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Diskussion über Colonia Dignidad in ChileVom Folterkeller zum Freizeitpark

Viele Täter und Opfer der chilenischen Sekte sind Deutsche. Die CSU hatte engen Kontakt zur Führung, die deutsche Justiz blieb lange untätig.

Schon 1988 war die Colonia Dignidad ein Thema im Auswärtigen Ausschuss. Demonstranten prangerten Menschenrechtsverletzungen an. Foto: imago/Dieter Bauer

Sklavenarbeit, Kindesmissbrauch, Waffenhandel, Folter, Mord – es gebe wohl wenige Straftaten, die in der Colonia Dignidad nicht verübt worden seien, ist Winfried Hempel überzeugt. Viele der Verbrechen hat der Jurist selbst miterlebt. Er ist in dieser deutschen „Kolonie der Würde“ am Fuße der chilenischen Anden aufgewachsen. Einer Siedlung, in der Demütigung das Leben bestimmte. Jungen wurden vergewaltigt, Frauen als Feldarbeiterinnen versklavt, Oppositionelle der chilenischen Militärdiktatur gefoltert und ermordet.

Viele Täter sind Deutsche, viele Opfer sind Deutsche. „Warum ist die deutsche Justiz so lange untätig geblieben?“, fragte Hempel auf einer Veranstaltung des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) am Montag in Berlin. Warum hat die Bundesregierung zugeschaut, obwohl schon kurz nach Gründung der Kolonie 1961 klar war, was in der Siedlung des Sektenführers Paul Schäfer passiert? „Erst nachdem Schäfer 2005 in Argentinien verhaftet wurde, hat Deutschland einen Haftbefehl ausgestellt“, kritisiert Hempel, der selbst Opfer vertritt: „Ein Witz.“

Jahrelang hielten CSU-Politiker enge Kontakte zu führenden Mitgliedern der Kolonie. Bis heute lebt die rechte Hand Schäfers, Hartmut Hopp, unbehelligt in Krefeld. Dorthin ist er 2011 geflüchtet, nachdem er in Chile wegen Beihilfe zum sexuellen Missbrauch zu fünf Jahren Haft verurteilt wurde. Ob der 70-Jährige die Haftstrafe hier absitzen muss oder die deutsche Justiz ein eigenes Verfahren eröffnet, ist unklar. Anwältin Petra Schlagenhauf, die Überlebende vertritt, blickt vorsichtig optimistisch auf die Staatsanwaltschaft, „aber man hätte mehr machen können“.

Dieser Tage erregt das Thema große Aufmerksamkeit wegen des Spielfilm „Colonia Dignidad – Es gibt kein Zurück“, der in den Kinos angelaufen ist. Entlang einer Liebesbeziehung beschreibt der Film, wie Kritiker des Diktators Augusto Pinochet im Kartoffelkeller gefoltert und Bewohner als Versuchskaninchen für lebensgefährliche Medikamentenversuche benutzt wurden. Regisseur Florian Gallenberger verzichtet weitgehend auf Gewaltinszenierungen. Einige Szenen lassen aber erahnen, wie skrupellos Schäfer und seine Leute vorgegangen sind. Im letzten Moment verweist der Film, wenn auch verkürzt, auf die Nähe der deutschen Botschaft zu den Siedlern.

50 Jahre Gehirnwäsche

Bis heute ist die Bundesregierung zurückhaltend, wenn es um ihre Verantwortung geht. „Im Auswärtigen Amt liegen stapelweise Akten unter Verschluss“, kritisiert Politikwissenschaftler Jan Stehle, der sich mit der Rolle der deutschen Außenpolitik in der Affäre beschäftigt. Nach dem Ende von Schäfers Regime finanzierte das Auswärtige Amt (AA) mit jährlich 250.000 Euro das neue Wirtschaftsmodell der 15.000 Hektar großen Siedlung, die sich jetzt „Villa Baviera“ nennt: einen bayerischen Vergnügungspark. Wo früher Menschen gefoltert wurden, gibt es heute Sauerkraut, Schweinshaxen und Blasmusik.

