch weniger attraktiven Daseins. Enrichments sind im Arbeitsleben mittlerweile sehr beliebt.

Kaffeemaschinen gehören dazu oder robuste Pflanzen in Büros, oder ein wenig Farbe in der Kantine oder, wenn das Geschäft gut läuft, was es meistens heute nicht mehr tut, dann auch noch Obst, soll ja gesund sein.

Der Hamster hat sein Rad. In dieser kleinen Tretmühle kommt er zurecht. Man klettert rein und tritt los, und man kommt nicht vom Fleck, aber das macht nichts. Fast scheint der Hamster Freude daran zu haben, dass es so ist, der Stillstand in voller Bewegung gibt ihm Sicherheit. Wer weiß, was wäre, wenn er tatsächlich nach vorne käme durch seine Bewegung! Welche Gefahren auf ihn lauern würden?

„Man klettert rein und tritt los, und man kommt nicht vom Fleck, aber das macht nichts.“

Auf der Stelle treten – das muss man sich auch als etwas Positives vorstellen können. In biochemischer Hinsicht ist das längst belegt.

2. DOPAMIN UND TRETMÜHLEN

Forscher haben nachgewiesen, dass der Hamster – und andere Kleinnager, die solche Räder nutzen – dafür jede Menge Dopamin erzeugen. Dopamin ist ein Neurotransmitter, also ein Stoff, der zwischen den verschiedenen Nervenzellen Informationen vermittelt, und mehr Dopamin macht fröhlicher, nicht nur Hamster.

Wenn Menschen beispielsweise an der sogenannten Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) leiden, dann bedeutet das nicht, wie man heute annehmen könnte, dass zu wenig Leute ihre Postings und Selfies liken, die sie unermüdlich ins Netz stellen, sondern, dass sie sich schlecht konzentrieren können.

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Auch daran könnte ein Mangel an Dopamin schuld sein, denn wenn die ADHS-Patienten Medikamente erhalten, die diesen Neurotransmitter enthalten und dessen Produktion fördern, geht es ihnen gleich besser. Sie sind dann nicht so fahrig und hyperaktiv.

Früher, als es noch keine Gewerkschaften und noch nicht so viel Emphatie gab wie heute, beispielsweise im alten Rom, nutzte man das Laufrad, in dem heute der Hamster sitzt, als Tretmühle.

Eine Tretmühle ist eine Vorrichtung, bei der das Treten im Rad Energie erzeugt, die man zum Heben von Lasten oder zum Pumpen oder zu allgemeinen Antriebsformen nutzen kann. Damit sich das rentiert, wurden in Tretmühlen große Tiere wie Esel oder Pferde eingespannt, doch sie neigen zur Bockigkeit und sind damit unzuverlässige Kraftquellen.

Deshalb bevorzugte man Menschen, Sklaven, Gefangene und Straftäter, die in der Tretmühle eingesetzt wurden, bis sie umfielen, und das geschah in manchen Ländern noch bis ins 20. Jahrhundert. Besonders beliebt waren die Straftretmühlen in England, dort nannte man sie „Dancing Academies“, ein bisschen Spaß muss bekanntlich sein.

Der Dichter Oscar Wilde wurde im Jahr 1895 wegen seiner Homosexualität zur Zwangsarbeit verurteilt, sechs Stunden Tretmühle am Tag.

Im Frankreich und England des 17. Jahrhunderts, dort also, wo sich der moderne Zentralstaat entwickelte, -hatte man immer weniger Freude mit Leuten, die mal fleissig waren, mal nicht. So entstanden die Arbeitshäuser, die sich für die Leistungsträger oben rechneten, weil sie billigst und unter dem Vorwand pädagogisch wertvoller Fronarbeit die Nachfolger der alten Manufakturen und Vorläufer der bald kommenden Fabriken einrichten konnten.

