30 Jahre Gif-Animationen: Die Höhlenzeichnungen des Internets

Das Gif ist heillos veraltet – und doch hat es überlebt, als Internetfolklore und Emotionsstenografie. Eine kleine Kulturgeschichte.

Ein stilisiertes Männchen aus Pixeln mit einem Geburtstagskuchen

Darf's etwas mehr Bewegung sein? Dann scrollen Sie bitte nach unten Illustration: Juliane Pieper

Ein tanzendes Baby. Ein rotierender Globus. Alle möglichen flackernden Flammen und lodernden Feuerchen. So nebeneinander auf der Website www.gifcities.org durch das Internet-Archiv zusammengestellt, sieht das erst mal nach nicht viel aus. Ganz einfache Animationen halt, die sich immer wieder wiederholen.

Vielleicht muss man schon ein Veteran des Internets sein, um die sich bewegenden Bilder aus ein paar Pixeln als die visuelle Antiquität zu erkennen, die sie sind: Gif-Animationen aus der Mitte der 1990er Jahre und somit quasi die Höhlenzeichnungen des Internets. In einer Zeit, als Webseiten meist aus schwarzer Schrift auf grauem Grund bestanden, Bilder langsam ladende Raritäten waren und es keine Onlineübertragung von Videos gab, waren Bilder im Graphics Interchange Format (Gif) eine Möglichkeit, etwas Bewegung auf die eigene „Homepage“ zu bringen.

Heute erscheinen Gif-Animationen wie eine Art frühe digitale Volkskunst, die als Reaktion auf die Beschränkungen des World Wide Web erfolgreich wurden. Dass etwas 30 Jahre lang relativ unverändert funktioniert, ist in der schnelllebigen Welt von Computer und Internet außerordentlich selten.

Doch das Bildformat Gif, das am Donnerstag seinen 30. Geburtstag feiert, ist so ein seltenes Phänomen: Vor drei Jahrzehnten entwickelte der Softwareingenieur Steve Wilhite für den US-Onlinedienst CompuServe eine Methode, mit der man Bilder in so kleine Dateien speichern konnte, dass sie relativ zügig durch die damals noch unendlich langsamen Computernetze transportiert werden konnten. Die Palette war mit 256 Farben eher bescheiden und eignete sich am besten für simple, gezeichnete Bilder. Aber eine neue Darstellungsform war entstanden.

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Der Durchbruch des Gifs kam 1994, weil Mosaic, ein früher Internetbrowser, es möglich machte, dass man mit dem Format neben statischen Bildern auch kurze, bewegte Sequenzen zeigen konnte. Plötzlich schufteten kleine Bauarbeiter auf Websites, die immer „Under Construction“ waren. Sich öffnende und schließende Briefkästen luden ein, eine „E-Post“ zu senden. Ein Tyrannosaurus Rex aus „Jurassic Park“ trabte vor sich hin, und MC Hammer tanzte einen ruckeligen Tanz. In die Gif-Animationen aus der zweiten Hälfte der 1990er Jahre – voll mit pop- und medienkulturellen Referenzen – ist der Zeitgeist dieser Periode eingeschlossen wie die Fliege im Bernstein.

Nur bei den allerwenigsten Gif-Animationen ist – wie beim beliebten „Dancing Baby“, das sogar einen Gastauftritt bei dem Simpsons hatte – Genaueres über ihre Schöpfer bekannt. Gif-Animationen sind anonyme Internetfolklore. Wie afrikanische Masken oder Stickereien aus Masuren variieren ihre namenlosen Schöpfer bestimmte Grundformen. Die Gifs hatten keine Eigentümer und waren schnell hoch- und auch wieder heruntergeladen, und dann eben auch auf der eigenen Webpräsenz wiederveröffentlicht. Besonders beliebte Motive verbreiteten sich durch das Web 1.0 wie die viralen Videos der Gegenwart durch die sozialen Netzwerke.

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Spätestens mit dem Aufkommen von Streaming Sites wie YouTube war die Daseinsberechtigung von Gifs eigentlich abgelaufen. Nun konnte man richtige Videos in seine Seite einbinden. Doch plötzlich waren die kleinen Bildchen liebenswerte Netzantiquitäten geworden, mit denen man Webdesign einen nos­talgischen Flair verleihen konnte – auch ein Zeichen dafür, dass das Internet begann, sich seiner eigenen Geschichte bewusst zu werden.

