: Die kleine Partei und ihr großer Chef
Die SPD weiß nicht so genau, wie sie mit dem Modernisierungspapier von Schröder und Blair umgehen soll: aufregen, zustimmen oder kleinreden? Sie entscheidet sich für alle Varianten gleichzeitig ■ Aus Bonn Markus Franz
Das wird die Genossen aber beruhigen. Das Modernisierungspapier von Gerhard Schröder und Tony Blair, das als Hinwendung zu angebotsorientierterer Politik verstanden wird, das die FDP so gelungen findet, daß sie es als eigenen Antrag im Bundestag einbringen will, das von Sozialdemokraten als kontraproduktiv für den Ausgang der Europawahl bezeichnet wird – dieses Papier ist für Peter Struck der Beweis dafür, „daß sich die SPD der sozialen Gerechtigkeit verpflichtet fühlt“. Ist es mit der SPD schon soweit gekommen, daß sie sich in Diskussionspapieren an ihre soziale Verantwortung erinnern muß?
Nicht ganz. Denn Struck, der SPD-Fraktionsvorsitzende, weiß noch einen anderen Grund, weswegen das Schröder/Blair-Papier wichtig ist: „Es wird eindringlich deutlich, wie weit die Handlungsfähigkeit des Staates eingeschränkt ist, wenn man nicht Freiräume schafft.“ Soll heißen: Wir müssen sparen. Und dabei wird die soziale Gerechtigkeit berührt.
Sparen will die Bundesregierung in der Tat. 30 Milliarden sollen es sein. Deswegen wird das Papier des deutschen Kanzlers und des britischen Premierministers in der SPD auch als theoretische Unterfütterung bereits angestrebter Maßnahmen verstanden. Schröder wollte ein Zeichen setzen, so Struck,daß er das „Projekt der Mitte weiterverfolgen“ will, um bei den Arbeitgebern und all den Wählern, die im vergangenen September von Kohl zu Schröder gewechselt sind, den verlorenen Kredit zurückzugewinnen. Und das geht unter anderem übers Sparen, am besten bei dem Etat, bei dem am meisten zu holen ist: dem des Arbeits- und Sozialministers.
Konkrete Handlungsanweisungen stehen nicht in dem Papier, sondern Sätze wie: „In der Vergangenheit wurde die Förderung der sozialen Gerechtigkeit manchmal mit der Forderung nach Gleichheit im Ergebnis verwechselt. Letzlich wurde damit die Bedeutung von eigener Anstrengung und Verantwortung ignoriert.“ Könnte von der FDP kommen. Aber warum nicht auch von der SPD? Der innenpolitische Sprecher Dieter Wiefelspütz beispielsweise sieht einen „dringenden Bedarf“, sich auf die Herausforderungen einer Zeit einzulassen, in der sich „fundamental so viel“ bewege. Man könne sich nicht länger in dem „herkömmlichen kuscheligen System“ einrichten. Auch der Parteilinke Hermann Scheer sagt: „Es ist eine Selbstverständlichkeit, daß der Sozialstaat reformiert muß und dabei die Reformen nicht durch immer neue Verschuldung finanziert werden dürfen.“
Hat Schröder also den neuen Zeitgeist seiner Partei getroffen? Wenn aus den Thesen konkrete Politik werde, drohte der DAG-Chef Roland Issen, „dann marschieren wir nach Bonn“. Aber noch ist nichts passiert. Trotzdem ist da das Mißtrauen in der SPD, daß Schröder und sein Kanzleramtsminister Bodo Hombach an einer neuen SPD basteln wollen. Gestützt wird das dadurch, daß Schröder seinen Entwurf unter Ausschluß der Partei erarbeiten ließ und es ausgerechnet drei Tage vor der Europawahl zusammen mit Blair öffentlich machte.
Andererseits: Darf der Parteivorsitzende keine Denkanstöße geben? In den Gremiensitzungen dieser Woche wurde Schröder ermahnt, auf die Sozialisation der Genossen Rücksicht zu nehmen. Außerdem dürften die Traditionalisten nicht gegenüber den Modernisierern als diejenigen diffamiert werden, „die falsche Antworten von gestern auf die Fragen von heute geben“. Ansonsten hält sich die Aufregung in den – seit dem Rücktritt Oskar Lafontaines – üblichen Grenzen. Der Linke Detlev von Larcher sieht die Werte der SPD „auf den Kopf gestellt“, und Rudolf Dreßler fürchtet einen „Identitätsverlust“ (siehe Interview unten).
Aber das sind immer dieselben „Störenfriede“, eine breite Gegenströmung ist in der Partei nicht auszumachen. Ein Sozialdemokrat hält gerade das für beunruhigend: „Leute, die seit 20 Jahren in der SPD sind, trauen sich nicht mehr, öffentlich zu sagen: Laßt das Papier in der Versenkung verschwinden.“ Dieses Urteil geht möglicherweise von einer falschen Grundannahme aus. Das Schröder/Blair-Papier, resümiert der Parteilinke Gernot Erler, bleibe so vage, daß man eigentlich „gar nichts dazu sagen kann“.
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