Digitalkultur-Messe für Jugendliche: Nicht mehr als ein Katzensprung
In Berlin fand am Wochenende die Tincon statt, die erste „teenageinternetwork convention“. Genau das Richtige für unseren jüngsten Autor.
Im Internet sah das alles irgendwie besser aus. Die erste „Tincon“, die neue Digitalkultur-Messe für die heute Pubertierenden, bleibt im Real Life weit hinter dem zurück, was das Virtuelle mit buntem Vine- und Gif-Mist angekündigt hatte.
Der Name „Tincon“ steht für „teenageinternetwork convention“ – das soll so etwas sein wie die Internetkonferenz re:publica, nur für ein jüngeres Publikum. Besser als mit dem sperrigen Schlagwort „digitale Jugendkultur“ ist die Veranstaltung wohl mit diesem Versprechen zu fassen: keine Eltern. Ins Haus der Berliner Festspiele durfte nur, wer zwischen 13 und 21 Jahren alt war. Check!
Obwohl die meisten Besucher*innen vor Ort wirklich wahnsinnig jung aussehen (eher so 13 bis 16), richtet sich die „Tincon“ auch an mich 19-Jährigen. Folglich verzichte ich auf eine Akkreditierung. Die Presse ist laut einer freundlichen Mitarbeiterin nämlich sowieso schon übermäßig interessiert an dem Event, und fällt mit ihren runzlig-überforderten Vierzigjährigen-Gesichern unter den wuseligen Digital Natives auf wie Tiger in der Wurstfabrik. Ich gehe undercover hin.
Ich nähere mich einem Stand mit der Aufschrift „Junges Angebot von ARD&ZDF“. Tischtennisschläger mit Bildern von Köpfen drauf liegen herum, die das junge Publikum einfach toll finden muss: Böhmermann, LeFloid, andere, die ich nicht kenne. Vor Kameras schlagen zwei der zum Stand gehörenden Enddreißiger damit einen Stoffhund hin und her, was aber nicht so recht klappt. „Ach, der ist festgebunden.“ „Wir brauchen größere Schläger.“
Weiteres Standequipment bilden zwei Fernseher mit „Mario Kart“ und ein Stapel (analoger) Zettel, über dem steht: „Wünsch Dir was“.
Unsere Gesichter verschmelzen
„Du kannst uns auch ansnappen.“ „Und Ihr snappt dann zurück?“ „Ja.“ „Wozu liegen da die Tischtennisschläger?“ „Da kannst Du einen Faceswap mit machen. Wenn Du das dann postest, kannst Du eine Flasche Wasser gewinnen.“ „Was ist ein Faceswap?“
Die freundliche Standfrau hält ihr Smartphone vor mein Gesicht und den Böhmermann-Schläger daneben – und unsere Gesichter verschmelzen. Ich bin baff. Eigentlich wäre mir Volker Weidermann lieber gewesen, aber das sage ich ihr nicht.
Ich entferne mich und checke mal Twitter: Tincon gefällt Dein Tweet „Als Jugendlichkeit auf dem Weg zur @tincon juhuu juhhhu und Ralph Caspers kommt auch“. Tincon folgt Dir jetzt. Das war es wohl mit undercover. Obwohl, so jugendlich-real bin ich sowieso nicht – mir fehlt die Selfie-Erfahrung.
„Infrarot-Selfies“ steht am Stand des „DLR School Lab“: Nehm ich. Und erlebe die Grenzen der Logik, denn der freundliche „DLR“-Mann drückt den Auslöser selber. Also kein Selfie, sondern ein… #Fremdie. Woah, voll der coole neue Trend, ey.
Wo sind die Jugendlichen?
Irgendwas aber fehlt beim Gang über diese erste Jugend-Digitalconvention – genau: Jugendliche. Die anwesenden sind zwar bunt zusammengewürfelt aus verschiedensten Coolheits- und Nerdigkeitsgraden, sehen nicht aus wie bestellt und verhalten sich auf bezaubernde Weise angepasst, unaufgeregt, trendig gar, vor allem authentisch – aber bei nicht mal 150 davon fallen nicht nur die anderen Presseelefanten unangenehm auf, sondern auch die zahlreichen coolen Erwachsenen, die hier arbeiten oder auftreten.
