: Digitalisierung? Rollt wie geschmiert …
Eine Unternehmerin spendet der FDP 50.100 Euro. Ein Jahr später vergibt das FDP-geführte Bildungsministerium von NRW der Spenderin einen Großauftrag. Hat Schulministerin Yvonne Gebauer ein Schulprojekt unter der Hand vergeben?
Von Ralf Pauli und Anett Selle
Seit November vergangenen Jahres tingelt ein mobiles Klassenzimmer durch Nordrhein-Westfalen: Ein umgebauter Lkw soll bis Ende dieses Jahres alle 53 Schulamtsbezirke des Landes besuchen und auf seinem Weg möglichst vielen Grundschüler*innen eine Idee vom Unterricht der Zukunft geben: programmierbare Roboter, Stop-Motion-Filme, eBook-Workshops. Die „Mobile Digitalwerkstatt“ ist ein Projekt von Schulministerin Yvonne Gebauer von der FDP. Im Wahlkampf vor der letzten Landtagswahl hatte ihre Partei die „weltbeste Bildung“ versprochen. Darunter fasste sie: weniger Stundenausfall, weniger Inklusion, zurück zu G9. Und: mehr Digitalisierung.
Yvonne Gebauer war damals Landtagsabgeordnete der Partei. Nun, als Schulministerin in der schwarz-gelben Landesregierung, lobt sie die Mobile Digitalwerkstatt für den „Unterricht zum Anfassen und Ausprobieren“. Das rollende Klassenzimmer soll eines der Projekte sein, die Schüler*innen, Lehrer*innen und Kommunen die „Chancen“ der Digitalisierung vor Augen führen.
Doch jetzt bringt ihr Umgang mit dem Projekt der Ministerin Probleme. Denn bei der Auftragsvergabe gibt es Ungereimtheiten. Von Vetternwirtschaft ist die Rede und von Klüngel. Die FDP-Ministerin steht im Verdacht, den Auftrag einer privaten FDP-Großspenderin zugespielt zu haben. Nun horchen nicht nur ihre Kritiker*innen auf: Schanzt eine Partei, die für ihre Wirtschaftsnähe bekannt ist, Aufträge an ihre Klientel? In einem Bereich, der künftig noch Milliarden an staatlichen Investitionen verspricht: dem digitalen Klassenzimmer?
Für die Mobile Digitalwerkstatt hat das das nordrhein-westfälische Bildungsministerium 600.000 Euro bereitgestellt, für das erste Vertragsjahr. Im Oktober 2018 schloss es einen Vertrag über diese Summe mit der Firma „Haba Digital“ ab. Die Geschäftsführerin, Verena Pausder, gehört dem Wirtschaftsforum der FDP an. Im August 2017 ließ sie der FDP 50.100 Euro zukommen. Das geht aus einer Drucksache des Deutschen Bundestags hervor. Das Pikante: Den Auftrag vergab das FDP-geführte Ministerium an Pausders Firma ohne Ausschreibung.
Und auch die nachträgliche Begründung aus dem Schulministerium lässt aufhorchen: Zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses habe es „kein anderes Unternehmen“ gegeben, das das Bus-Projekt nach den Zielen des Ministeriums hätte umsetzen können. Deshalb habe das Ministerium auf die Ausschreibung verzichtet. Zunächst beschränkte sich das Schulministerium auf den Hinweis, erst ab Überschreiten des Werts von 750.000 Euro hätte das Projekt ausgeschrieben werden müssen. „Eine Ausschreibung ist nach den Vorgaben des europäischen Vergaberechts nicht erforderlich gewesen“, hieß es aus Gebauers Haus. Doch an der dieser Darstellung gibt es erhebliche Zweifel.
So berichtete die Westdeutsche Allgemeine Zeitung über einen internen Vermerk des Schulministeriums, aus dem hervorgeht, das Gebauers Staatssekretär Mathias Richter (FDP) darüber informiert war, dass der Schwellenwert laut einem Gutachten vergaberechtlich als „erreicht bzw. überschritten“ betrachtet werden müsse. Und laut Kölner Stadtanzeiger hat sich das Schulministerium offenbar auch über Bedenken des Medienzentrums des Landschaftsverbands Rheinland (LVR) hinweggesetzt. Der LVR hatte am 4. Juli 2018 schriftlich mitgeteilt, für den geplanten Projektumfang sei „ein europäisches Ausschreibungsverfahren notwendig“. Zwei Tage später übermittelte das Schulministerium jedoch die Kontaktdaten der FDP-Spenderin Pausder an die Anwaltskanzlei, die für die Vertragsangelegenheiten zur Mobilen Digitalwerkstatt zuständig war.
Interessant dabei ist, dass wenige Tage zuvor noch offen schien, an wen das Projekt vergeben wird. Der Leiter des Medienzentrums, der an der Projektplanung beteiligt war, schlug noch Anfang Juli eine Kooperation „mit einer techn. Universität“ vor, unterstützt durch Sponsoren. Und auch schien die Haba Digital nicht das einzige Unternehmen gewesen zu sein, das man sich für die Umsetzung vorstellen konnte. So fragt der LVR-Leiter in derselben Mail: „Soll ein Unternehmen beauftragt werden (Apple, Microsoft, Haba, u. a.)“?
Wie also fiel die rasche Entscheidung auf die Firma des FDP-Spenderin?
