: Die freundliche Nervensäge
von BERNHARD PÖTTER
Für die 50 Meter vom Eingang des Kongresszentrums Berchtesgaden bis zum Festsaal braucht Klaus Töpfer zehn Minuten. Leutselig begrüßt er alte Mitarbeiter und neue Bekannte, schüttelt Hände, klopft Schultern, hat für jeden einen Scherz und eine Bemerkung. Ohne Bodyguards und großen Auftritt erscheint er in der Vorhalle, trägt sich ins Besucherbuch ein, posiert mit Delegierten für ein Foto.
Töpfer agiert wie ein Politiker im Wahlkampf. Dabei sind diese Zeiten für ihn vorbei. Der Chef der UN-Umweltorganisation Unep muss sich keiner Wahl mehr stellen. Aber Töpfer ist immer und überall auf Goodwill-Tour. Er hat kein Geld. Also braucht er Freunde.
„Wir sind mitten drin im Klimawandel“, sagt er drei Stunden später in eine Kamera. „Wir haben eine Expedition auf den Mount Everest geschickt, auf den Spuren der Erstbesteiger von 1953. Damals hatten sie ihr Basislager an einer Gletscherzunge. Heute muss man von da zwei Stunden zum Gletscher laufen. So sehr ist der geschmolzen.“ Er hat die Augen aufgerissen, die Brauen hochgezogen, seine Stimme geht am Ende der Sätze empört nach oben, er schlägt die Faust aufs Knie. Töpfer erzählt diese Geschichte zum x-ten Mal. Immer noch mit der Botschaft: Das kann doch wohl nicht wahr sein. Wie auch sonst hat Töpfer seine Überzeugungsmaschine angeworfen: Er mahnt, präsentiert Fakten, schürt Emotionen.
Nairobi und New York
„Sprache ist mir sehr wichtig“, sagt der oberste Umweltschützer der Welt. Er hat Rhetorik gelernt, liest manche Bücher „wegen der Sprache, nicht wegen des Inhalts“. Argumente, Fakten und Emotionen sind seine Waffen. Andere hat er ja auch nicht. Die Ausstattung seiner Behörde ist fast lächerlich. Also hat er nur eine Wahl: überall gleichzeitig sein und reden, reden, reden. Er lebt zwischen Nairobi, New York und dem Rest der Welt, seine Familie in Deutschland. Von zehn Tagen ist er sechs unterwegs, reist nur mit Handgepäck und zwei blauen Anzügen, weil er sich nicht leisten kann, wegen eines verirrten Koffers tagelang festzusitzen. „Ich weiß nicht, wie er das durchhält“, sagt eine Mitarbeiterin, „manchmal schläft er nur zwei Stunden am Tag.“ Vor zwei Jahren hatte er eine Operation am Herzen, die Chancen, wieder aufzuwachen, lagen unter 50 Prozent. Trotzdem hat er noch eine weitere Amtszeit drangehängt. „Einen UN-Job macht man richtig oder gar nicht“, sagt Töpfer. Wer einen Gipfel für nachhaltige Entwicklung organisiert, kann sich einen ruhigen, gesunden Lebensstil nicht leisten.
Die Aussicht auf diesen Gipfel hat ihn im Amt gehalten. Vor zehn Jahren war Töpfer als deutscher Umweltminister beim UN-Gipfel in Rio, nicht unwichtig, aber eine Randfigur. Johannesburg wird Töpfers Gipfel: „Rio war der Gipfel der Deklaration, Johannesburg muss der Gipfel der Aktion werden“. Er weiß, dass Überzeugungsarbeit nötig ist, um die Industrie- und Entwicklungsländer zusammenzubringen. Also steigt er ins Flugzeug und bringt seine Argumente nochmal und nochmal unter die Leute.