Sie sind es auch, die immerzu immerfort irgendwas mit Social Media verkaufen, vermarkten oder schlimmstenfalls vermitteln wollen. Zum Beispiel in diversen, doch sehr verschult anmutenden Veranstaltungen, die man unter „Grundlagen der Medienethik“ subsumieren könnte.
Die große Eröffnung beginnt, wie alles in diesem Techniktempel, mit technischen Problemen. „Unterhalte die da mal“, tuschelt man einem der Erwachsenenzu; davor und danach lobt und beweihräuchert die eigentliche Moderatorin und Gute-Laune-Bärin Eva Schulz: „Ihr seid Pioniere. Ihr seid die Allerersten.“
Das junge Publikum befindet sie offenbar für cool, aber ihre Dauergutelaune ist zu penetrant, um nicht aufgesetzt zu wirken. Einer der jungen, öffentlich-rechtlichen Enddreißiger flüstert seinen Kolleg*innen zu: „Wir dürfen nicht so konzentriert auf einem Haufen sitzen.“ Denn, sie wissen es ja selbst: Sie heben den Altersschnitt.
Junge Briefmarkenfabrik Itzehoe 2.0
Die Veranstalter*innen Johnny und Tanja Haeusler (beide aus der Generation „Meine Eltern“) begrüßen nun, – aber der Jugendbeirat, beschwichtigen sie sogleich, habe die Referent*innen „gecheckt“ und befunden, dass „alle cool sind“, und das klingt alles fürchterlich nach Junge Briefmarkenfabrik Itzehoe 2.0.
Stargast Manuela Schwesig (Jugendministerin) wird als „coole“ Politikerin angekündigt. Schwesig fordert das Wahlrecht ab 16, viel mehr aber auch nicht, entpolitisiert aus Leibeskräften, bleibt unkonkret und lächerlich banal: „Es ist wichtig, dass Ihr das auch zum Thema macht!“ „Es ist nicht so, dass man nichts bewegen und nichts verändern kann.“ „Ihr habt, wenn Ihr das wollt, ne große Macht.“ Immerhin lernen die Jugendlichen, dass sie ein „Erdoğan“-Video toll findet und Worte beherrscht wie „Feesbuck“ und „Instagrähm“. Und Moderatorin Eva Schulz fährt fröhlich fort: „Die Anzugträger sind weg. Jetzt kommen die coolen Leute.“
Nämlich der eine von „Y-Titty“, dem superlustigen Videotrio, das sich im vergangenen Jahr aufgelöst hat – warum? Als Betreiber des erfolgreichsten deutschen „YouTube“-Kanals hätten sie eben alles erreicht, sagt Oguz Yilmaz – und „den Ansporn verloren“. Dabei sitzen die Fans, die ihm nicht mehr genug waren, direkt vor ihm, und wirken etwas verwirrt.
Johnny Haeusler ist unzufrieden: „Ihr müsst nach vorne kommen. Sieht sonst so leer aus.“ Am zweiten Tag wird die hintere Hälfte des Hauptsaals konsequenterweise abgesperrt.
Medienkunde mit YouTube-Stars
Weiter geht es mit Medienkunde: Verantwortung als „YouTuber“. Vorbildfunktion. Yilmaz spricht dabei in ihrer Gegenwart über die Jugendlichen in der dritten Person und merkt es offenbar nicht mal. Eine junge Zuschauerin quietscht kichernd: „In Euren Videos macht Ihr ja, relativ, so Witze über so Pimmel oder so. Machst Du das auch, wenn Du mit Deinen Freunden unterwegs bist?“ Alles gefaked, stellt Yilmaz routiniert klar: „Keiner ist eins zu eins so, wie er in den Videos ist.“
Die anschließend folgende Malroboteraktion beginnt mit einem vielsagenden Blick des seltsamen Typen mit dem Malroboter: „Könnter auch selber bauen. In der Hacking Area.“
Wenig später, in der „Hacking Area“, warten er und seine Kollegin schon; dazu noch ein ganzes Bastelwaffenarsenal: Bohrmaschinen, Zangen, Heißklebepistolen, Akkuschrauber, Stöpsel, Drähte.
Zuerst die Batterie mit den Drähten verkleben: „Mit ganz viel Heißkleber! Es kann nie genug Heißkleber sein.“ „Okay.“ „Hast Du eigentlich schon mal Heißkleber benutzt?“ „Nein, noch nie.“ Kreativität ist gefragt: Ich nehme also eine Klobürste mit Schaumstoffpommesbürsten, jemand reicht mir die untere Hälfte einer „Barbie“-Puppe, und weil das Konstrukt nicht so recht hält (der dritte Fuß fehlt) und ich eine schwere Kindheit hatte, schneide ich die Beine mit viel Gewalt weiter auseinander und verklebe die Teile großzügig mit Heißkleber und Klobürste.
