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Fall Mouhamed DraméPsychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen

Dinah Riese
Kommentar von Dinah Riese

Der Freispruch für fünf Po­li­zis­t:in­nen in Dortmund zeigt erneut: Staatsgewalt ist tödlich – und die falsche Antwort auf psychische Krisen.

Der Prozess um den Tod von Mouhamed Dramé in Dortmund endet mit einem Freispruch der angeklagten Po­li­zis­t:in­nen Foto: imago

D er 16-jährige Mouhamed Dramé brauchte Hilfe in einer psychischen Ausnahmesituation. Stattdessen wurde er erschossen. Die Kugeln einer Maschinenpistole trafen ihn im Gesicht, am Hals, in die Schulter, in den Bauch. Abgefeuert hatte die Waffe: ein Polizeibeamter, bei einem Einsatz, bei dem so ziemlich alles falsch gemacht wurde.

Zur Rechenschaft dafür gezogen wird niemand. Die beteiligten Polizeibeamten wurden am Donnerstag allesamt freigesprochen: Sie hätten sich in einer Notwehrsituation gesehen.

Das Problem ist: Diesen Polizeieinsatz hätte es so nie geben dürfen. Immer wieder sterben Menschen durch Polizeikugeln. Immer wieder trifft es vor allem Menschen in psychischen Ausnahmesituationen. Menschen, die nicht zurechnungsfähig sind. Die wie Dramé suizidgefährdet sind. Viele von ihnen erleben weitere Formen von Diskriminierung, etwa Armut oder Rassismus. Am Ende sind sie tot, statt dass ihnen geholfen wurde – weil die Polizei bei ihrem Einsatz selbst erst die Notwehrsituation hervorruft.

Sich selbst angetan hat Mouhamed Dramé nichts. Tot ist er trotzdem.

Dramé war zunächst eine Gefahr für sich selbst. Er hatte sich ein Messer an den Bauch gehalten. Erst als die Polizei ihn mit einer vollen Ladung Pfefferspray angriff, lief er auf die Beamten zu. Sich selbst angetan hat er nichts. Tot ist er trotzdem. Und er ist kein Einzelfall.

Seit Jahren schon mahnen Ex­per­t*in­nen, dass bewaffnete Uniformierte, die vorpreschen und dabei womöglich noch Pfefferspray, Taser oder gar Schusswaffen einsetzen, die Situation eskalieren, statt sie zu beruhigen. Immer wieder fordern sie, dass es Not­ärz­t*in­nen oder psychosoziale Krisendienste sein müssten, welche die Betroffenen zuerst erreichen.

Trotzdem sinken die Zahlen nicht – sie steigen. 2024 wurden so viele Menschen durch Polizeischüsse getötet wie seit 1999 nicht mehr. In etwa zwei Dritteln der Fälle befanden sich die Opfer in einer psychischen Krise. Und solche Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen. Dass die Polizei diesen Lernprozess offenbar strukturell verweigert, bezahlen Menschen mit ihrem Leben. Immer und immer wieder.

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Dinah Riese
Ressortleiterin Inland
leitet das Inlandsressort der taz. Davor war sie dort seit Oktober 2018 Redakteurin für Migration und Integration und davor von 2016-17 Volontärin der taz Panter Stiftung. Für ihre Recherche und Berichterstattung zum sogenannten Werbeverbot für Abtreibungen, Paragraf 219a StGB, wurde sie mehrfach ausgezeichnet. Im März 2022 erschien von Gesine Agena, Patricia Hecht und ihr das Buch "Selbstbestimmt. Für reproduktive Rechte" im Verlag Klaus Wagenbach.
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