Die neue Balkanroute: Ungarns Transitzone
Flüchtlinge warten an der Grenze zu Serbien darauf, ins Land gelassen zu werden. Alleinreisende Männer haben schlechte Chancen.
Hier gibt es keine sanitäre Anlagen und einen einzigen Wasserhahn. Man will nicht daran denken, wie eine Frau, die menstruiert, mit dieser Situation umgeht. Die Zelte der Flüchtlinge sind aus Müll, Decken hat ihnen das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR gegeben. Auch Essen und Wasser kommt vom UNHCR, genauso wie die ärztliche Versorgung im Notfall.
Dabei ist die Transitzone nur wenige Meter entfernt. Hier lassen ungarische Grenzpolizisten pro Tag 20 Asylsuchende das Land betreten und einen Asylantrag stellen. Die Einrichtung sieht aus wie ein Hühnerkäfig: ein paar hundert Meter langer schmaler Zaunstreifen mit 50 bis 60 Containerwohnungen. Außer einem Bett und sanitären Anlagen gibt es hier nichts, nicht einmal WLAN. Nach Angaben des ungarischen Helsinki-Komitees für Menschenrechte entspricht das den Zuständen in einem Gefängnis.
Es kann lange dauern, bis man von hier aus in ein Flüchtlingslager gelangt. Bei Familien mit Kindern geht es schneller; ein allein reisender Mann wie Salim hat schlechte Karten. Sein Asylverfahren wird noch in der Transitzone in die Wege geleitet. Wird er abgelehnt, muss er eigentlich nach Serbien zurück. Doch Serbien will keine Flüchtlinge zurücknehmen. Also bleibt den ungarischen Behörden nur übrig, ihn trotz Ablehnung in ein ungarisches Flüchtlingslager zu bringen.
9.514 Einreisen trotz Zaun
Offiziell können Asylsuchende Ungarn durch die Transitzone betreten – oder inoffiziell durch Überschreiten des Grenzzauns. Letzteres taten zwischen Januar und Ende April 9.514 Menschen. Der erste offizielle Asylantrag wurde am 21. Februar gestellt. Seitdem wurden fast 3.000 Anträge eingereicht, vor allem von Afghanen, Pakistanern, Irakern – und seit der Abschluss des EU-Türkei-Pakts auch immer mehr Syrern.
Salim hat Schmerzen im Bein. Ein Taliban habe ihn angeschossen, erzählt er. „Meine Familie hat Geld zusammengekratzt und mich nach Europa geschickt, damit ich euch erzähle, wie schrecklich es uns geht.“ Er hat einen Universitätsabschluss und eine Tante in Österreich. Zu der will er.
Angelogen von Schleppern
Salim ist noch vor der Schließung der griechisch-mazedonischen Grenze nach Europa gereist. In Slowenien wurde er zurückgewiesen. Danach hat er zwei Monate im Flüchtlingslager im serbischen Preševo gewartet. Dort haben ihn Schlepper angelogen: Sie sagten, dass es an der serbisch-ungarischen Grenze ein Flüchtlingslager gäbe, wo die Einreise nach Ungarn leicht wäre.
Salim ist frustriert. Immer wieder werden Familien mit Kindern in die Transitzone gelassen. Sie haben Vorrang vor allen anderen, auch vor Kranken. Die UNHCR-Mitarbeiter berichten von einem Flüchtling, der auf Dialyse angewiesen ist – und trotzdem tagelang im Niemandsland warten musste. Familien werden auseinandergerissen, wenn die tägliche Quote überschritten ist. Allein reisende Männer wie Salim bleiben immer wieder draußen.
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Niemandsland Ungarn Mai 2016
Es liegt im Interesse der ungarischen Regierung, dass die Asylsuchenden ein möglichst schlechtes Bild ihres Landes erhalten. Menschenrechte spielen keine Rolle. Vor Kurzem wurde ein Syrer mit einem amputierten Bein im ersten Obergeschoss eines Flüchtlingsheims untergebracht. Auf die Frage, warum er nicht im Erdgeschoss bleiben durfte, wurde ihm beschieden: „Wenn du es mit einem halben Bein aus Syrien nach hier geschafft hast, dann schaffst du es auch ins Obergeschoss.“
Flüchtlinge kommen weiter
Trotzdem werden weiter Flüchtlinge nach Ungarn kommen, prognostiziert UNHCR-Sprecher Ernő Simon. „Solange es in Syrien Krieg gibt und im Irak, in Afghanistan und in Afrika bewaffnete Konflikte und Krisen, müssen sie weiter um ihr Leben fürchten und fliehen.“ Ob der EU-Türkei-Pakt den Flüchtlingsstrom erfolgreich eindämmen kann, sei fragwürdig. „Das Kernproblem ist nicht, wie Asylsuchende aufgehalten werden können, sondern wie die Türkei ihnen ein menschenwürdiges Leben sichern kann, damit sie die tödliche Reise übers Meer nicht antreten müssen.“
Für Salim gibt es kein Zurück. Er harrt weiter vor der Transitzone aus. Für die ungarische Regierung heißt es weiterhin, durch eine Politik des zögerlichen Durchwinkens den Anschein zu erregen, tatkräftig das eigene Land vor Flüchtlingen zu schützen.
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