Digitalisierung der Landwirtschaft: Bayer will Bauern abhängiger machen
Ein neues Programm des weltgrößten Saatgutkonzerns soll für jedes Feld die besten Sorten auswählen. Aber es empfiehlt nur Bayer-Ware.
Laut einer Bayer-Pressemitteilung handelt es sich zudem ausschließlich um Hybridsorten, die die Landwirte anders als samenfeste Pflanzen nicht selbst nachzüchten können. Stattdessen müssen sie jedes Jahr neues Saatgut kaufen.
Der Konzern ist bereits nach eigenen Angaben der weltgrößte Anbieter auf dem stark konzentrierten Markt für kommerzielles Saatgut. Die vier umsatzstärksten Firmen beherrschen zusammen mehr als die Hälfte des Geschäfts. Dabei ist Saatgut die Grundlage der Ernährung. Wer die Samen hat, kann bestimmen, was die Menschen essen, und so die Preise in die Höhe treiben. Ein Monopol könnte auch dazu führen, dass Züchter wegen des fehlenden Konkurrenzdrucks Pflanzen zu langsam an den Klimawandel anpassen.
Der Seed Advisor der Bayer-Tochter soll nach Firmenangaben aus früheren Ertragsdaten in der Region und der Saatgut-Genetik-Bibliothek des Konzerns für jedes Feld „die besten Hybridsorten“ berechnen. Bedient werde das Programm von Saatguthändlern, die die Empfehlungen an die Landwirte weitergäben.
In der Anbausaison 2018 hätten Farmer in den US-Staaten Iowa, Illinois und Minnesota mit zusammen 40.500 Hektar Anbaufläche Ratschläge der Software angenommen und so im Schnitt pro Hektar 612 Kilogramm Mais mehr geerntet. Derzeit werde das Projekt auf noch mehr Landwirte in weiteren Bundesstaaten und auch auf Sojapflanzen ausgeweitet. Im Herbst 2019 solle es für alle Farmer in den USA als Teil der Softwareplattform FieldView auf den Markt kommen. Einen Termin für die EU nennt Bayer noch nicht.
Ruf nach Regulierung
Software wie der Seed Advisor fördere die Monopolbildung, warnen Kritiker der Agrarindustrie. „Die Empfehlungen basieren ausschließlich auf dem agronomischen Wissen von Bayer und seiner US-Tochter Monsanto“, sagt Marita Wiggerthale, Agrarreferentin der Entwicklungsorganisation Oxfam. „Sie erhalten damit nicht die Auswahl der besten Saatgutsorten allgemein, sondern nur eine Auswahl von Bayers Saatgut.“ Reinhild Benning, Landwirtschaftsexpertin der Umweltorganisation Germanwatch, ergänzt: „Wenn sich solche Systeme durchsetzen, verlieren Bauern an Wahlmöglichkeiten und geraten potenziell in Abhängigkeiten.“
Bayer-Sprecher Klages weist diese Vorwürfe zurück. „Jeder Landwirt hat die freie Wahl, ob und welche Produkte und Technologien er von welchem Anbieter kauft.“ Bauern würden die Angebote von Bayer nur dann nutzen, „wenn sie dadurch einen klaren Vorteil erhalten“. Im Übrigen plane die Firma, „unser Angebot auf Saatgutsorten anderer Anbieter auszuweiten“.
Umweltschützerin Benning glaubt das nicht: „Seit Jahren versprechen Konzerne der Netzwerkökonomie, Produkte anderer Anbieter kompatibel zu machen, ohne dieses Versprechen zu erfüllen.“ Nun müsse der Staat Bayer und seine Konkurrenten dazu per Gesetz zwingen und ihre Marktmacht konsequenter durch das Kartellrecht begrenzen.
Oxfam-Aktivistin Wiggerthale befürchtet, dass die Bauern sich langfristig nicht so frei für eine bestimmte Onlineplattform entscheiden können, wie Bayer es darstellt. „Netzwerkeffekte, Größenvorteile und andere Formen von Rückkopplungen führen in der Plattformökonomie zu einer Monopolbildung.“ Bayers Einfluss wachse mit jedem Datensatz, den Bauern zum Beispiel beim Seed Advisor eingeben – genau wie der Internethändler Amazon mit jeder neuen Kundeninformation an Marktmacht gewonnen habe.
„Je größer die Datenmenge, über die ein Agrarchemie-Konzern verfügt, desto zielgerichteter die Lockangebote und Schein-Informationen auf den Bildschirmen der Bauern.“ Seit Bayer Climate Corporation übernommen hat, sei der Konzern nach eigenen Angaben die Nummer eins bei gebührenpflichtigen digitalen Agrarplattformen. „Bayer hat sich damit einen erheblichen Datenvorsprung verschafft. Daten wirken in der digitalen Ökonomie als Markteintrittsbarriere.“
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