Schulministerin Yvonne Gebauer hat die Vorwürfe der Klüngelei zurückgewiesen: „Eine Spende einer Privatperson darf nicht generell zum Ausschlusskriterium für die Vergabe eines Auftrags werden“, sagte sie. Die Vergabe sei „nach Recht und Gesetz“ abgelaufen. Allerdings hat das Ministerium seine Argumentation inzwischen den berichteten Enthüllungen angepasst: Ob Ausschreibung oder nicht, dafür sei die Auftragssumme unerheblich, sagte Staatssekretär Richter. Auch eine Verlängerung des Vertrages führe nicht zwangsläufig zu einer Ausschreibung. Das Vergaberecht sehe nämlich gar keine Ausschreibung vor – sofern es keine Wettbewerber*innen gibt. Und Gebauer behauptete: Bundesweit habe es keinen anderen Anbieter gegeben.
Bundesweit? Laut EU-Richtlinie für öffentliche Auftragsvergaben hätte das Schulministerium nachweisen müssen, dass europaweit kein einziger anderer Anbieter die Leistung erbringen kann. Aber aus einem internen Vermerk geht hervor, dass das Ministerium bei der Markterkundung scheinbar von der Bundesrepublik auf ganz Europa geschlossen hat: „Da schon bundesweit kein weiterer Wettbewerber erkennbar ist, spricht wenig bis gar nichts dafür, dass es europaweit ein auf die Anforderungen passendes Angebot gibt.“
Der Aussage der Ministerin, es habe bundesweit keine Wettbewerber gegeben, widersprechen Start-up-Unternehmen, Initiativen und Digital-Expert*innen in einem offenen Brief. Und fragen: „Warum gab es keine Ausschreibung, wo es doch zahlreiche Initiativen gibt, die mit viel Erfahrung und etablierten Strukturen ausgestattet sind? Warum wurden eindeutige Regeln des Vergaberechts ignoriert?“ Beantwortet hat Gebauer diese Fragen bislang nicht.
Auch die Opposition wartet noch auf Antworten der Ministerin zur „Vergabeaffäre“. Am vergangenen Mittwoch sollte Gebauer im Schulausschuss des nordrhein-westfälischen Landtags Rede und Antwort stehen. Der entsprechende Tagesordnungspunkt kam aus Zeitgründen jedoch nicht zur Sprache. Die SPD spricht von einem „höchst durchsichtigen Verzögerungsmanöver“. Nun hat die Opposition eine Sondersitzung für den heutigen Mittwochvormittag einberufen: „Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf zu erfahren, wie es zu der Vergabe eines höchst lukrativen Auftrags an die Firma einer FDP-Spenderin kommen konnte und ob die Vergabe rechtskonform abgelaufen ist“, so der bildungspolitische Sprecher der SPD in NRW, Jochen Ott.
Bereits im Juni hatte die SPD ein sechsseitiges Gutachten präsentiert, nach der die Vergabe ohne Ausschreibung rechtswidrig gewesen sei. So heißt es in dem Gutachten der Koblenzer Kanzlei Klinge Hess: „Die bloße Behauptung“, mit der fraglichen Lieferung habe nur ein bestimmter Lieferant beauftragt werden können, reiche europarechtlich nicht aus.
Auch Sigrid Beer, die für die NRW-Grünen im Schulausschuss sitzt, kritisiert die intransparente Vergabe: „Die internen Unterlagen aus dem Schulministerium zeigen klar, dass Vorbehalte gegen eine Vergabe ohne Ausschreibung bewusst umgangen wurden.“ Die schnelle Entscheidung für Haba Digital sowie die oberflächliche Recherche zu anderen möglichen Anbietern verstärkten den Eindruck, dass die Firma der FDP-Spenderin von vornherein als begünstigte fest stand. Deshalb fordert Beer eine „sofortige Neuausschreibung“ der Mobilen Digitalwerkstatt und eine Klärung, wer im Schulministerium für die Vergabe verantwortlich sei.
Die dubiose Vergabe ist nicht die einzige Kritik der Grünen-Abgeordneten an Gebauer: Vor allem den forcierten Ausstieg von Gymnasien aus der Inklusion hält Beer für falsch. Tatsächlich hat Gebauer versprochen, die unter der Vorgängerregierung beschlossene Schließung von Förderschulen zu stoppen. Andere Versprechen konnte die Schulministerin bisher nicht einhalten. So fallen nach wie vor rund 5 Prozent des Unterrichts aus. Auch hat sich die Personalsituation an den Schulen nicht entspannt. Zu Jahresbeginn waren 6.354 Planstellen unbesetzt. Einer Berechnung des Schulministeriums wird sich die Situation sogar noch verschärfen: In den nächsten zehn Jahren werden demnach rund 15.000 Lehrkräfte fehlen.
Um das zu vermeiden, fordert der Lehrerverband VBE gleichen Lohn für alle Lehrer*innen. Bisher verdienen Gymnasiallehrer*innen rund 500 Euro im Monat mehr. Auch hieraus könnte für Schulministerin Gebauer noch ein ernstes Problem erwachsen. Denn zwei Grundschullehrkräfte klagen vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf auf gleiches Gehalt. Bekommen sie Recht, müsste die Landesregierung wohl wesentlich mehr für die Besoldung der Lehrkräfte ausgeben.
Geld, das die FDP-Schulministerin dann nicht mehr freigiebig für ihre Lieblingsprojekte wie die Mobile Digitalwerkstatt verteilen kann.
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