Giftige Dämpfe steigen auf. Die Befestigung hält nicht; ich probiere es mit dem Akkuschrauber und bohre fast ein Loch in den Tisch. Besorgte Blicke von Bastelbrother und Bastelmother. Bisher musste ich sowieso bei jedem Arbeitsschritt fragen, jetzt stehe ich unter Vollaufsicht. Überhaupt ist es wundersam, dass ich noch lebe – also etwas Ungefährlicheres finden: Kabelbinder.
„Es gibt genau zwei Arten, Kabelbinder zu verwenden. Wie Du das jetzt gemacht hast, funktioniert es… nicht.“ Ich nicke stumm, das Gebilde wird langsam fertig; er und ich klatschen uns ab und tragen das Vehikel nach vorne auf die Papierbühne. „Du sitzt viel am Computer und machst wenig mit'n Händen, oder?“ An meinem noch etwas tauben Daumen spüre ich kalte Heißkleberreste.
Von den zahlreichen „Tinvon“-Sponsoren sind mir die guten, alten Berliner Verkehrsbetriebe noch immer die liebsten. Ich gehe zur Berufsberatung in einem Zelt auf dem Außengelände, wo es einen Vortrag der „BVG“ geben soll. Auf einem Aufsteller steht: Du lebst unseren Stil. Du fährst U-Bahn. Du solltest bei uns anfangen. Vor allem aber sollte ich erstmal „Twitter“ checken.
Die Präsentationsfolien triefen vor Coolness-Blabla, PR-Abteilung-Öffentlichkeitsarbeits-Mist und peinlichen Netzphänomen-Anspielungen. Außer mir sind genau zwei Jugendliche zugegen. Man solle zur „BVG JobTube“ kommen, heißt es zum Schluss noch, aber das klingt mir zu sehr nach U-Bahn-Porno.
Der CCC ist auch dabei
Die Klassiker des Digitalen verstellen sich nicht und kommen damit ausgezeichnet an: „YouTube“-Oldstar Kathrin Fricke („Coldmirror“) ist noch lange nach ihrem Auftritt umringt von Selfie-Hungrigen; die Vorsitzende des „Chaos Computer Club“ Constanze Kurz klärt auf, ist toll, bannt (nein, nicht bannt! bannt!) die Zuhörer*innen und redet wirklich so, wie sie redet (berlinert), sagt also zum Beispiel immer so schön „Hacker“ (wie der Holzhacker).
Vor allem aber Ralph Caspers, Moderator der Kinderkanal-Abendsendung „Wissen macht Ah!“. Er weiß, wie man seinen Perso hackt (mit einem gefaketen Schnurrbart), Wörter wie „Sputnikschock“ sagt, binär mit einer Hand zählt und Internet-Erklärvideos aus der „Sendung mit der Maus“ von 1999 zeigt, sowie, natürlich, das beste Katzenvideo des Internet.
Katzenvideo, sowieso, die postmoderne Urszene. Mit ihnen erreicht man jugendliche Herzen immer. Nicht hingegen, oder nur bedingt, mit einer „teenageinternetwork convention“. Schon der behämmerte Name und das berufsjugendliche Konzept offenbaren: Hier hat sich jemand Gedanken gemacht. Aber was bitte sollen 13- mit 21-Jährigen zu tun haben? Überhaupt: Was soll das alles hier? Gewollt sein, ohne gewollt zu wirken. Das aber geht nur in Teilen auf. Die erste „Tincon“ hat was von Klassenfahrt ohne Alkohol.
Katzen gibt es auf der „Tincon“ übrigens auch real (analog): Fast jede Ecke des Gebäudes schmücken Wackelfiguren im Stile des Internetphänomens Grumpy Cat, die aufs Akkurateste hin- und herschwingen. Doch halt! Da bei der Garderobe, eine auf halb acht hängende Katze: Mit letzter Kraft eiert sie nach vorne. Da hilft wohl selbst Heißkleber nicht mehr, oder wie es „YouTuberin“ Melissa Lee formuliert: „Also im Real Life hab' ich leider ne ganz miese Katzenallergie.“
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