Erst im vergangenen Jahr unterstützte das AA ein Projekt, das sich kritisch mit der Geschichte der Kolonie auseinandersetzt. Damals trafen sich Angehörige deutscher und chilenischer Opfer in Chile. Derzeit findet eine Fortsetzung des Treffen in Berlin statt. Mit dabei sind erstmals Personen, die noch in der Siedlung leben, um über Formen der Erinnerung zu sprechen. 2015 urteilte ein chilenisches Gericht, dass eine Gedenkstätte errichtet werden müsse und die Orte ehemaliger Massengräber öffentlich zugänglich sein sollten.

Wo früher Menschen gefoltert wurden, gibt es heute Sauerkraut, Schweinshaxen und Blasmusik.

Angehörige verschwundener politischer Gefangener unterstützen das, die Bewohner halten wenig von einem Denkmal. Nicht nur, weil solche Erinnerungen geschäftsschädigend fürs „Bayerische Dorf“ wären. Sie halten sich für die Kinder der Opfer des Einzeltäters Schäfer. Viele seien rechtsextrem eingestellt, eine Auseinandersetzung über Mitverantwortung sei schwierig, sagt Hempel. „Das Problem ist, dass diese Menschen 50 Jahre Gehirnwäsche hinter sich haben.“

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6 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • 1961 stellt die Bonner Staatsanwaltschaft einen Haftbefehl gegen Paul Schäfer wegen sexuellen Kindesmißbrauchs aus. Er flüchtet in einer Nacht und Nebel-Aktion nach Chile, mehr als 200 Mitglieder der "Privaten Socialen Mission" folgen ihm. Die Geschichte der Colonia Dignidad begann also mit einem Haftbefehl gegen Paul Schäfer.

     

    1966 sorgt die Colonia Dignidad erstmals überregional für negative Schlagzeilen. Wolfgang Müller flüchtet aus der Kolonie und berichtet von horrorähnlichen Zuständen auf dem Mustergut. Freiheitsberaubung, sexuelle Mißhandlungen, Schläge, sogar mysteriöse Todesfälle werden in der Öffentlichkeit diskutiert.

     

    Elf Jahre später sorgt die amnesty-Veröffentlichung für den nächsten Skandal. Doch auch die Foltervorwürfe ziehen nicht die Schließung der Siedlung nach sich.

     

    Ihr Unterstützerumfeld in Deutschland hat Rang und Namen: So gehören damals mehrere CSU-Politiker zu den Freunden der Kolonie, ebenso der Siegburger Bundestagsabgeordnete Adolf Herkenrath und der ZDF-Journalist Gerhard Löwenthal. Der Königswinterer Waffenhändler Gerhard Mertins verteidigt die Kolonie besonders heftig. Wie er gehört auch der frühere deutsche Botschafter in Chile, Erich Strätling, zu den 120 Gründungsmitgliedern eines "Freundeskreises" der Colonia in Deutschland. Sie alle haben die Kolonie besucht und dabei "keine Folterkammern entdecken können".

     

    Von daher ist es nur folgerichtig, daß sie in der Dokumentation von amnesty international eine Verleumdungskampagne sehen. Als Drahtzieher hat man schnell den damaligen ai-Generalsekretär Helmut Frenz ausgemacht, der im rechten "Deutschland-Magazin" gar als "falscher Bischof" tituliert wird. Waffenhändler Mertins besucht Frenz eines Tages in seinem Büro in der Bonner Heerstraße und droht ihm mit Konsequenzen, sollte er seine Kampagne gegen die Colonia Dignidad nicht einstellen.

     

    (Quelle: ai; https://www.amnesty.de/umleitung/1997/deu05/060?print=1)

  • 1997, nach mehr als 20 Jahren, hat die Colonia Dignidad endlich den Prozess gegen amnesty international um eine ai-Broschüre von 1977 verloren. (Erst) Ab da darf ai bekräftigen: In der Colonia Dignidad wurden unter Pinochet politische Gefangene gefoltert. Auf den Gerichtskosten von über 160.000 Mark dürfte amnesty international aber sitzenbleiben. Spenden sollen jetzt helfen, daß die Opfer von heute nicht darunter leiden müssen.

