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Diepgen in Klausur genommen

■ SPD ist genervt vom Sitzungsstil des Regierenden Bürgermeisters. CDU-Landowsky: die halbe Stadt verkaufen

Die Senatsklausur zum Landeshaushalt wird zur Gretchenfrage für den Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU). SPD-Fraktionschef Klaus Böger (SPD) rief gestern überraschend den Koalitionsausschuß ein, weil er über Diepgens Sitzungsstil erbost war. „Ich kann das Gelabere nicht mehr ertragen“, sagte Böger. Einige Akteure der CDU hätten offenbar die Entwicklung der letzten Monate verschlafen. Diepgen schaffe es nicht, seine Parteifreunde zu Räson zu bringen.

Die Friedensstiftung im Koalitionsausschuß von SPD und CDU, an dem die Parteivorsitzenden Dzembritzki (SPD) und Diepgen sowie die Fraktionschefs Landowsky und Böger teilnahmen, endete nach zwei Stunden wie das Hornberger Schießen. Die Kombattanten konnten ihre „unterschiedlichen Philosophien“ (Landowsky) keinesfalls aufeinander abstimmen. Sie einigten sich lediglich auf das weitere Vorgehen: Die Kürzungsthemen Soziales, Kultur/ Wissenschaft, Bauen und Personal seien danach erneut auf Einsparmöglichkeiten zu durchleuchten.

Wie berichtet versuchen die SenatorInnen in einem dreitägigen Treffen das Haushaltsloch an der Spree zu stopfen. Nach Angaben der Finanzverwaltung müßte demnach ein Fehlbetrag von rund sieben Milliarden Mark ausgeglichen werden. Der Etat für 1997, den das Abgeordnetenhaus frühestens im Februar absegnen wird, soll ein Gesamtausgabenvolumen von 42 Milliarden Mark haben. Um die Deckungslücke zu schließen, müßten die Bewag verkauft sowie in den Einzelressorts rund vier Milliarden Mark gestrichen werden.

Sämtliche Vorschläge, wie dies zu bewerkstelligen sei, diskutierten die rot-schwarzen Koalitionäre gestern derart kontrovers, daß sich eine Regierungskrise abzeichnete. Dem Vernehmen nach stritten sich die Beteiligten darüber, ob 6.600 OstlehrerInnen schnell zu verbeamten seien. Im Januar hatte die Koalition dies eindeutig verneint. Die CDU fordert nun, davon abzurücken. Ähnlich streitig behandelten die Sparkommissare die Erhöhung der Gewerbesteuer. Hier will die SPD von der Koalitionsvereinbarung abweichen und den Hebesatz bereits im Januar 1997 auf 390 Prozent und im Januar 1999 auf 420 Prozent erhöhen.

Nach Angaben von Beobachtern habe CDU-Fraktionschef Klaus-Rüdiger Landowsky vorgeschlagen, die Hälfte des gesamten Landesvermögens zu veräußern, um der Haushaltskrise Herr zu werden. Damit seien 70 Milliarden Mark zu erzielen. Bis zur Realisierung dieses Mammutverkaufs könne das Land die Nettokreditaufnahme erhöhen.

Die SPD-Bürgermeister der Bezirke haben unterdessen den Konsolidierungskurs im Prinzip bestätigt. Sie verlangten aber, daß die Senatsverwaltungen endlich die Voraussetzungen schaffen sollten, damit die Bezirke ihre Einsparungen bewältigen können. Das Ressort Inneres solle für Beamte Teilzeitbeschäftigung ermöglichen. Der Bausenator müsse den 2. Förderweg im Mietwohnungsbau auf der grünen Wiese sofort stoppen. Dann könnten die Bezirke auch auf teure Infrastrukturinvestitionen verzichten — wie Straßen, Schulen und Kindertagesstätten. Der Köpenicker Bürgermeister Klaus Ulbricht (SPD) soll die Vorstellungen seiner Amtskollegen in der Klausur vortragen. Christian Füller

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