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Die Zukunft sieht lila aus

No more „silly German money“, stattdessen Cross-Marketing, Gefühl, Comedy wie gehabt, dazu günstigere Koproduktionen mit den USA: Neues von der größten europäischen Fernsehmesse „Mip“ im schönen Cannes

Wenn es einen Ort gibt, um einen Jahrmarkt der Eitelkeiten zu veranstalten, dann ist das Cannes. Die mondäne Stadt an der Côte d’Azur, in der sich im Mai wieder die Filmschönheiten tummeln, ist jährlich im April Schauplatz der Mip, Europas größter TV-Messe. Hier werden Programme gekauft und verkauft. Hier treffen sich die Film- und Fernsehbosse und planen die Zukunft der Medien. Hier rücken die Stars an, um für ihre neuen Produktionen zu werben.

Doch im Vergleich zum Glanz der vergangenen Jahre stand die Mip diesmal ziemlich blass da. Wesentlich weniger Besucher, viele davon mit hängenden Gesichtern. Klar, die Insolvenz von Kirch Media war ein großes Thema, auch wenn Kirchs Tochterfirmen auf der Mip scheinbar Business as usual betrieben. In anderen Ländern sieht es nicht viel besser aus: Der größten Medienkonzern der Welt, Vivendi Universal, steckt in einer Krise. Der größte britische Kabelnetzbetreiber NTL ist komplett überschuldet, und der britische Sender ITV Digital hat kaum noch Überlebenschancen.

„Der Trend ist klar: Die Sender werden immer billiger produzieren“, sagt Bruce Johansen, Chef der US-Fernsehmesse Natpe. Was nicht unbedingt bedeuten muss, dass die Produktionen schlechter werden; in vielen Fällen wurde mit dem Geld geaast. Im medialen Konkurrenzkampf wird jedoch künftig mit noch härteren Bandagen gekämpft, denn immer mehr Sender sichern sich die Rechte für die Weiterverwertung ihrer Produktionen auf CD, Video und DVD und drängen so auf den heiß umschwärmten Medienmarkt.

Hilfe von Cäsar

Ganz tief in die Weltgeschichte will die ARD einsteigen. Im Februar 2003 beginnen die Dreharbeiten für „Julius Cäsar“, ein 20-Millionen-Dollar-Projekt. Die ARD hat am Drehbuch mitgeschrieben und dafür gesorgt, dass nicht nur amerikanische Stars mitspielen, sondern auch heimische wie Heino Ferch und Tobias Moretti. Laut Chefeinkäufer Hans-Wolfgang Jurgan ist neu dabei, „dass die Amerikaner jetzt auf uns zukommen und nach den Bedürfnissen auf unserem Markt fragen“.

Denn in den Staaten sind die goldenen Zeiten auf dem Fernsehmarkt schon seit zwei Jahren vorbei. Sinkende Werbeeinnahmen und härterer Wettbewerb sorgen nun dafür, dass Amerikaner immer mehr an Koproduktionen mit Europäern interessiert sind. „Noch vor wenigen Jahren haben deutsche Käufer viel zu viel Geld für US-Programme ausgegeben“, sagt Alexander Coridaß, Geschäftsführer von ZDF Enterprises. In den Vereinigten Staaten war „silly German money“ deshalb schon ein geflügeltes Wort. Doch der deutsche Geldstrom ist jetzt versiegt.

Und nicht nur der. Im vergangenen Jahr haben amerikanische Unternehmen für TV-Werbung 750 Millionen US-Dollar weniger ausgegeben als in den Jahren zuvor. Die klassische Werbung zieht einfach nicht mehr. In den USA produzieren Coca-Cola und Ford deshalb bereits eigene Fernsehserien, die den Networks zur Ausstrahlung angeboten werden. „Die Entwicklung in Deutschland wird ähnlich verlaufen“, prophezeit Medienmanager Stephan Temp. Er produzierte 2001 für RTL 2 eine lila Schatzsuche, die der Schokoriese Milka in Auftrag gegeben hatte.

Lauter alte Hüte

So findig die Fernsehmacher in geschäftlichen Dingen sind – inhaltlich gab es auf der Mip nur alte Hüte. „Es geht zurück zu mehr Gefühl“, verkünden fast alle Sender. Rettung verspricht man sich auch von – gähn – Sitcoms. Allein RTL erprobt zurzeit 26 neue Witzformate. Aber vielleicht sind Inhalt und Qualität der Sendungen auch gar nicht wichtig. Denn während die Fernsehmacher ideen- und ratlos vor sich hin wursteln, wurde im vergangenen Jahr weltweit so viel ferngeguckt wie nie zuvor.

WILFRIED B. URBE

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