Die Manager, wie man die Fabrikaufseher in England zwei Jahrhunderte später nannte, rekrutieren die Pioniere der Industriegesellschaft gleich dort, wo Fachkompetenz in Sachen Disziplin herrschte, in den Zuchthäusern des Königreichs.

Ohne Fleiß kein Preis.

3. FLEISS

Die Vorreden hier haben den Zweck, den deutschen Kernwert des Fleißes in sein rechtes Licht zu rücken. Die Tüchtigkeit, die Geschäftigkeit, der Fleiß, das sind die deutschen Zentraltugenden, und wie beim Hamster wird hier das motivierende Dopamin ausgeschüttet, mit dem die Multikrisen beseitigt werden sollen.

Was man wissen muss dazu, ist, dass es Goldhamster und Zwerghamster gibt in diesem Spiel. Der Zwerghamster rotiert, der Goldhamster auch, nur eben dass es sich für den auch lohnt. Der Goldhamster ist Leistungsträger, der Zwerghamster Leistungserbringer. Erklärung folgt umgehend.

Wir sollen wieder fleißiger werden, das sagen nicht nur Konservative. Irgendwie ist nämlich alles nicht mehr so wie früher, nicht nur im Ranking der Haustiere, wo der Hamster abgebaut hat. Die Leute sind nicht mehr so fleißig. Deshalb geht es uns schlecht.

„Das lateinische Wort Industria bedeutet Fleiß. Industriegesellschaft ist also Fleißgesellschaft.“

Die, die sich selber Leistungsträger nennen, also Manager und andere leitende Angestellte, sind davon überzeugt, dass in der angestrengten Wiederholung mehr Wert liegt als in der Kopfarbeit.

Das ist nicht verwunderlich, man muss sich nur ansehen, wo diese Leute herkommen und was sie soweit hat kommen lassen: Anpassung, Opportunismus, ja, sagen wir ruhig: Ausgiebige Arschkriecherei, die Geschwister des Fleißes also, haben hier oft weit mehr bewirkt als jene „Kompetenz“, von der nichts zu bemerken ist, wenn sie sich beweisen soll.

Oder warum schnorrt denn eigentlich das Management der Großkonzerne permanent öffentliches Geld, warum ist es ohne Subventionen und Abwrackprämie nicht tragfähig – hier, in den USA und anderswo?

Dabei ist genau das Gegenteil richtig. Und das kam so: Die Welt, in der die Deutschen leben, ist die Welt der Industriegesellschaft. Das lateinische Wort Industria bedeutet Fleiß. Industriegesellschaft ist also Fleißgesellschaft.

„Fleiß als Technik ist Wiederholung, auswendig lernen und anwenden.“

Das ist sehr treffend gewählt, denn in der Industriearbeit geht es um die Abarbeitung von Routinen, sich wiederholenden Tätigkeiten, die, wie beim Hamster im Rad, Bewegung und Dopamin bei gleichzeitiger Sicherheit der Unveränderlichkeit bedeuten.

Es ist eine Tretmühle, aber relativ risikolos, und man muss nichts lernen, was man nicht schon gelernt hat. Fleiß als Technik ist Wiederholung, auswendig lernen und anwenden. Also das, was hoch im Kurs steht.

Wer brav ist in der Schule, also tut, was man ihm sagt, gilt als intelligent, wer das nicht tut und Fragen hat, als Systemfeind und faul, denn nur Arbeit, die man so tut, wie man sie zu tun hat, ist Arbeit.

Wir verwechseln Manager mit Unternehmern bis heute. Unternehmer sind nicht allein an Fleiß interessiert, er ist für sie eine Sekundärtugend, die man braucht, um Leistung organisieren zu können. Wichtiger ist für echte Unternehmer die Frage, ob ihre Angebote attraktiv bleiben, durch Innovation oder kluge Anpassung an die Verhältnisse, was oft ein und dasselbe ist.