Der Unep-Chef hat getan, was er kann: warnende Berichte über den Zustand der Welt und den Zustand der Umwelt in Afrika herausgegeben, auf unzähligen Podien gesessen, hunderte Interviews gegeben, tausende Hände geschüttelt. Er ist ein Meister im Umgang mit den Medien und präsentiert seine Fakten griffig: Er verkündet, dass unser Öl sofort verbraucht wäre, gäbe es in China so viele Autos wie in den USA. Er erinnert daran, dass das Eis am Nordpol schon einen Meter dünner geworden ist. Und er weiß, dass kein Journalist diesen Zitaten widerstehen kann. Töpfer hat den Umgang mit den Medien als deutscher Umweltminister gelernt: Greenpeace besetzte die Schornsteine – er schwamm durch den Rhein.
Er weiß, wie gefährlich die Rolle als Nervensäge ist: Töpfer balanciert auf dem schmalen Grat zwischen Alarmismus und Glaubwürdigkeit. Das war schon als deutscher Umweltminister so. „Heute sagen die Leute: Was willst du denn, der Wald steht doch noch. Aber warum? Weil die Aufregung über das Waldsterben zum Handeln geführt hat, weil wir die Kraftwerke entschwefelt haben und Katalysatoren in die Autos gebaut haben.“
Der Katholik glaubt nicht an die Apokalypse. Oder besser: Er glaubt daran, dass sie zu verhindern ist, weil er auf die Einsicht der Menschen vertraut. Mit diesem Optimismus war er bereits als Minister in Deutschland meilenweit von der Umweltbewegung entfernt. Töpfer redete mit seinen Kritikern und setzte seine CDU-Linie durch: Kooperation mit der Wirtschaft und technische Innovationen. Stolz ist er heute noch auf sein Kreislaufwirtschaftsgesetz, das Deutschland vom Wegwerfland zum Reyclingweltmeister machte.
Konservativ und grün
„Wir haben ihn damals ganz schön gequält“, erinnert sich Andreas Bernstorff von Greenpeace, der dem Umweltminister 1993 den deutschen Giftmüll aus Rumänien zurück ins Land holte. „Aber wachsende Erfahrung hat bei ihm zu wachsender Einsicht geführt. Töpfer hat sich vom Gegner zum Freund entwickelt.“ Die Grünen, die ihn früher einen „Ankündigungsminister“ nannten, lieben ihn heute. Töpfer findet bei einer Grünen-Veranstaltung schärfere Worte über die umweltpolitischen Geisterfahrten der USA als Joschka Fischer – die grüne Basis ist entzückt.
Ist Töpfer nicht inzwischen ein Grüner? Da wehrt der CDU-Politiker ab. Umweltschutz sei auch eine originär konservative Aufgabe, sagt er. Auch in der Union gebe es profilierte Umweltpolitiker. Wen? Er muss nachdenken. Angela Merkel fällt ihm ein, obwohl er ihre Kampagne gegen die „K.o.-Steuer“ kritisiert hat. Intern kritisiert er seine Partei heftig und schimpft darüber, dass die Union die Agrarwende wieder zurückdrehen will. Umweltpolitik unter einem Kanzler Stoiber? Der wollte ihn bei den Koalitionsverhandlungen 1994 ausbooten, Töpfer war ihm zu grün, erzählen Mitarbeiter. Abserviert hat ihn dann Helmut Kohl.
Verloren hat die Union damit einen ihrer glaubwürdigsten Repräsentanten. Töpfer kann wie kaum ein anderer komplexe ökonomisch/ökologische Zusammenhänge so darstellen, dass der Zuhörer sie versteht und ähnlich empört ist wie er. Er trägt „grüne“ Gedanken über Umweltschutz, Globalisierung und weltweite Verantwortung weit ins bürgerliche Lager, ohne die üblichen Abwehrreflexe auszulösen.