     

    (http://www.amnesty.de/umleitung/1997/deu05/078)

  • Bis heute weigert sich die deutsche Bundesregierung, Wissenschaftlern oder Journalisten Zugang zu den Akten über die Colonia Dignidad zu gewähren. Im Jahr 2011 begründete sie dies mit der Sorge, dass „eine Freigabe sensibler Akten (…) einen Anlass für Konflikte und Vorwürfe zum Umgang mit der Militärdiktatur schaffen (könnte), in welche die Bundesrepublik Deutschland hineingezogen werden könnte“. Sie will nicht „hineingezogen werden“ in die Versuche des demokratischen Chile, die Folgen des Militärregimes aufzuarbeiten, so wie sie sich früher offiziell aus den inneren Angelegenheiten eben dieser Diktatur heraushielt, die konservative Politiker wie Franz-Josef Strauß offen unterstützten.

     

    Eine intensivere politische Beschäftigung mit dem Komplex Colonia Dignidad fand in Deutschland niemals statt, das Thema hatte keine Priorität, es erschien eher als „lästiges Übel“. Die Regierung betonte wiederholt, dass eine „Mitverantwortung der Bundesrepublik Deutschland für die in der Colonia Dignidad begangenen Straftaten nicht (besteht).“

     

    Quelle: Horst Rückert: „Das Blendwerk. Von der Colonia Dignidad zur „Villa Baviera“ (https://amerika21.de/analyse/108199/colonia-dignidad)

  • Der damalige deutsche Botschafter in Chile, Erich Strätling (1976 bis 1979), ließ sein Auto von Siedlern der Colonia Dignidad lackieren und seine Residenz neu anstreichen. Im November 1976 besuchte er erstmals die Colonia Dignidad. Anlass war ein UN-Bericht, in dem sie als Folterzentrum bezeichnet wurde.

     

    Ein Jahr später, Amnesty International hatte in Deutschland öffentlich Folteranklagen erhoben, kam Strätling zum zweiten Mal in die Colonia und ließ sich von Paul Schäfer durch die Siedlung führen. Er machte das leicht durchschaubare Spiel des Koloniegründers, der offiziell für tot gehalten werden wollte, kommentarlos mit und gab vor der Presse eine Ehrenerklärung für die Gemeinde ab. Dem Auswärtigen Amt teilte er mit: „Ich habe keine unterirdischen Folteranlagen gefunden.“ Die Vorwürfe gegen die „Colonia“ seien „Gerüchte und unbewiesene Behauptungen“.

     

    Bis 1985 ging die Deutsche Botschaft keinem der Hinweise auf Verbrechen in der deutschen Siedlung nach, die sie erreichten.

     

    Quelle: Horst Rückert, ehemaliger Leiter der Deutschen Schule in Concepción; https://amerika21.de/analyse/108199/colonia-dignidad

  • Eine wichtige Basis für den Erfolg der Colonia Dignidad waren die intensiven Kontakte nach Deutschland und zur internationalen Nazi-Szene. Zu den guten Freunden, Geschäftspartnern, Unterstützern und häufigen Besuchern der Colonia zählten unter anderem die nach Chile exilierten Nazis Hugo Roggendorf (SS-Veteran), Walter Rauff (der Erfinder der Tötungswagen) und Hans Albert Loeper, eine der wichtigsten Figuren des lateinamerikanischen Nazi-Netzwerks.

     

    Auch in Deutschland lebende Nazis waren gern gesehene Gäste in Chile: Gerhard Mertins, Waffenhändler und Vorsitzender des »Freundeskreises Colonia Dignidad«, nach 1945 aktiv in der Sozialistischen Reichspartei und der west-deutschen Nazi-Szene, weilte noch 1989 auf einem Arbeitsbesuch in der Colonia; der Rechtsanwalt Manfred Roeder, der das Vorwort zum Buch »Die Auschwitzlüge« schrieb, war mit Schäfer befreundet und besuchte ihn mehrfach.

     

    Gute Verbindungen bestanden auch nach Bayern, insbesondere zu CSU-Politikern, die intensive Lobby-Arbeit leisteten, um das schlechte Image der Colonia in der BRD aufzupolieren. Nach dem Tod von Franz Josef Strauß wurde bekannt, dass er mehrere Male mit seinen Söhnen zum Urlaub bei Schäfer war.

    (Quelle: https://www.antifainfoblatt.de/artikel/colonia-dignidad)

  • "Bis heute ist die Bundesregierung zurückhaltend, wenn es um ihre Verantwortung geht". „Das Problem ist, dass diese Menschen 50 Jahre Gehirnwäsche hinter sich haben.“

     

    Falsch. Es sind nicht 50 Jahre. Die "Gehirnwäsche" dauert schon ein ganzes Leben.