■ Die grüne Außenpolitik zwischen Pragmatismus und Vision: Realos und andere Traumtänzer
Vorgestern Bosnien, gestern Irak, heute Kosovo, morgen Algerien: Krisen werden kaum noch auf das hin untersucht, was ihnen gemeinsam ist, sondern nur auf das hin betrachtet, was ihre jeweilige Besonderheit ausmacht. An die Stelle globaler Strukturanalysen sind seit dem Ende des Kalten Krieges Ad-hoc- Reaktionen getreten, die gerne Pragmatismus genannt werden. Für die Grünen hat sich diese Entwicklung gerade wieder einmal als desaströs erwiesen.
Hinter der Frage, ob und unter welchen Umständen die Partei einer Verlängerung des Bundeswehr- Einsatzes in Bosnien zustimmt, verbirgt sich nicht weniger als die Frage nach der Sicht der Welt. Die wird aber nicht öffentlich diskutiert und schon gar nicht auf Parteitagen. Die Folgen sind verheerend.
Viele Delegierte in Magdeburg haben befürchtet, daß ihnen mit einer Würdigung der Nato-Mission in Bosnien scheibchenweise ein tiefgreifender Wandel der sicherheitspolitischen Linie der Partei zugemutet werden sollte. Solange sich die Bündnisgrünen nicht redlich mit Grundsatzfragen abseits der Tagespolitik auseinandersetzen, sondern ihren außenpolitischen Kurs jeweils an Einzelfällen durchdeklinieren, solange läßt sich wechselseitiges Mißtrauen nicht abbauen. Das führt zwangsläufig zum Bild einer gespaltenen Partei — und das, obwohl doch gerade in den letzten Monaten sich Vertreter der verschiedenen Strömungen stark einander angenähert haben.
Auf die Dauer können die Bündnisgrünen sich nicht davor drücken, für ihre Utopien tragfähige programmatische Sätze zu finden, die auch den Anforderungen der globalen Realität standhalten. Mit lupenreiner Treue gegenüber den eigenen Überzeugungen ist es nicht getan. Das gilt für alle Beteiligten, nicht nur für die leichthin als naiv verschriene Parteilinke.
Die Entwicklung in Bosnien hat dazu geführt, daß derzeit an der Nato dort kein Weg vorbeiführt. Das wissen auch viele derjenigen, die in Magdeburg gegen den Kompromißantrag des Bundesvorstands gestimmt haben. Aber die bloße Akzeptanz der normativen Kraft des Faktischen ist noch kein politischer Gestaltungswille. Wer jede Vision für Traumtänzerei hält, darf sich nicht wundern, wenn andere darauf trotzig mit realitätsfernem Wunschdenken reagieren. Dazwischen sitzen ratlos viele, die zwar einer der Strömungen zugerechnet werden, aber bei diesem Thema mit ihren jeweiligen prominenten Verbündeten unzufrieden sind. Zu Recht.
Bei Themen wie Ökologie oder Rente wagen es die Grünen, Forderungen zu stellen, die mittelfristig nicht zu verwirklichen sind. In der Außenpolitik gelten dagegen manche als Träumer, die langfristig lieber auf die UNO als auf die Nato als Steuerungsinstrument für Krisenintervention setzen wollen. So weit sollte die Anpassung nicht gehen.
Wer nicht wie die USA eine Globalisierung der Nato wünscht, schaut nur auf Teile von Europa, wenn er dem Militärbündnis die Rolle des zentralen Steuerungsinstruments zur Krisenintervention zuschreibt. Die Nato hätte bei einem Krieg zwischen der Ukraine und Rußland oder im Nahen Osten nichts zu suchen. Die UNO schon. Sie verfügt, anders als die Nato, über eine demokratische Legitimation – so richtig es ist, daß der Weltsicherheitsrat eine weit größere Bedeutung hat als die Vollversammlung. Die UNO ist in ihrer gegenwärtigen Verfassung kaum handlungsfähig und bedarf dringend einer Reform. Andere deutsche Parteien sind in diesem Zusammenhang weit stärker an nationalen Interessen orientiert als die Grünen. Für die böte sich somit ein Ansatz zu alternativer Politik, setzten sie gemeinsam die Forderung nach einer Stärkung der UNO an die Spitze ihrer Prioritätenliste — und zwar nicht bloß formal, sondern mit echtem Engagement.
Keine Chance. Führende Vertreter der realpolitischen Strömung glauben nicht an die UNO als relevantem globalem Steuerungsinstrument. Damit betonieren sie den Widerstand auch derjenigen ihrer parteiinternen Gegner, die andernfalls vielleicht einer vorübergehenden Nato-Mission in Bosnien zustimmen könnten. Der Konflikt der Grünen wird sich nicht lösen lassen, ohne daß sich alle Beteiligten bewegen. In Magdeburg hat es an einer Stimme für den Kompromißvorschlag gefehlt. Bettina Gaus
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