Die letzten Tage von „Zaman“: Folgen einer Abwicklung

Die Zeitung „Zaman“ war ein Sprachrohr der Gülen-Bewegung. Unter dem Druck der türkischen Regierung schließt die deutsche Ausgabe.

Porträt von Ex-Zaman-Redakteur Harun Odabaşı

Harun Odabaşı war Redakteur bei der „Zaman“-Redaktion in Istanbul. Nun sucht er mit seiner Familie Asyl in Deutschland Foto: Markus Sehl

Ein letztes Mal springen am Dienstagabend vergangener Woche in Offenbach ratternd die Druckmaschinen an. Sie haben in den besten Zeiten 40.000 Exemplare der Zaman pro Stunde gedruckt, nun ist es schon nach einer Viertelstunde wieder still in der Fabrikhalle. Die letzte Ausgabe erscheint nur noch mit 8.000 Exemplaren. Noch einmal warten vor dem Rolltor die Lieferwagen mit laufenden Motoren auf die Zeitungspakete. Einer nach dem anderen verlassen sie die Druckerei. So sieht es aus, das Ende der Zaman.

In Hannover versucht Harun Odabaşı ein neues Leben anzufangen. Er sitzt auf einem zu kleinen Stuhl an einem zu niedrigen Tisch und wartet auf das Mittagessen. Vor dem Fenster im Pausenhof einer Realschule am Stadtrand von Hannover türmen sich die Blätterhaufen. Seine Tochter geht hier seit ein paar Wochen zur Probe in eine Klasse. Odabaşı sitzt mit zwei Lehrern zusammen, er legt sich eine Serviette über die Anzugshose.

„Ich hätte mir nie vorstellen können, irgendwo auf der Welt einmal einen Asylantrag zu stellen.“ Bis vor einem halben Jahr war der 47-jährige Odabaşı noch Redakteur in der türkischen Mutterredaktion der Zaman in Istanbul. Schon im März hatte die Regierung die Kontrolle über die Redaktion übernommen und die Zeitung nach dem Putschversuch im Sommer geschlossen.

An einem Abend, ein paar Tage nach dem Putschversuch, saß Odabaşı mit seiner Frau in der Istanbuler Wohnung, als es plötzlich an der Tür klopfte. „Wir haben niemanden erwartet“, erzählt Odabaşı. Beide haben sich erschrocken angeschaut.

Die Zeitung: Der deutsche Ableger der türkischen Tageszeitung Zaman, übersetzt „Die Zeit“, galt nach Eigenangaben einst mit 30.000 Exemplaren als auflagenstärkste türkische Tageszeitung in Deutschland (erhältlich nur über Abonnements). Sie steht der Bewegung des islamischen Predigers Fetullah Gülen nahe, der von der Türkei für den gescheiterten Putsch im Juli 2016 verantwortlich gemacht wird.

Das Ende: Nach dem Putschversuch wurde die Mutterredaktion in der Türkei geschlossen, nun wird auch der deutsche Ableger bald eingestellt. Der Grund: Leser*innen werden bedroht, Anzeigen brechen weg.

Die Serie: Die taz begleitet die Redaktion in ihren letzten Wochen. Jede Woche erscheint eine neue Folge. Alle Folgen finden sie hier.

Die Zaman war als Sprachrohr der Gülen-Bewegung schon länger ins Visier der Regierung geraten. Vor der Tür stand aber nur ein Lieferant, der frisches Trinkwasser brachte. In dieser Nacht beschlossen Odabaşı und seine Familie, die Türkei zu verlassen. Ob es einen Haftbefehl gegen ihn gegeben hat, weiß Odabaşı nicht. Die Familie stieg ins Flugzeug und kam über Prag mit einem Visum nach Deutschland, hier hat sie Verwandte. Die ersten zwei Monate verbrachte sie in einer Notunterkunft in Braunschweig. „Wir haben in der Türkei bisher ein gutes Leben gelebt“, erzählt Odabaşı, „hier sind wir niemand.“

Immer mehr Asylsuchende aus der Türkei

Nach Statistiken des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge haben bereits im ersten Halbjahr 2016 so viele Menschen aus der Türkei Asyl in Deutschland beantragt wie zuletzt im gesamten Vorjahr. Nach dem Putschversuch und den anschließenden Verhaftungswellen in der Türkei sind die Zahlen weiter gestiegen. Unter den Asylsuchenden sind Säkulare, Kurden, Gülen-Anhänger. Erdoğans Gegner haben sich aber nur bedingt etwas zu sagen. Seine Verfolgung hat sie alle zu Oppositionellen gemacht, aber nicht vereint. „Wir haben mit der Cumhuriyet nur einen gemeinsamen Nenner“, sagt Odabaşı, „beide sind wir in der Opposition.“