Manager hingegen sind die Systemwächter des Fleißes, der Rohrstock, die, die dafür sorgen, dass das Hamsterrad sich weiterdreht, die Tretmühle in Gang bleibt.

Unternehmer tun, was sie wollen, und Manager, was sie sollen. Unternehmende sind damit objektiv experimentell veranlagt und dem Fortschritt verpflichtet, während Manager dem Systemerhalt dienen. In der Fachliteratur gibt es dazu mehrere Kilometer an Studien, die alle in dieselbe Richtung weisen: Wo sich der Kapitalismus auf Manager stützt, nimmt die Bürokratisierung zu, also jener Teil der Verwaltung, der nur dem eigenen Erhalt dient.

Die gute Verwaltung hingegen, dass, was etwa Krankenhäuser, Polizei, Sozialwesen und Rechtspflege angeht, verlieren beständig an Boden. Hier tobt, von außen oft missverstanden, der Kampf zwischen guter Leistung, die im Lösen erkannter und sich immer wieder neu stellender Probleme bewährt, und schlechtem Fleiß, der von neun bis fünf seinen Stiefel macht, komme, was da wolle.

Der Ökonom David Graeber hat im Jahr 2013 den sehr aufschlussreichen Begriff der „Bullshit-Jobs“ geprägt (und einen dazugehörigen Bestseller abgeliefert).

Bullshit-Jobs sind, so schreibt Graeber, jene bloß phrasendreschenden, sinnlosen, überflüssigen, in Routinen und Monotonie, Sitzungswahnsinn und Regelverblödung ablaufenden Arbeitsleben, die heute keineswegs eine Ausnahme darstellen. Jede und jeder, der das tun muss, ist ein bedauernswertes Geschöpf, ein Hamster eben im Rad, der aber gleichsam, weil er von dieser Beschäftigungs-Groteske Miete, Essen, Urlaub und sonst noch einiges zahlt, den Preis für den Fleiß – ein leeres, sinnloses Leben – zahlt.

Das ist die Kehrseite der Automatisierungsdiskussion, und sie fragt uns laut, was wir an die Stelle des blinden Eifers stellen, wenn Automaten diesen Unfug besser und preiswerter erledigen.

4. NO TIME TO THINK

Nun ist diese falsche Arbeit im richtigen Leben das, was man tun muss, nicht das, was man unbedingt tun möchte, das ist eine Binse, aber im Rad vergisst man sie. In der Antike dachte niemand, der auf drei zählen konnte, daran, dass körperliche Arbeit und damit Routinearbeit etwas angenehmes wäre.

Der Müssiggang, zu dem auch Bildung, kreatives Denken und Problemlösen gehörte, war die Beschäftigung derer, die andere für die schwere Arbeit einspannten, in ihre Tretmühlen brachten. Niemand wäre auch bis zur Moderne auf die Idee gekommen, dass Fleiß etwas besonders Erstrebenswertes gewesen wäre.

Er war notwendig. Im Mittelalter stand das Wort auch für Streit und Kampf, wer sich befleissigte, der hob das Schwert, was man meist nicht aus Langeweile tat, sondern aus der Not heraus, sich verteidigen zu müssen.

„Nun ist diese falsche Arbeit im richtigen Leben das, was man tun muss, nicht das, was man unbedingt tun möchte, das ist eine Binse, aber im Rad vergisst man sie.“

Die protestantische Ethik, man kann es bei Max Weber nachlesen, ist bekanntlich der Geist des Kapitalismus, und um genau zu sein, der Geist des sich bereits abzeichnenden Industriekapitalismus, der Fleißgesellschaft.

Sie, die heute unser Denken immer noch komplett vereinnahmt, die Stichwörter und Entscheidungsgrundlagen für die Politik liefert, für unser Leben, sie ist keineswegs selbstverständlich.

Diese Ethik ist bequem, man ist immer beschäftigt, würde ja gerne nachdenken, hat aber zum Denken gerade, leider, leider, keine Zeit.