Ab Mitte der nuller Jahren erlebte die Gif-Animation sogar ein regelrechtes Revival. Zeigten die Ur-Gifs meist kurze Animationen ohne Hintergrund, die man auf eine Website packen konnte, waren es nun meist kurze Videoschnipsel aus Filmen und Fernsehsendungen, die sich als kurze Loops endlos wiederholten: ein schlecht gelaunter John Travolta aus „Pulp Fiction“ dreht sich hin und her, Adam Sandler rollte mit den Augen, Donald Trump grimassiert.

Im Geist der Wiederholung

„Die Wiederholung ändert nichts an dem sich wiederholenden Objekt, sie ändert aber etwas im Geist, der sie betrachtet“, hat der britische Philosoph David Hume geschrieben, ein Satz, den Gilles Deleuze immer wieder zustimmend in seinem Buch „Differenz und Wiederholung“ zitiert. Das gilt auch für die Gifs. Je öfter sie eine kurze Bildsequenz wiederholen, desto stärker lädt sich diese mit Bedeutung auf.

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Einen ähnlichen Prozess hat der deutsche Künstler Klaus vom Bruch beschrieben, der über seine Video-Loops sagt: „Es geht bei den Loops darum, dass man eine neue Sicht auf die Dinge bekommt. Ich will das, was einem in einem Film oder im Fernsehen nur momentartig auffällt, so raffinieren, dass es zu einer künstlerischen Form führt.“ Auch Gifs können so eine Form der Bildanalyse sein, die besonders signifikante Szenen arretieren und zur konzentrierten Betrachtung anbieten. Gleichzeitig sind sie aber auch eine ideale Darstellungsform für eine unaufmerksame, „zerstreute“ Art der Medienrezeption: Man verpasst nichts, wenn man kurz nicht hinsieht.

In Netzforen tauchten die Miniclips als eine Art visueller Kommentar auf. Statt einem Wort der Zustimmung kann man ein Bild von Orson Welles als „Citizen Kane“ posten, der langsam und betont und immer wieder in die Hände klatscht. Statt einem LOL (kurz für „Laughing Out Loud“) veröffentlicht man ein Gif von Sponge­bob, der sich vor Lachen ausschüttet.

So wurden die Gifs auch zu einer Art, sich mithilfe von Bildern zu verständigen. In einer Art visueller Stenografie werden Ideen und Begriffe als Gif-Memes auf den Punkt gebracht. Der Internetlogik des Mash-up folgend werden solche Kurzclips von ihren Nutzern immer wieder neu bearbeitet und ihnen dadurch neuer Sinn eingehaucht.

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Selbst Facebook, das Gif-Animationen lange als eine Art digitale Graffiti zu unterdrücken versuchte, musste schließlich klein beigegeben und erlaubt seinen Usern inzwischen, Gifs auf ihrer Timeline zu veröffentlichen. Spezialisierte Web­sites bieten Gifs für alle Lebenslagen zum Herunterladen an, und Apps für das Smartphone erlauben es, im Handumdrehen selbst Gifs zu produzieren.

Die Anerkennung durch die Hüter der Hochkultur kam in den vergangenen Jahren: 2012 nahm das Oxford Dictionary das Verb „to gif“ als „Wort des Jahres“ auf. Internetkünstler wie Tom Moody oder Kevin Bewersdorf entdeckten das Format für sich. Der US-Schriftsteller Dennis Cooper veröffentlichte mit „Zac’s Haunted House“ sogar einen ganzen „Gif-Roman“, der ausschließlich aus Zappelbildern besteht. In Galerien gab es in den letzten Jahren erste Übersichtsausstellungen – zurzeit beispielsweise im Museum of the Moving Image in New York. Sogar ein bescheidener Kunstmarkt für Gifs hat sich inzwischen entwickelt.

Der Autor ist Journalist und Professor für Medientheorie an der Hochschule Mainz. 2016 erschien sein Buch „Schleifen. Zur Geschichte und Ästhetik des Loops im Kadmos-Verlag

Gifs sind dezidiert technische Bilder und darum auch eine Reflexion des „Kunstwerks im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ durch Aufzeichnungsmedien. So wie sich durch das Aufkommen von Flugblatt und Zeitung die Karikatur verbreitete, so hat das Internet mit dem Gif eine eigene Methode entwickelt, um durch Bilder zu kommentieren. Sie sind genuin digitale Kreationen, die nur auf dem Monitor zum Leben erwachen, und gedruckt nicht adäquat wiedergegeben werden können. Netzhistoriker und Digital-Ethnologen der Zukunft mögen aus ihnen den Geist unserer Epoche herauslesen.

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