Auch der ehemalige Chefredakteur der Cumhuriyet, Can Dündar, hat sich entschieden, die Türkei zu verlassen. Seit einigen Monaten lebt er in Deutschland. In seinen Texten schreibt er weiter gegen die Politik Erdoğans an – und warnt vor der Gülen-Bewegung, als deren Sprachrohr die Zaman gilt. Zugleich sagte der linke türkische Journalist Ahmet Şık, ein erbitterter Kritiker der Gülen-Bewegung und Autor des Buchs „Die Armee des Imams“, angesichts der Lage in der Türkei: „Ich kann mich über die Schließung von Zaman nicht freuen.“

Die Zaman hat das aggressive Vorgehen Erdoğans gegen die Medien mit voller Härte zu spüren bekommen. Dennoch ist ihre Lage eine andere als die der linksliberalen Oppositionszeitung Cumhuriyet. Die Zaman findet sich noch nicht lange in der Rolle der Oppositionszeitung wieder. Ihre Geschichte ist eng verbunden mit einem Bündnis zwischen Gülen und Erdoğan. Aus dem Kreis der Gülenisten rekrutierte Erdoğan nach seinem überraschenden Wahlerfolg 2002 einen Großteil seiner Beamten, Richter und Offiziere. Auch die Zaman galt jahrelang als Stimme der AKP-Regierung, bis es 2013 zum endgültigen Bruch zwischen Gülen und dem damaligen Ministerpräsidenten kam. Als Erdoğan immer offensiver begann, die Gülenisten aus dem Staatsdienst zu entfernen, geriet auch die Zaman in die Opposition.

Intransparent nach innen

Ihre Journalisten können in Deutschland genauso auf Asyl hoffen wie der ehemalige Cumhuriyet-Chefredakteur Dündar. Dass er auf eine völlig andere Geschichte des langjährigen Widerstands gegen Erdoğan – und gegen die Gülen-Bewegung – zurückblicken kann, spielt für das Asylrecht keine Rolle. Es schützt die türkischen Journalisten, weil sie politisch verfolgt werden.

Wie viele der Asylsuchenden aus der Türkei sich darauf berufen, Gülen-Anhänger zu sein, sei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nicht bekannt, so die Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Fraktion Die Linke. Die Gülen-Bewegung ist weder in der EU noch in Deutschland als eine terroristische Vereinigung gelistet. Ein Bericht des Landesamts für Verfassungsschutz aus dem Jahr 2014 kritisiert die „Widersprüchlichkeit des nach außen hin säkularen Auftretens der Gülen-Bewegung und der fehlenden Transparenz des nach innen gelebten Islamverständnisses“, kommt aber zum Schluss, dass die Bewegung nicht die Voraussetzungen für eine Beobachtung durch den Inlandsgeheimdienst erfülle.

Die erst auf Druck aus dem Landtag angefertigte Einschätzung zur Gülen-Bewegung hat das Landesamt im Sommer mittlerweile von seiner Website genommen. Das geschah „aus Verhältnismäßigkeitsgründen“, wie die Pressestelle mitteilte, denn solche Vorbewertungen werden in der Regel nicht veröffentlicht. Die Bundesregierung teilt in der Antwort auf die kleine Anfrage die inhaltliche Einschätzung der Verfassungsschützer.

Die Vereine und Bildungseinrichtungen, die der Gülen-Bewegung in Deutschland zugerechnet werden, beschreiben sich selbst als Förderer von Dialog und Toleranz. Nach einer Studie des Türkei-Experten Günter Seufert betreibt die Bewegung in Deutschland rund 300 Vereine, 150 Nachhilfeeinrichtungen und 24 staatlich anerkannte Privatschulen. Die Schule in Hannover ist eine davon. Als reine Abonnentenzeitung richtet sich die Zaman an die Gülen-Gemeinde in Deutschland. Auf ihren letzten Titel druckte sie: „Die Zaman dankt ihrer Familie von Herzen.“

Odabaşı hofft, dass er von Deutschland aus wieder über die Türkei schreiben kann. Auch wenn das Ende von Zaman ihm nun zuvorgekommen ist. Im Internet versucht er Deutsch zu lernen. Seit drei Monaten wartet er auf die Bearbeitung seines Asylantrags. „Ich muss mein Leben hier ordnen, bevor ich wieder als Journalist arbeiten kann.“

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