Was Karl Marx das „Reich der Notwendigkeiten“ nennt, schwere, monotone wiederkehrende Schichtarbeit in den Räderwerken der Industrie (und was in den Büros später nach diesen Prinzipien weiter getan wird), der Geist des Hamsters, hält uns davon ab, nachzudenken, was eigentlich los ist.

Der in jeder Hinsicht so durchblickende Bob Dylan hat das mal in seiner schönen Ballade No Time to Think festgehalten, und seine Schlussfolgerungen sind ganz bei Hannah Arendt und ihrer zeitlosen Analyse der Deutschen, die „die Geschäftigkeit als Hauptwaffe bei der Abwehr der Wirklichkeit“ erkannte.

Der Fleiß ist längst zum blinden Eifer geworden.

Zu Beginn der industriellen Revolution in Deutschland, die mit Verspätung einsetzte, galt die Industriearbeit als etwas „für Schwache und Dumme, und kaum jemand identifizierte sich mit dieser Art von Existenzsicherung“, schreibt der Arbeitssoziologe Manfred Füllsack. Es gingen nur die in die Fabrik, für die in der Landwirtschaft und im Handwerk kein Platz war.

Fabrikarbeit galt als stumpf, monoton, idiotisch. Die Industrie brauchte keine Kreativen, keine Schlaumeier, keine Nachdenker, keine Reflektierten, sondern Leute, die ohne Widerstand in der Tretmühle zu treten begannen. Das war für die meisten undenkbar, und deshalb verließen viele wieder die Fabriken, wenn sie es für einige Zeit ausprobiert hatten. Der Arbeitskräftemangel war enorm.

Wie immer hilft bei solchen Unpässlichkeiten der menschlichen Natur nur eins: Eine solide, dogmatische Kultur, bei der das Ausbüchsen aus dem Reich der Notwendigkeiten auch moralisch schlecht ist. Wer desertiert, hat das Recht auf Existenz verwirkt.

Man musste den Fleiß geradezu als Tugend erfinden, damit sich das durchsetzte, und die ganze Schulbildung und was man als erstrebenswert an die Erwachsenen verkaufte, diente nur diesem Zweck: Tu deine Pflicht. Bevor diese Parole dem industriellen Morden in den Weltkriegen diente, war sie in der Gesellschaft schon angekommen. Wer regelmäßig im Hamsterrad dient, der hat keine Zeit, darüber nachzudenken, der oder die desertieren nicht, und erst recht nicht drehen sie die Waffen um.

5. BEMÜHUNGEN

Man darf den Fleiß nicht mit der Anstrengung und Bemühung verwechseln. Anstrengung und Bemühung waren auch in der vorindustriellen Gesellschaft an der Tagesordnung, aber die Arbeit war abwechslungsreicher, nachvollziehbar, unterlag schon, weil sie im Freien und vom Wetter abhängig gemacht wurde, großen Schwankungen.

Die wetterfeste Werkhalle hingegen kennt keine Jahreszeiten, nicht mal Tag und Nacht, dafür erfindet sie den Schichtbetrieb. Die Entfremdung der Fabrikarbeit ist komplett. Früher war das auch ein körperliches Elend.

Heute, in der Welt der Büros statt der Werkbänke, sieht es auf den ersten Blick anders aus, aber das ist nur eine Täuschung. Tatsächlich sind die Menschen in den industriell getakteten Arbeitswelten heute so entfremdet von dem, was sie tun, wie ihre Vorfahren am Fließband.

Sie sind überwiegend in wissensbasierten Dienstleistungen tätig, die weit mehr als 40 Prozent aller Arbeitsverhältnisse ausmachen, während die Industrie nur mehr eine Statistenrolle hat am Arbeitsmarkt, sich allerdings zur unverzichtbaren Leitfigur von allem aufplustert. Weil niemand Zeit zum Nachdenken hat, stört das auch niemanden.