Der Skatspieler, Weinkenner und joviale Entertainer Töpfer ist durch und durch eine bürgerliche Erscheinung und kein Öko. Das Umweltthema diente ihm zum sozialen Aufstieg. Das Flüchtlingskind aus Schlesien erkannte in den Siebzigerjahren seine Nische in der Union, die Umweltpolitik. Töpfer wurde die christdemokratische Antwort auf die Grünen und machte schnell Karriere. Trotzdem sagt kaum jemand ein böses Wort über ihn. „Töpfer war immer eine ehrliche Haut“, meint der Greenpeace-Mann. An fiese Tricks des Ministers kann er sich nicht erinnern, im Gegenteil. „Er ist umgänglich und kumpelig und wollte die Dinge immer beim Bier unter Männer regeln. Er sucht nicht den Konflikt. Und er will gemocht werden.“
Über Rot-Grün hat sich Töpfer gewundert: „Jahrelang bin ich von denen im Bundestag angegriffen worden, weil Deutschland kein Tempolimit hatte, jahrelang habe ich das mit schlechtem Gewissen verteidigt“, sagt er immer noch ein bisschen empört. „Ich war mir sicher, ein Tempolimit ist das Erste, was Rot-Grün macht. Nichts ist passiert.“
„Ja, man ist radikaler geworden“, sagt Töpfer und streicht sich müde übers Gesicht. Nach einem langen Kongresstag sitzt er in der Gaststube des Restaurants am Königssee, nebenan heizt die Delegation aus dem Altai-Gebirge die Stimmung an, Töpfer ordert trockenes Brot und Bier. Eine halbe Stunde hat er, um auf die Insel der Seligen zu blicken: In Deutschland ging es um den ökologischen Umbau der Industriegesellschaft, in Afrika geht es ums Überleben. Eine kilometerlange Druckwasserleitung, um die Abwässer des Restaurants nicht in den Königssee zu pumpen? „Sehr schön, aber das dürfen Sie in Afrika niemandem erzählen. Wir haben ja nicht mal Geld, um den Victoriasee sauber zu halten, aus dem die Menschen trinken.“ Die Verbindung von Armut und Umweltzerstörung hat er in Nairobi vor seiner Haustür. Das schärft den Blick. „Man muss sagen, was notwendig ist. Auch die armen Länder müssen ihren Beitrag leisten.“
Die One-Man-Show
Wenn Klaus Töpfer von sich spricht, sagt er „man“, selten „ich“: „Man hat gelernt, sich nicht in den Vordergrund zu spielen.“ Er will ablenken davon, dass seine Organisation eine One-Man-Show ist: Die Unep ist Klaus Töpfer. Er hat aus einem bürokratischen Wirrwarr eine Behörde gemacht, die weltweit wahrgenommen wird. Auch wenn der Anfang hart war. Statt als einfacher Abgeordneter in den Bundestag einzuziehen, saß er plötzlich in Nairobi, „ich hatte kein Telefon, keine Zeitung, kein Geld, ich konnte kein Englisch und ich dachte: Was für ein Mist ist das.“
Das meiste hat sich gebessert, geblieben ist ein Sprachproblem. Nicht so sehr bei ihm: Töpfer spricht fließend Englisch, wenn auch mit deutschem Akzent und ohne „th“. Aber in einer Behörde mit Mitarbeitern aus über 50 Ländern sind auch die Englischkenntnisse ganz verschieden. Es kommt vor, dass jeder Mitarbeiter nach einer Besprechung mit einem anderen Ergebnis im Kopf nach Hause fährt.
Bei der Konferenz in Johannesburg muss es mit der Kommunikation klappen. Denn wenn Johannesburg scheitert, scheitert auch Klaus Töpfer. Nicht dass ihn das entmutigt. „Ich habe mich daran gewöhnt, einen Stein auf den Berg zu rollen und zu sehen, dass er auf der anderen Seite wieder runterrollt“. Töpfer kokettiert mit dem Image des Sisyphos, der in seinem vergeblichen Tun glücklich ist. Er sagt: „Resignieren ist nicht erlaubt.“
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