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Die auf den Tischen dribbeln

Drehstangentischfußball ist eigentlich eine Domäne der Provinz. Doch die Kickerszene in der Hauptstadt wächst. Das Rasenvorbild interessiert unter Altmeistern, Jungzockern, Traditionalisten und Neueinsteigern nur die wenigsten

Der Kurvenstar am Hackeschen Markt ist einer dieser Clubs, von denen manche immer sprechen. Normalerweise dominieren dort coole Gesichter. Doch an diesem Nachmittag ist alles anders. Gewollt witzige Typen in Faschingskostümen springen durch den Raum. Um versprengte WM-Jubler vom Potsdamer Platz kann es sich nicht handeln. Der Schlusspfiff des letzten Spiels in Asien ist schon zu lange vorbei. Zwei verdächtig gut gelaunte Moderatoren kündigen das Viertelfinale an. Die Fans kreischen, die meisten anderen Versammelten wundern sich, geht es doch um Fußball.

Szenenwechsel: Im Hinterzimmer einer Kneipe in Prenzlauer Berg stehen vier junge Männer um einen Kickertisch herum und treiben Sport. Auf den ersten Blick kann man erkennen, dass das Quartett im „Nemo“ in der Oderbergerstraße nicht das erste Mal an den Stangen steht. Mit dem halbstarken Gedrehe von Freizeitheimbesuchern hat das gepflegte Spiel wenig gemein. An die frische Luft zieht es keinen der Kicker in der brütenden Schwüle des Raums. Ist ein Spiel beendet, finden sich sofort zwei Spieler, die die Sieger der letzten Partie herausfordern.

Im Finale des Kickerturniers im Kurvenstar spielen die „Rescha-Kicker“ gegen „Ujkan Ujkani“. Endlich wird ernsthaft gekickert. Die Qualität der Leistungen bis zum Finale ließ doch sehr zu wünschen übrig. Das Getöse der vom veranstaltenden „Chio“-Chipshersteller engagierten Hostessen und Gute-Laune-Bären vermochte das niedrige Spielniveau an den Tischen nicht zu übertünchen. „Ujkan Ujkani“, das sind die Gebrüder Mark und Henning Lübcke. Schon die Körpersprache der beiden verrät, dass sie anders sind als die übrigen Teilnehmer des Promo-Turniers.

Es sind zwar nur Mätzchen, wenn man vor jedem neuen Ballwechsel an die Würfel greift, die den Punktestand anzeigen, oder vor einem Schuss aus der Verteidigung so in Richtung gegnerisches Tor schaut, als müsse man das Ziel ganz genau ins Visier nehmen, aber zur Verunsicherung des Gegners kann das schon beitragen. Spricht man die beiden auf die Berliner Kickerszene an, beginnen sie von Göttingen zu schwärmen. Daher nämlich kommen die beiden Meisterkicker. In Berlin, meint Henning, gebe es zwar vielerorts Tische in den Kneipen, für eine Stadt von der Größe Berlins aber relativ wenig gute Spieler.

Das sieht Wilfried Meyer ganz anders. Er dürfte einer der größten Experten zum Thema Kickern in Berlin sein, und ein herausragender Spieler ist er obendrein. Wenn er sich im „Nemo“ einmal mit einem guten Partner eingeklinkt hat, bleibt er meist ganz lange am Tisch. Unter den jungen Tischfußballern, die das Kickern als trendy für sich entdeckt haben, hat er schon einige talentierte Spieler ausgemacht. Eine gut organisierte Turnierszene mit regelmäßigen Veranstaltungen gebe es aber nicht in der Hauptstadt. Gekickert werde ohnehin hauptsächlich in der Provinz. Meyer meint sogar: „Dafür, dass Berlin so groß ist, gibt es eine überaus lebendige Kickerszene.“ Zu verdanken sei dies vor allem den Betrieben der New Economy, die zum Zwecke der Ablenkung nicht selten Tischfußballgeräte in den Büros aufgestellt hätten. Was Meyer diesen Newcomern in der Szene voraus hat, ist sein immenses Wissen über die Geschichte und die Spielweise an von ihm so genannten „Drehstangentischfußballgeräten“. Er erklärt seine Taktik: 50 Prozent der Bälle, die aus der Abwehr geschossen werden, enden als Pass bei der Stürmerreihe, die andere Hälfte sind Torschüsse. Aus dem Mittelfeld wird nur selten direkt geschossen, das sei sogar verpönt bei vielen Spielern. Wichtig für alle Positionen ist die Fähigkeit, die Bälle zu stoppen, sie mit der Figur ein wenig hin und herzuschieben, zu „dribbeln“, wie es in der Kickerszene heißt.

„Ihr wart die Einzigen, die richtig kickern konnten“, ruft Mark Lübcke den im Finale unterlegenen „Rescha Kickern“ zum Abschied nach. Dennoch, meint er anschließend, sei es ein gutes Turnier gewesen, weil auch viele Frauenteams am Start gewesen seien, die schon ganz „ordentlich“ gespielt hätten. Das sei nicht gerade üblich. Denn der Tischfußball ist – wie auch das Vorbild auf dem Rasen – immer noch eine Männerdomäne.

Wilfried Meyer geht gern ins „Nemo“, um an den Stangen zu drehen, weil dort auch Frauen mitspielen. In den alt eingesessenen Kickerkneipen, die nur wenig Szeniges an sich haben, wie das „Sahara“ in der Perleberger Straße, ist das Kickern nämlich noch fest in Männerhand. Donnerstag spielt dort die so genannte „Rentnerband“, ein Gruppe von Spielern, die schon seit mehr als 40 Jahren auf den Tischen dribbeln.

Auch Mark Lübcke hat schon im „Sahara“ gespielt. Er schätzt vor allem die sportliche Atmosphäre in der Perleberger Straße. Denn er betreibt das Kickern durchaus ernsthaft. „Übrigens“, wirft sein Bruder ein, „Kickern hat nichts mit Fußball zu tun.“ Ähnliches stellt auch Meyer fest. „Viele Spieler interessieren sich gar nicht für Fußball.“

ANDREAS RÜTTENAUER

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