„Was uns bevorsteht“, schrieb die hellsichtige Hannah Arendt in ihrer Vita activa, „ist die Aussicht auf eine Arbeitsgesellschaft, der die Arbeit ausgegangen ist, also die einzige Tätigkeit, auf die sie sich versteht.“ Das war vor 70 Jahren.

Nein, Fleiß lohnt sich nicht. Leistung lohnt sich, aber die besteht aus eigenem Denken, selbstständig, selbstbestimmt, nicht im Zeichen des Hamsterrades also.

6. DENKEN, NICHT MACHEN

Industrialisierung bedeutet immer Automatisierung. Maschinen sind Automaten, deren Wesen es ist, Routinetätigkeiten schneller und besser zu erledigen als ihre menschlichen Auftraggeber. Die Industriegesellschaft braucht aber den Menschen, um ihn an der Maschine dort einzusetzen, wo es noch keine vernünftige Maschinenlösung gibt. Überdies, das ist die Regel des Fordismus, der auf dieser Einsicht aufbaut, braucht man Konsumenten, und idealerweise sind die, die die Güter herstellen an den Maschinen, auch die, die sie verbrauchen. Zuerst geht es nur um Hamsterarbeit, um Tretmühle, dann geht es um routiniertes, zügiges Verbrauchen, auch in kalkulierbaren Größen.

In den Fabriken werken längst Roboter, viele Werkshallen sind menschenleer, das ist normal. Die sogenannte künstliche Intelligenz ist gar nicht intelligent, aber sie kann eines sehr gut, die restlichen noch zu automatisierenden Routinearbeiten besser erledigen als Menschen.

KI kann nur wiedergeben, was Menschen schon gemacht haben oder gedacht haben – lasst euch nix anderes erzählen. Deshalb ist Fleiß und Geschäftigkeit nicht nur keine Lösung, sondern im Gegenteil sogar Gift für eine gelungene wirtschaftliche Transformation, die zur ökologischen Wende gehört.

Die Transformation, die Verwandlung also, sie besteht darin, dass sich die Menschen in diesem Land endlich an den Kopf greifen, um zu verstehen, dass das ihr wichtigstes Kapital ist. Denken, Problemlösungen, also das, was die Eliten in der Antike getan haben, oder, wie wir es auch nennen: Wissensarbeit.

Das Problem liefert die Lösung. Die Industrie hat uns das materielle Potenzial gegeben, menschengerechte Arbeit zu machen, nicht wie der Hamster im Rad, sondern eben jede und jeder nach seinen Fähigkeiten und Bedürfnissen – ist jetzt ja auch nicht so neu.

Auch die neue Bundesregierung ist tief in der Industriegesellschaft verankert. Es sind die Volksparteien der Hochindustriegesellschaft, die damals gegründet wurden, als der Fleiß noch hip war für die, die ihren Profit daraus zogen. Doch heute geht es längst um anderes, und Deutschland verpennt es seit Jahren: Wissen ist Macht, also Denken, nicht einfach weiterwursteln in der Tretmühle.

Die Idee, dass mehr Routinearbeit zu mehr wirtschaftlichem Erfolg führt, ist intellektuell faul und ökonomisch aus der Zeit gefallen.

Alle Kraft wäre der Frage zu widmen, wie aus dem bräsigen Hamsterrad-Land wieder Ideen und Initiativen kommen könnten. Eine Welt, in der man sich nicht am Freitag aufs Wochenende freut, weil die blöde Last vorbei ist, und am Sonntagnachmittag depressiv wird, weil der nächste Werktag droht. Eine Welt, in der wir uns selber gehören, und gerade deshalb unser Bestes geben, um ein paar der verdammt vielen Probleme zu lösen, die wir haben.

Blinder Eifer schadet nur. Aber man kann ja auch mal die Augen aufmachen und hinsehen.

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